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McKinsey-Affäre in BerlinDa besteht noch Beratungsbedarf

Am Mittwoch muss Senatskanzleichef Böhning im Hauptausschuss Stellung zum umstrittenen Vertrag mit McKinsey nehmen. Die taz erklärt, worüber gestritten wird.

Wem schlägt heute die Stunde? Foto: dpa

Worum geht es eigentlich?

Die Beraterfirma McKinsey hat für den Senat den sogenannten Masterplan Integration erstellt – für 238.000 Euro. Wieso gab es keine Ausschreibung, fragt die Opposition – und warum hat die Verwaltung diesen Plan nicht selbst ausgearbeitet? Denn das von Dilek Kolat (SPD) geleitete Senatsressort ist neben Arbeit und Frauen ausdrücklich auch für Integration zuständig.

Ist das alles?

Der Senat hat der Beraterfirma den Auftrag gegeben, ohne den Hauptausschuss, also die Parlamentarier, darüber rechtzeitig zu informieren, sagt der Abgeordnete Steffen Zillich, der für die Linksfraktion an der Sondersitzung am heutigen Mittwoch teilnimmt. Seine Grünen-Kollegin Nicole Ludwig weist darauf hin, dass alle Aufträge über 100.000 Euro ausgeschrieben werden müssten. Eine höhere Grenze gelte nur für eine europaweite Ausschreibung.

Was könnte dahinterstecken?

Schwer zu sagen: Die Unfähigkeit des Senats, das selbst anzugehen, wäre eine Erklärung; Dankbarkeit eine andere.

Dankbarkeit?

McKinsey hat dem Senat geholfen, die Abläufe am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zu verbessern, als das Amt wegen der stark gestiegenen Zahl der Flüchtlinge und absurden internen Abläufen quasi kollabierte. Diese Unterstützung durch McKinsey war kostenlos, der Vertrag darüber wurde Ende September 2015 geschlossen.

Kostenlos, aber nicht umsonst?

Tatsächlich erhielt McKinsey kurz nach Silvester den Auftrag für den Masterplan Integration. Hier kommen nun Björn Böhning und Lutz Diwell ins Spiel.

Wer ist Böhning?

Einst Juso-Chef, inzwischen 37, weiterhin SPD-Nachwuchshoffnung. Derzeit aber vor allem als Staatssekretär und Chef der Senatskanzlei gefragt, die McKinsey den Masterplan-Auftrag erteilt hat. Seine Begründung, warum das ohne Ausschreibung passierte: McKinsey sei das einzige Unternehmen, das über die nötige Expertise verfüge. Da kann die Grünen-Abgeordnete Ludwig gegenüber der taz nur spotten: „Die Marktabfrage dazu war so, als ob bei Ihnen ein Schülerpraktikant eine Google-Recherche macht.“

Und wer ist Diwell?

Ein 64-jähriger Rechtsanwalt mit SPD-Parteibuch – und einer erfolgreichen Politikkarriere: Bis 2003 war er zwei Jahre Staatssekretär in der damals SPD-geführten Senatsverwaltung für Inneres, danach bis 2009 erst Innen-, dann Justizstaatssekretär der Bundesregierung. Im September sollte er Flüchtlingsstaatssekretär werden, was aber aus bisher nicht geklärten Umständen scheiterte. Diwell arbeitete an dem Masterplan mit und wurde dafür von McKinsey bezahlt.

Ist das ein Problem?

Eigentlich nicht. Die Grünen-Abgeordnete Ludwig spricht sogar von einer Skandalisierung, bei der sie nicht mitgehen mag. Sie wundert sich bloß über den zähen Informationsfluss dazu. Denn zu den vielen „Merkwürdigkeiten“ in dem Fall McKinsey, von denen Linksparteipolitiker Zillich spricht, gehört, dass dem Parlament lange die Information vorenthalten wurde, dass Diwell an dem Masterplan mitarbeitet. „Warum hat der Senat nicht die Souveränität besessen, im Vorhinein die Abgeordneten zu informieren“, fragt Zillich. Seine These: Der Senat wollte die Umstände der Vergabe auch den anderen Senatsverwaltungen vorenthalten.

Wieso wurde ausgerechnet Diwell berücksichtigt?

Vielleicht, weil er ein SPD-Parteibuch hat? Das zumindest mutmaßt der Tagesspiegel, der die Verbindungen Diwells zuerst publik gemacht hat. Die Zeitung hat aber auch ein Problem mit Regierungschef Müller und hat mit ihm schon mal über angeblich abgesagte Anzeigen gestritten.

Was hat der Regierende Bürgermeister damit zu tun?

Er ist Böhnings Chef. Und er hat durch die Affäre einen gehörigen Imageschaden erlitten. Am Donnerstag saß er, statt in der Parlamentssitzung Fragen zu McKinsey und Diwell zu beantworten, bei einem Treffen der Ministerpräsidenten. Die Opposition ließ den Regierenden deswegen herbeizitieren – alles andere als ein alltäglicher Vorgang. Ihre Befragung hatte die Opposition bereits tags zuvor angekündigt, nachdem im Hauptausschuss die rot-schwarze Mehrheit das Thema Diwell/McKinsey vertagt hatte.

Wie kam es zu der Sondersitzung des Hauptausschusses?

Nach Einschätzung der Opposition war Müllers Auftritt im Parlament verbesserungswürdig; auch die Kritik an Böhning, der nicht bei der Parlamentssitzung war, nahm zu. Deswegen erklärte der Senatskanzleichef am Wochenende, für eine Befragung in einer Sondersitzung des Hauptausschusses zur Verfügung zu stehen. Die nächste reguläre Sitzung wäre erst am 13. April gewesen.

Warum ist der Hauptausschuss zuständig?

Der heißt nicht umsonst so: Er ist mit 27 Mitgliedern der größte und wichtigste Parlamentsausschuss, hat allein fünf Unterausschüsse – und ist für sämtliche Finanzfragen zuständig. In ihm hatte der Senat am 17. Februar die Abgeordneten über die Auftragsvergabe informiert.

Wie wird die Sitzung heute ausgehen?

Schwer zu sagen. Wahrscheinlich wird die SPD am Ende erklären, alle Fragen seien geklärt; die Opposition wird weiteren Aufklärungsbedarf anmelden. Schließlich herrscht Wahlkampf.

Wie lange dauert die Sitzung?

Drei Stunden, schätzt Steffen Zillich. Beginn ist um 10 Uhr, in Raum 113 im ersten Stock des Parlaments.

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