: Entstellte Botschaften
Slogans Werbeplakate der Grünen in Sachsen-Anhalt wurden in großem Stil gefälscht. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg ermittelt mitten in einem Wahlkampf, der so heftig geführt wurde wie kaum einer zuvor
von Thomas Gerlach
Der diesjährige Wahlkampf wird jetzt schon in die Geschichte Sachsen-Anhalts eingehen, ganz egal, wie die AfD am Sonntag abschneidet. Es ist Manipulation in ganz großem Stil, was zu Wochenbeginn so fröhlich von den Laternenpfählen in Magdeburg, Halle und anderswo grüßte.
Die Wahlplakate von Bündnis 90/Grüne haben tatsächlichen eine überaus freundliche Anmutung: Das saftige Grün, die strahlende Sonne, die lustige Biene – alles original grünes Lebensgefühl. Nur die Botschaft darüber war es nicht: „Grün für Masseneinwanderung“.
Zwar wirbt die Partei für ein tolerantes und weltoffenes Sachsen-Anhalt und für eine „barmherzige“ Flüchtlingspolitik – nicht aber für Masseneinwanderung. Das ist ein Begriff, der in der öffentlichen Diskussion inzwischen besonders häufig von Vertretern der AfD, der NPD und der SVP in der Schweiz als Keule benutzt wird – „gegen Masseneinwanderung“.
Die Plakate sind Fälschungen – professionell gedruckt und in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion mit hoher krimineller Energie“ verbreitet, wie Sebastian Lüdecke, Landesvorsitzender der Partei anmerkt. Die Grünen haben Anzeige erstatten wegen versuchter Wählertäuschung, Markenrechtsverletzung und Sachbeschädigung. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg ermittelt, bisher allerdings ohne heiße Spur.
Die 100 Wörter, die in den Wahlprogrammen der Parteien am häufigsten vorkommen, hat die Stuttgarter Universität Hohenheim ermittelt und mit einem Tool von Wordle in eine Wortwolke umgesetzt.Auf dieser Seite finden sich die Begriffsbündel von AfD, CDU, FDP, den Grünen, den Linken und der SPD.
Die Verständlichkeit der Wahlprogramme war der Untersuchungsgegenstand der Studie, die unter der Leitung Frank Brettschneiders, Professor für Kommunikationswissenschaft der Uni Hohenheim, entstanden ist.
Bei dem Vergleich der Wahlprogramme der Parteien für die Abstimmungen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, schneidet Kretschland nur wenig besser ab als die beiden anderen Bundesländer. Deren Programme sind nach der Studie nicht wesentlich verständlicher als Doktorarbeiten.
Neben Fremdwörtern, Anglizismen und Fachbegriffen sind es auch Bandwurmsätze, die die Wahlprogramme unverständlich machten. In allen Wahlprogrammen sind Satzungetüme von 30 Wörtern und mehr gefunden worden. Zwar sind nicht alle Passagen gleich unverständlich, sondern vor allem die Fachabschnitte, die oft sehr speziell formuliert sind. Einleitung, Schluss und Kritik an den politischen Kontrahenten seien dagegen klar verständlich formuliert.
Aufgrund der Diffamierung verortet Lüdecke die Täter klar im rechten Spektrum. Seine Hoffnung ist jedoch, dass diese Angriffe dem grünen Wahlkampf in den letzten Tagen noch zusätzlich Schub verleihen. Die Grünen seien deswegen zur Zielscheiben geworden, weil sie sich wie keine andere Partei für Flüchtlinge einsetzten. Man kann das auch als eine Bestätigung betrachten.
An die tausend gefälschte Plakate haben Wahlhelfer in den vergangenen Tagen wieder abgehängt. Neben den Plagiaten auch Originalplakate der Grünen, die überklebt und dadurch sinnentstellt wurden.
Die Staatsanwaltschaft Magdeburg ermittelt allerdings nur „wegen Sachbeschädigung oder Diebstahl“, wie ihr Sprecher Frank Baumgarten sagte. Grüne Plakate wurden beschädigt oder gestohlen, um Platz für die Plagiate zu schaffen. Wegen Urkundenfälschung oder strafbarer Wahlfälschung werde nicht ermittelt, stellte Baumgarten klar.
Doch auch die korrekten Wahlplakate zeugen im Land davon, dass der Wahlkampf in diesem Jahr besonders heftig ausgetragen wird. Ende Februar bereits hat die Landeswahlleiterin Christa Dieckmann zunehmenden Vandalismus beklagt. Dieckmann teilte mit, dass die Polizei Hunderte beschädigter und entstellter Wahlplakate aller Parteien gezählt habe. Diese Zerstörungswut behindere die freie Meinungsäußerung.
Allerdings wird auch die freie Meinungsäußerung derzeit auf eine harte Probe gestellt. „Wir hängen nicht nur Plakate.“ Diese Drohung verkündeten Wahlplakate, die die rechtsradikale Partei Die Rechte aufgehängt hat, unter anderem vor einer Flüchtlingsunterkunft in Magdeburg.
Grüne und Linke erstatteten Anzeige. Kein Fall von Volksverhetzung, beschied die Staatsanwaltschaft vergangenen Freitag. Der Slogan sei dafür zu mehrdeutig. Die „Rechte“ kann damit weiterhin um Stimmen „werben“.
Und was passiert mit den Fälschungen, die Wahlhelfer der Grünen inzwischen wieder abgehängt haben? Die rund tausend Plakate sollen nach dem Willen der Partei doch noch von ganz praktischem Nutzen sein. Einen Euro wollen die Grünen für jedes Plagiat sammeln, um mit dem Geld Opfer rechter Gewalt zu unterstützen. Das Spendenkonto ist bei dem Verein Miteinander e. V. eingerichtet – Stichwort „Abwrackprämie“.
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