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Kommentar Nach den LandtagswahlenPersonen statt Programme

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Nur die AfD punktete mit ihrem Programm. Eine Demokratie muss dieser Partei aber mehr entgegensetzen als nur Persönlichkeiten.

Die AfD-Spitze ist beschwingt, aber nicht sie, sondern die Ressentiments haben gesiegt Foto: dpa

E inerder dümmsten Sätze nach den Landtagswahlen stammte von einem Vertreter der Linken in Sachsen-Anhalt: Nichts sei derzeit so uninteressant wie personalpolitische Fragen. Von wegen. Selten zuvor ging es bei Landtagswahlen in vergleichbar hohem Maße um Personen- und zugleich um die Systemfrage. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch.

Malu Dreyer, Winfried Kretschmann und Reiner Haseloff sind populärer als ihre jeweiligen Parteien. Was manche Politologen schon länger sagen, hat sich am Wahlabend auf eindrucksvolle Weise bestätigt: Die Bindungen an Parteien lösen sich auf, Programme verlieren gegenüber dem Spitzenpersonal an Bedeutung. Ironischerweise gilt das nur für die Rechten nicht, von denen lange angenommen worden war, dass gerade sie ohne charismatische Figur an der Spitze ihr Wählerpotenzial niemals voll werden ausschöpfen können. Das hat sich als Irrtum erwiesen.

Was beunruhigend ist. Denn die besondere Gefährlichkeit der AfD beruht ja gerade darauf, dass sie bei jeder Gelegenheit ein grundsätzliches Ressentiment gegenüber dem System durchscheinen lässt. Wenn die anderen Parteien dem nur noch die Vertrauenswürdigkeit einzelner Persönlichkeiten, aber keine überzeugende Programme mehr entgegensetzen können, dann muss man all diesen Persönlichkeiten – völlig ungeachtet ihrer politischen Überzeugungen – eine sehr erfolgreiche Karriere wünschen. Für eine parlamentarische Demokratie ist das ein bisschen wenig.

„In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod.“ Auf die Dauer werden die demokratischen Parteien nicht umhinkönnen, sich klarer voneinander abzugrenzen. Zunächst einmal aber geht es um die Koalitionsverhandlungen. Wer jetzt versucht, mit taktischen Manövern den erkennbaren Wählerwillen auszuhebeln, spielt den Rechten in die Hände.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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6 Kommentare

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  • Was wir bei diesen Landtagswahlen gesehen haben ist der umfassende Sieg der Angst vor Veränderungen. Das vollständige Fehlen jeglicher Diskussion über Inhalte.

    Dass die amtierenden MPs allesamt gewonnen haben, hat nichts mit ihren Personen zu tun, sie sind allesamt nur Symbole für den Status Quo. Die Wähler wollen alles nur keine Veränderungen - so gesehen ist AfD eine ganz normale Partei wie alle anderen auch (nur dass deren Wähler vermutlich nicht nur vor Veränderungen sondern vor dem bloßen Gedanken daran Angst haben).

    Die Frage ist warum sind die Parteien nicht mehr willens oder in der Lage Neues zu denken?

    Warum sind wir zu einem Volk von Waschlappen mutiert, das ein paar Hunderttausend Flüchtlinge für den Weltuntergang hält ?

    Fehlt es an schillernden Personen ?

    Eher nein - wenn man so nach USA rübersieht, gibts dort zwar einen schillernden Trump aber Sanders als schillernd oder gar charismatisch darstellen zu wollen ist doch etwas daneben. Sanders Stärke ist dass er Ideen hat und diese glaubwürdig rüberbringt. Und dass er damit Aufmerksamkeit erregen kann.

     

    Vielleicht sollten wir es hier auch mal damit versuchen Veränderungen als etwas positives zu sehen - wer nur dagegen ist kann nicht gewinnen, nur die Niederlage hinauszögern.

  • Der Spitzenkandidat der AfD war, wie H. Prantl sehr richtig bemerkte, "der Flüchtling" als deutsche Angstfantasie.

    Und der Kommentar benennt die von Politologen schon lange beobachtete Personalisierung der Politik: http://www.bpb.de/apuz/29919/personalisiert-und-emotional-strategien-des-modernen-wahlkampfes?p=all

  • Die Leute haben nicht die AfD gewählt, sondern der Kanzlerin das Misstrauen ausgesprochen. Eigentlich wäre es Zeit für Neuwahlen im Bund. Wenn die Entwicklung bei der SPD so weiter geht, dann haben wir am Ende AfD und SPD gleichauf und eine schwarzgrüne Koalition im Bund. Das wäre besser als die SPD an die Kanzlerin gefesselt.

  • 3G
    3641 (Profil gelöscht)

    Wenn der Linke den angeblich dummen Satz nach den Landtagswahlen gesagt hat finde ich, dass es eher einer der schlaueren Sätze war. Auch der Rest des Kommentars wirkt auf mich eher konfus.

  • Die SPD war seit 2005 ziemlich deckungsgleich mit der FDP, die ja immer eine Randpartei war, sehr schwach und nie wirklich populär, die CDU hat christliche und konservative Werte immer weiter verwässert, die Linke eiert herum, wenn es um die SPD und die Frage von Koalitionen geht.

     

    Parteien feiern sich selbst als Soft-Drink, als tagesaktuelle Geschöpfe ohne Substanz. Dass die AfD dagegen punktet, wurndert mich nicht, aber die AfD wird bald auf den Topf gesetzt werden, wenn sie konkret politisch arbeiten müssen.

     

    Solche Parteien haben geradezu eine Verfallszeit fest eingebaut und meist zerfliegen deren Fraktionen nach wenigen Tagen in Parlamenten, danach zerfallen dann die Parteigremien.

     

    Die Schill-Partei, STATT-Partei oder die Piraten-Partei sind allesamt an sich selbst gescheitert und das in kurzer Zeit.

     

    Die AfD schien zunächst stabiler, inzwischen ist die Partei vielerorts längst ans Ende gelangt. Bislang waren es die Grünen und die Linke, die sich über längere Phasen dauerhaft etablieren konnten.

     

    Beide Parteien haben viele Argumente auf ihrer Seite, weitaus mehr als Hass auf Flüchtlinge oder den Euro-. Die AfD hat eigentlich nur diesen Kern, vermengt dazu Frust aus bürgerlichen Kreisen, der aber wenig konkret ist.

  • Einige der dümmsten Sätze fand ich eher diesen Kommentar. An einem mangelhaften Programm liegt es nämlich mit Sicherheit nicht: Wie ist es sonst zu erklären, dass insbesondere sozial Schwache AfD wählen, obwohl diese das Arbeitslosengeld abschaffen will?

     

    Festzustellen ist doch viel mehr, dass die inhaltlichen Programme oder auch lokale Wahlkampfveranstaltungen überhaupt keine Rolle spielen, da es völlig von der Presse überlagert wird und die Reichweite dort einfach viel höher ist. Wie kann es sonst sein, dass in meinem Wahlkreis die grüne Kandidatin sich immer wieder mal auf öffentlichen Podien blamierte und dann trotzdem ein Rekordrgebnis erziehlt? Richtig, weil überhaupt nicht Sie oder irgendein Programm sondern "der Kretschmann" gewählt wird. Die Grünen können bei mir einen Besenstiel aufstellen und der würde gewählt werden.