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Linken-Chefin über die sächsische Polizei„Es herrscht faktische Straffreiheit“

Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, fordert eine Polizeireform in Sachsen. Die Lage ermutige geradezu zu rassistischen Übergriffen.

Sachsens Polizei war bei rechtsextremen Übergriffen oft unterbesetzt. Foto: dpa
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Frau Kipping, was läuft falsch in Sachsen?

Katja Kipping: Die Polizeiführung hat jetzt zum wiederholten Mal einen rassistischen Mob gewähren lassen. Diesen Eindruck gab es schon in Heidenau: Man darf Leib und Leben von Menschen bedrohen, und es herrscht faktische Straffreiheit. Das ermutigt ja geradezu zu rassistischen Übergriffen. Die sächsische CDU hat 25 Jahre lang dafür gesorgt, dass Antifaschismus zum Schimpfwort wird. Und die sächsische Regierung ist auch jetzt nicht bereit, in der Bildungspolitik nachzusteuern. Wir hatten bereits 2015 vorgeschlagen, Zivilcourage und Willkommenskultur an den Schulen explizit zu thematisieren. Die Antwort der Regierung war, es gäbe doch gar kein Problem, im Schulgesetz stünde bereits, dass Schule zu Demokratie erziehen solle.

Sachsen ist nicht das einzige konservativ regierte Land. Doch häufen sich dort Szenen, wo Bürger applaudieren, wenn ein Flüchtlingsheim brennt.

Ich finde es falsch, zu sagen, Fremdenfeindlichkeit ist vor allem ein Problem des Ostens. Dann können sich die Bundesregierung und große Teile der Gesellschaft zurücklehnen und sagen: Jetzt hat Rassismus eine Adresse, auf die wir die Verantwortung abwälzen können.

Pegida und Co. sind im Osten nun einmal stärker.

Wir wissen, dass Abstiegsängste ein guter Nährboden für Rassismus sind – auch wenn es keine Entschuldigung dafür gibt, zum Rassisten zu werden – und diese sind in manchen Regionen womöglich stärker vorhanden. Dennoch darf man nicht anfangen, Rassismus als rein ostdeutsches Problem zu beschreiben.

Wie weit ist Rassismus in der Mitte der Gesellschaft verankert?

Rassismus war schon immer strukturell auch in der Mitte der Gesellschaft ein Problem.

reuters
Im Interview: Katja Kipping

geboren 1978 in Dresden, wuchs dort auf, war Mitglied im Stadtrat und des Sächsischen Landtags. Seit 2012 ist sie Bundesvorsitzende der Linken.

Was muss jetzt passieren?

Es braucht eine Polizeireform. Das heißt nicht einfach nur mehr Streifenpolizisten.

Mehr Polizei?

Ja, mehr Streifenpolizisten – um Fluchthelfer und Ehrenamtliche, Geflüchtete und Bürgerinnen vor Verbrechen zu schützen. Der Fokus der Polizei muss verschoben werden, damit solche Fehler wie in Clausnitz nicht mehr passieren. Und dann muss man ran an die Bildung. Demokratie muss in der Schule praktiziert werden.

Muss Minister Ulbig zurücktreten?

Er muss die Konsequenzen ziehen. Entweder er leitet eine Polizeireform ein, oder er macht Platz für jemanden, der handelt.

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11 Kommentare

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  • & nochens - Ist das Fotto - farbecht?

     

    In Anlehnung an zwei alte

    Polit-Sprüche -

    Einer von Kurt Schumacher -

    Geht mir durch den Kopf ->

    "Die sind in den

    Blauen Hemden schon rumjeloofen -

    Als da noch keen - öh

    Polizeiwappen druff war!"

  • Ich bin Mitglied der Linken und für eine offene Flüchtlingspolitik, aber immer wieder etwas verwirrt: Wenn AfD Demos blockiert werden, ist das legitim, wenn andere zivilen Ungehorsam betreiben, ist es plötzlich nicht legitim. Ich jedenfalls möchte niemanden sein Recht auf Demo und eigene Ansicht nehmen, solange er gewaltfrei bleibt. So sind Demos vor Flüchtlingsheimen zwar unsensibel, aber grundsätzlich legitim.

    Ich denke, jeder hat ein Recht auf seine Meinung. So hat auch jeder das Recht, weniger Flüchtlinge für Deutschland zu fordern. Das ist grundsätzlich erst einmal eine Meinung, die man tolerieren muss, und kein Rassismus. Alles andere ist undemokratisch. Eben die Freiheit des Andersdenkenden. Mögen sich doch einfach die besseren Argumente durchsetzen!

     

    Meine Erfahrungen in der Flüchtlingshilfe decken sich mit den Beschreibungen von Sachsen: Da sind viele verängstigte Menschen im Bus, die noch weiter traumatisiert werden, und eben auch andere Flüchtlinge, die zurückpöbeln und provozieren. Aus Rücksicht vor den wirklich traumatisierten Flüchtlingen kann ich diesen "zivilen Ungehorsam" also nur ablehnen, da er psychische Gewalt bedeutet. Andererseits kann ich aber nicht verstehen, dass jeder, der friedlich eine restriktive Flüchtlingspolitik will, als Rassist bezeichnet wird oder auf Demos ausgepfiffen.

     

    Ich möchte keine Nazis nebenan wohnen haben, habe im 5 Meter entfernten Heim aber auch viele Flüchtlinge mit geradezu menschenverachtenden Ansichten kennenlernen müssen. Diese will ich genausowenig wie tumbe Nazis neben mir wohnen haben. Und ja, diese wirklich verachtenswürdigen Flüchtlinge sind eine Minderheit, aber eben auch eine recht große Minderheit, die unserer Freiheit noch heftige Grenzen setzen wird, glaubt mir das mal

     

    Wer die Grenzen schließen will, was nicht meiner Meinung entspricht, kann in Schweden Sozialisten wählen, in Österreich sozialdemokratisch. In Deutschland bleibt da nur die AfD, die selbstverständlich unwählbar ist.

    • @bejonia:

      Demos sind legitim, Pogrome nicht. Das sollten Sie selbst als "Linker" wissen.

  • Was hat die Polizei denn genau in Clausnitz falsch gemacht? Bürger haben die klassischen Methoden von zivilen Ungehorsam benutzt und werden dafür durch alle Gazetten als "Mob" beschimpft.

     

    Ich finde solche Blockaden von Refugees politisch nicht in Ordnung, aber deshalb den Law and Order Staat herauf beschwören, ich weiss nicht. Oder der staatlichen Intransparenz das Wort reden.

     

    Irgendwie kann man doch einer gegnerischen politischen Äußerung nicht ganz die Freiheit nehmen, und die Polizei zwischen die Fronten ziehen. Es zählt am Ende, dass alles prinzipiengeleitet ist.

    • @Ansgar Reb:

      Pogrome gehören seit 1945 nicht mehr zu den klassischen Methoden zivilen Ungehorsams.

    • 7G
      70023 (Profil gelöscht)
      @Ansgar Reb:

      Sie gehören auch zu den Mobs aus Sachsen. Sie sollen sich schämen. Die Fremden sind gut genug, wenn die Fremden für Schmarotzen aus Osten Rentenbeiträge, Krankenversicherungsbeiträge und Solidaritätsbeiträge bezahlen.

    • @Ansgar Reb:

      Es sind keine Methoden des zivilen Ungehorsams einen Bus zu umstellen und die Menschen darin anzuschreien. Es ist auch nicht ok wie in Bautzen mal wieder ein Haus anzustecken.

    • @Ansgar Reb:

      "...Es zählt am Ende, dass alles prinzipiengeleitet ist...."

       

      Ja - son Rechtsprofessor hab ich auch mal als Erstsemester erlebt.

      Zwischenruf eines seiner Assis.! zu seiner Suade -

      " Aber Herr Professor - das is ja ein ganz unmögliches Ergebnis!"

      "Was interessiert mich das Ergebnis -

      Hauptsache - ich bin in meinem System richtig!"

      Klar - Hauptsache!

       

      kurz - Ja! - Sagen - was man denkt -

      Aber bitte - Vorher - was gedacht haben

      Danke.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Ansgar Reb:

      Sie, Herr Reb, kämpfen in vielen Blogkommentaren für die Berechtigung des sächsischen Mobs.

      Aber: Hier werden Menschen attackiert, die nichts mit mißglückten Biografien in Sachsen, nichts mit mißglückten blühenden Landschaften, nichts mit der allgemeinen Armut in Deutschland uvm zu tun haben, ursächlich schon ganz und gar nicht, Menschen, die vor einem grauenvollen Krieg ohne jedes Hab und Gut geflohen sind, an dem sie, im Gegensatz zu uns, keine Schuld haben.

      Diese rechtsradikalen und zutiefst verrohten und verotteten Hirne brauchen mehr als kluge Worte.

       

      Gut, daß es die Partei 'Die Linke gibt'.

      Nahezu alle anderen wurschteln und reden über den rechtsradikalen Hitler-Mob hinweg (z.B. Maiziere).

      • @4932 (Profil gelöscht):

        Ich möchte nicht, dass ich mich an dem schlechten Geist infizieren.

         

        Ich würde niemals gegen Flüchtlinge demonstrieren, weder lokal noch in Dresden noch an der Wahlurne.

         

        Es geht hier nur um die Freiheit, um die Art und Weise wie Menschen dehumanisiert werden, und beschimpft, nur weil sie andere Meinungen haben, und anhand von einem Video ohne jeden Kontext zur Polemik gegen die Polizei ausgeholt wird.

         

        Wer Menschen als "Mob" bezeichnet. der entzieht sich der Diskussion. Es ist nicht in Ordnung politische Minderheiten zu diffamieren.

         

        "Menschen, die vor einem grauenvollen Krieg ohne jedes Hab und Gut geflohen sind, an dem sie, im Gegensatz zu uns, keine Schuld haben."

         

        Wenn wir die "Kitschnote" beiseite lassen, wäre das ein Grund, warum ich mich niemals gegen individuelle Menschen wenden würde mit einem solchen Hintergrund.

    • @Ansgar Reb:

      Die Polizei hat dem Mob - entschuldigen Sie, den zivil Ungehorsamen - in die Karten gespielt, indem sie Gewalt gegen die vor lauter Angst im Bus verharrenden ausgeübt hat. Die Bildwirkung ist ja wohl phänomenal fatal.

       

      Die Polizei ist für die Sicherheit aller hier lebenden Menschen zuständig. Dazu gehören auch Flüchtlinge. Ich denke nicht, dass die Polizei mit dieser Aktion die Sicherheit der Flüchtlinge weder vor Ort noch anderswo nachhaltig erhöht hat.