LGBT in Honduras: „Bleiben ist keine Option“
César Lainez setzt sich für die Rechte Homosexueller ein. Doch vor der Gewalt gegen Homosexuelle will er mit seinem Freund fliehen.
Dort lassen die Unternehmer ab 18 Uhr die Rollläden runter. „Dann übernimmt die Nachtschicht. Die ersten Prostituierten tauchen dann in den Hauseingängen auf, und die Imbisswagen machen sich auf den Gehsteigen breit“, erklärt Reyes und fordert Ferreira mit einem Wink auf, ins Büro von Arcoíris zu treten.
Arcoíris bedeutet Regenbogen und ist eine von einer Handvoll Organisationen, die sich für die Rechte der Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen in Honduras engagieren. Mit den vier Buchstaben LGBT – für Lesbian, Gay, Bi- und Transsexuell – können nur wenige etwas anfangen. In der Szene sind sie hingegen gebräuchlich. „Schwul sein und schwul auftreten ist selbst an den Universitäten noch ein Tabu“, klagt Lainez und rollt mit den Augen.
Zwar ist Homosexualität in Honduras nicht strafbar, aber Diskriminierung ist ähnlich wie in El Salvador oder Guatemala weit verbreitet. Lainez studiert Finanzverwaltung an der öffentlichen Universität von Tegucigalpa und kann bereits einen Abschluss in Informatik vorweisen. „Hier ist das Gros der Bevölkerung superreligiös, die Heteroehe ist quasi obligatorisch und jedwede andere Lebensform wird schlicht nicht akzeptiert“, erklärt er und lässt sich auf den Schreibtischstuhl fallen.
Lainez trägt eine Tolle und hat sich die Seiten und den Hinterkopf ausrasieren lassen. Seit 2013 gehört der 25-Jährige mit den auffällig vollen Lippen zu dem halben Dutzend Aktivisten, die sich bei Arcoíris engagieren und im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten weiterhelfen. „Zuhören, beraten und nach Alternativen suchen. So in etwa lautet die Reihenfolge, wenn hier jemand neu ankommt“, sagt er.
Unklar, ob die Polizei ermittelt
Heute versucht er Rubi Ferreira zu helfen. Die wurde vor zwei Wochen von zwei Freiern brutal zusammengeschlagen, als sie diese aufforderte, für ihre Dienste zu zahlen. „Das kommt häufig vor. Wir haben Anzeige erstattet, aber ob die Polizei wirklich ermitteln wird, wissen wir nicht. Die ist oft Teil des Problems“, sagt Lainez. Übergriffe gegen Mitglieder der LGBT-Szene vonseiten der Polizei hat es viele gegeben, und die Mitarbeiter von Arcoíris haben eine ganze Reihe davon dokumentiert, aber auch unzählige Gewaltdelikte von Zivilisten. Viele davon in Concepción, so heißt der wuselige Stadtteil von Honduras’ Hauptstadt, in dem Arcoíris seit 2003 aktiv ist.
Lainez wurde 2006 auf die Einrichtung aufmerksam. „Damals kam ich mit dem Arcoírs-Gründer Reyes ins Gespräch“, erinnert er sich. Heute wohnen die beiden zusammen, und auch Lainez’ 18-jähriger Freund Moises Orellana ist in der 3-Zimmer-Wohnung in der Colonia Cerro Grande untergekommen. Die liegt ein paar Kilometer entfernt auf einem der bebauten Berghänge, die das Zentrum umgeben. Sie hat schon oft als Herberge für junge Männer gedient, die zu Hause rausgeflogen sind.
Eltern, die ihre Kinder verstoßen, weil die sich zum gleichen Geschlecht orientieren, gibt es viele in Honduras. Lainez selbst hat Glück gehabt, denn seine Mutter versucht zwar nach wie vor seiner Homosexualität mit christlichen Argumenten zu begegnen, hat ihn aber nie verstoßen. Bei Orellana war das anders. „Nach dem Tod seiner Mutter im März vergangenen Jahres hat ihn seine ältere Schwester aufgenommen. Vor ein paar Monaten hat sie ihn dann vor die Tür gesetzt, weil seine Homosexualität ein Risiko für ihre beiden Kinder sei“, erzählt Lainez. Er hat noch versucht zu vermitteln – erfolglos.
Schließlich hat er seinen schlaksigen Freund aufgenommen. Orellana geht in eine protestantische Schule und soll zumindest das halbe Jahr bis zum Abitur noch durchhalten. Das ist alles andere als einfach: „Hier sind die katholischen und protestantischen Kirchen sehr konservativ eingestellt; sie schüren Stigmata und Vorurteile gegen uns Schwule“, kritisiert Lainez.
„Bodensatz der Toilette!“
Orellana, der gerade ins Büro getreten ist, hat die letzten Worte mitbekommen: „Unsere Rektorin hat mich heute als Bodensatz der Toilette bezeichnet – vor all den anderen Schülern. Nur weil ich schwul bin“, sagt er verzweifelt. Am liebsten würde Orellana hinschmeißen, denn die ständige Diskriminierung macht ihn mürbe.
Doch da macht Lainez nicht mit: „Ohne Abitur hast du keine Chance“, erklärt er leise und eindringlich und streichelt seinem Freund über den Kopf. Lainez will nicht warten, bis sich die Verhältnisse in Honduras ändern – er hat sich entschieden auszuwandern. „Nur will ich nicht ohne echte Perspektive als illegaler Hilfsarbeiter in den USA landen, sondern lieber mit offiziellen Visa und Arbeitserlaubnis in Mexiko, Chile oder Spanien“. Klare Ziele. Die soll sich auch Orellana zu eigen machen.
Orellana ist ein aufgeweckter und über beide Ohren verliebter junger Mann. Über Facebook hat er sich an Arcoíris gewandt, dort auch gleich das Profil von Lainez gesehen. „Ich fand ihn sofort hinreißend, und er hat mir zusammen mit seinem Kollegen Reyes weitergeholfen, sich wie ein Gentleman verhalten. Da habe ich mich verliebt“, erklärt er etwas verschämt im Hinterhof von Lainez’ Büro. Der hat Rubi Ferreira gerade die Adresse eines Anwalts rübergeschoben und verabschiedet sie dann.
In den fünf Monaten ihrer Beziehung hat Orellana neue Facetten des schwulen Lebens in Tegucigalpa kennengelernt. Das findet weitgehend im Verborgenen statt. Viele der jungen Männer, die sich regelmäßig bei Arcoíris treffen, im Vorderraum vor dem Fernseher, bei Musik oder beim Kartenspielen abhängen, haben schlechte Erfahrungen gemacht.
So wie Victor alias Paola. Dem schmächtigen 25-Jährigen hat man im Mai einen 22er-Revolver an die Wange gehalten und abgedrückt. „Die Kugel steckt noch im Hinterkopf, und niemand weiß, wer dafür verantwortlich war“, erklärt Lainez mit vor Empörung zitternder Stimme. Mindestens drei Morde an Transsexuellen hat es in diesem Jahr bereits gegeben. Eines der Opfer, Angie Ferreira, kannte Orellana persönlich, und auch an die Vergewaltigung von Marco Aurelio kann er sich gut erinnern. „Der kam, zwei Stunden nachdem er sich verabschiedet hatte, blutend zurück. Militärpolizisten hatten ihn aufgegriffen“ sagt er mit stockender Stimme.
Marco Aurelio, ein LGBT-Aktivist aus der Stadt La Ceiba, war anlässlich der Jubiläumsparty von Arcoíris nach Tegucigalpa gekommen und gehört zu den bekannten Gesichtern der Comunity. Auch Arcoírs-Gründer Reyes wurde 2007 festgenommen, von Polizisten geschlagen, gefoltert und schließlich in eine Zelle gesperrt, wo mehrere Häftlingen ihn vergewaltigten. „Bis heute sind die Schuldigen nicht zur Verantwortung gezogen worden“, sagt Lainez leise.
Gewalt bleibt ungeahndet
Typisch für Honduras, wo 98 Prozent der Gewaltverbrechen an Mitgliedern der LGBT-Szene nicht geahndet werden. „Wir werden wie der letzte Dreck behandelt. Die Homophobie ist weit verbreitet, und nur punktuell, so wie hier, sind wir leidlich sicher“, sagt Reyes. Er vertritt die Organisation nach außen, hält den Kontakt zu Botschaften, ist ständig auf der Suche nach Unterstützung. Für Sicherheit sorgen soll eine Polizistin, die nun immer in der Nähe des Eingangs sitzt.
Im Arcoírs steigen auch die Partys der Community. Für einen Dragqueen-Contest hatte sich Lainez vor Kurzem noch einmal in seinen engen Tüllfummel geschmissen, sich kunstvoll schminken lassen und sich so peu à peu in Alessa Jones verwandelt. Mehrere Tage hat er mit den anderen die Choreografie für die Tanz- und Laufstegshow einstudiert, denn schließlich ist er als Alessa Jones im vergangenen Jahr zur Königin von Arcoíris gekürt worden. Das verpflichtet.
Doch bei dem einen Titel wird es bleiben. Für das Paar ist klar, dass sie in Honduras nur noch auf Zeit leben. Orellana träumt davon, Lainez zu heiraten und Tourismus zu studieren. In Honduras undenkbar. „Mexiko wäre eine Option, doch lieber noch würden wir nach Spanien oder Chile gehen“, sagt er und blickt zu Lainez. Der nickt und packt dann weiter seinen Rucksack. In einer halben Stunde beginnt sein Seminar an der Uni.
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