Amnesty-Sprecher Bosch über Aufklärung von Polizeigewalt: „Es geht nicht um Misstrauen“
Der Landtag von Schleswig-Holstein debattiert über das Amt eines Polizeibeauftragten – der soll außerhalb der Behörde angesiedelt werden.
taz: Herr Bosch, im Kieler Landtag wollen die Regierungsfraktionen heute beschließen, die Stelle eines Polizeibeauftragten außerhalb der Polizei zu schaffen. Was halten Sie davon?
Andreas Bosch: Als Menschenrechtler begrüßen wir eine solche externe Stelle, die die Polizeiarbeit auf Menschenrechtsverletzungen überprüft. In einem Rechtsstaat muss staatliche Gewalt maximal kontrolliert werden. Aber wir wünschen uns eine Institution, die darüber hinausgeht.
Was heißt das?
Es ist gut, wenn ein Beauftragter auch interne Mechanismen und Strukturen der Polizei überprüfen kann. Aber bei Fehlverhalten dürfen nicht Polizisten gegen Polizisten ermitteln. In Schleswig-Holstein ist das so geplant.
In Bremen zum Beispiel ist eine Abteilung für interne Ermittlungen beim Innensenator angesiedelt. Wieso sollte polizeiliches Fehlverhalten nicht auch von erfahrenen ErmittlerInnen untersucht werden?
Die Praxis zeigt immer wieder, dass Mechanismen existieren, die dagegen sprechen – häufig kennen sich die Kollegen und auch der Innensenator ist ja noch für die Polizei zuständig. Aus unserer Sicht – aber auch aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – sind effektive Ermittlungen nur sinnvoll, wenn sie extern und nicht von einer der eigenen Dienststellen erfolgen. Wenn man PolizistInnen etwa auf den DFB oder VW anspricht, trauen sie diesen Institutionen oder Firmen auch nicht zu, gegen sich selbst zu ermitteln.
Die Polizei-Gewerkschaften kritisieren das als Misstrauensvotum gegen die Polizei.
32, Sozialwissenschaftler, engagiert sich seit 2005 bei Amnesty International und ist seit 2009 Sprecher deren Themengruppe „Polizei und Menschenrechte“.
Es geht nicht um Misstrauen. Die Polizei macht in den meisten Fälle gute Arbeit, aber bei sich selbst deckt sie Fehlverhalten eben oft nicht auf. Teilweise liegt das auch daran, dass immer noch nicht flächendeckend eine Kennzeichnungspflicht durchgesetzt ist.
Sie sprechen von Menschenrechtsverletzungen. Was meinen Sie damit?
Oft wird das Verhältnismäßigkeitsgebot nicht beachtet, es geht um Übergriffe gegen Demonstranten, Fußballfans aber auch gegen Einzelpersonen. Ich meine etwa die Schläge und Tritte, zu denen es kommt, wenn jemand schon längst überwältigt wurde. In Gewahrsamsräumen wird immer wieder von solchen Fällen berichtet. Von Folter aber würde ich nicht sprechen – außer in dem Fall, in dem in Hannover Polizeibeamte gegen Flüchtlinge in der Zelle vorgegangen sind.
Wie häufig kommt das vor?
Gewalttätigkeiten müssen wir sehr häufig dokumentieren – übrigens besonders oft gegen Ausländer. Man spricht im Jahr durchschnittlich von 2.000 bis 3.000 Anzeigen gegen PolizistInnen wegen missbräuchlicher Gewaltanwendung.
Davon kommt allerdings nur ein Bruchteil zur Anklage.
Dass die Anzeigen nicht zu Verfahren führen, ist genau das Problem. Die häufigsten Vorfälle haben wir bei der Bereitschaftspolizei, vor allem bei Großlagen und Demonstrationen, wo die Beamten kaum zu identifizieren sind. Und natürlich gibt es auch einen Korpsgeist, dass Kollegen nicht gegen ihre Kollegen aussagen.
Aber daran ändert eine externe Beschwerdestelle auch nichts.
Das stimmt, aber an einen Polizeibeauftragten kann sich ein Beamter auch anonym wenden, ohne später auf der Dienststelle als Nestbeschmutzer beschimpft zu werden.
In den Niederlanden und Großbritannien gibt es schon lange eine externe Beschwerdestelle. Wie läuft es dort?
In Großbritannien gibt es die „Independent Police Complaints Commission“, die IPCC, die gerade bei größere Fällen von polizeilichem Fehlverhalten zum Einsatz kommt oder wenn Schusswaffen zum Einsatz kamen. Sie ermittelt eigenständig – an Stelle der Staatsanwaltschaft. In bestimmten Fällen überwacht die IPCC auch die reguläre Ermittlungsarbeit der Polizei.
In welchen Fällen?
Die IPCC greift etwa ein, wenn auffällt, dass die Behörde nur in eine Richtung ermittelt. Beim NSU wäre so eine Stelle sehr hilfreich gewesen.
Seit wann beschäftigt sich Amnesty International mit dem Thema Polizeigewalt?
Bei Amnesty begann das Anfang der 1990er-Jahre mit einem Bericht zu Rassismus innerhalb der Polizei.
Was hat sich verändert?
Damals wurden wir vor allem beschimpft. Auch heute teilen viele PolizistInnen unsere Forderungen nicht, aber wir befinden uns im Dialog.
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