piwik no script img

Popfestival in FrankfreichLiberté, egalité, diversité

„Trans Musicales“ in Rennes ist das wichtigste Festival in Frankreich – das erste große nach den Anschlägen. Es kontert Angst mit Vielfalt.

Pop lässt sich auch im Ausnahmezustand den Spaß nicht verderben. Foto: Alexis Janico/Trans Musicales

Lange her, dass beim Frühstück die Rede auf die Blow Monkeys und Wet Wet Wet kam. Solche britische Popbands also, die selbst bei der gefühlten 750-Jahr-Feier des Achtziger-Revivals keine Berücksichtigung finden werden, weil sie irgendwie zu cheesy waren und sind. Aber genau diese peinsame Reinkarnation von blässlicher Cheesyness erklingt am Donnerstagabend, als die französische Band Her beim Festival „Trans Musicales“ auf dem Expo-Gelände in Rennes konzertiert. Niemand von der anwesenden internationalen Journaille und Musikwirtschaft kann sich am nächsten Morgen die Vorschusslorbeeren erklären, mit denen das Quartett aus Paris bedacht wurde.

Aber der Reihe nach. Das Festival „Trans Musicales“ geht in die 37. Ausgabe, es ist immer noch das wichtigste seiner Art in Frankreich. Man sieht das etwa daran, dass das französische Kulturmagazin Les Inrockutibles in seiner aktuellen Ausgabe Künstlern, die in Rennes auftreten, Porträts widmet. Vier Tage Anfang Dezember schaut die Grande Nation in die bretonische Universitätsstadt. Das Besondere an „Trans Musicales“: Es treten weithin unbekannte Künstler auf, und die Zuschauer lassen sich darauf ein. Dieses Jahr gebührt dem Festival besondere Aufmerksamkeit, schließlich ist „Trans Musicales“ das erste kulturelle Großereignis nach den Terroranschlägen des 13. November.

Die Zuschauerzahlen sind zwar im Vergleich zu den vergangenen Jahren zurückgegangen – ein drastischer Einbruch, wie man ihn nach den Anschlägen bei Veranstaltungen in Paris derzeit erlebt, ist nicht feststellbar. Und so viel lässt sich sagen, auch das Sicherheitskonzept ist aufgegangen. Wenn man bedenkt, was es braucht, um bis zu 8.000 Feierwütige zu schützen, dann funktionieren die Leibesvisitationen an gleich mehreren Sicherheitsschleusen so dezent wie eben möglich. Auch in den Hallen selbst patrouillieren Securitys. Und es passt zum Ausnahmezustand im Land, dass in Rennes am Eingang von Einkaufszentren Taschenkontrollen durchgeführt werden.

Anders als in Paris, wo anlässlich des Klimagipfels COP21 das Demonstrationsrecht erschwert wurde, was radikale Umweltschützer auf die Barrikaden brachte, murren die Festivalbesucher in Rennes nicht über präventive Maßnahmen. Gleichwohl versucht Béatrice Macé, Koleiterin des Festivals, in ihrem Grußwort eine Verbindung zum Klimagipfel herzustellen. Biodiversität sei genauso wichtig wie kulturelle Vielfalt, schreibt sie da.

Von Neo-Krautrock bis Grime

Mit der Band Her hat jene kulturelle Vielfalt wohl kaum zu tun. Die beiden Bandlenker Victor Solf und Simon Carpentier wirken in ihren schwarzen Smokings und Yuppie-Hosenträgern wie Personal aus Bret Easton Ellis’ Roman „American Psycho“, dazu trägt der Bassist ganz besonders schlimm anzusehende Haarextensions und ausrasierte Seitenhaare. Und seine exaltierte Körpersprache passt so gar nicht zum relaxten Lounge-Funk, den Her darstellen möchten. „Sensuelle Chansons“ sollen die Songs sein, mit Anleihen bei Frank Ocean. Und nicht mal im Bandnamen steckt ein Hauch von Subversion.

Die Festivalbesucher in Rennes murren nicht über Sicherheitsmaßnahmen

Etwas subversiver – und sehr viel origineller – geht Klaus Johann Grobe zu Werke. Das ist kein des Lebens überdrüssiger Sturm-und-Drang-Dichter, sondern der Name eines Duos aus Zürich, das am Donnerstag im Theater „Ubu“ in der Innenstadt gastiert. Sturm und Drang passt aber insofern zu Klaus Johann Grobe, weil sich die Musiker mit fliegenden Hallfahnen dem Krautrock verschrieben haben: Seine prismatischen Psychedelika und der schnurgerade Motorikbeat bestimmen den Bandsound, der live von einem Gitarristen unterstützt wird.

Mit der Farfisa-Orgel erzeugt Sevi Landolt Horrormovie-artige Klanggemälde, dazu singt er zusammen mit dem Drummer Daniel Bachmann lakonische deutschsprachige Texte. „Baby, lass uns sein“ heißt einer dieser runtergestrippten Rockpop-Tracks. Erstaunlich, dass Neo-Krautrock inzwischen besser klingt als die Originale aus den Siebzigern.

Wie schwierig es Talenten fällt, sich zu behaupten, zeigt dagegen am späten Donnerstagabend das Konzert der Londoner Künstlerin Georgia Barnes. Was war nicht alles über die 21-Jährige zu lesen gewesen: Begleitmusikerin von Kate Tempest, Tochter des britischen Dancefloor-Produzenten Neil Barnes (Leftfield), ehemalige Profifußballspielerin von Queens Park Rangers. Und jetzt setzt sie zu einer Solokarriere an. Allerdings legt sie in Rennes beim Versuch, den Stil Grime mit tribalistischen Beats und clubbigen Vibes zusammenzubringen, eine Bruchlandung hin: All die Euphorie, all die Wucht gehen ins Leere. Georgia und ihre Begleiter wirken beim Vortrag auf der Bühne tapsig. Beats und Keyboards bollern, große Gesten misslingen.

Stilwillen bekundet am Freitag das Pariser Trio Camp Claude im „1988 Live Club“. Wenn die Sängerin und Gitarristin Diane Sanier „Trouble is having fun“ singt oder „We’re lost and found“ und dazu verschmitzt lächelt, kommt zur Geltung, was bei vielen anderen Künstlern des Festivals gefehlt hat: Eleganz. Und dann ist da noch Saniers zu kurze schwarze Röhrenjeans und der weiße Mohair-Pullover, der ihr ein bisschen Flair verleiht. Und wenn man sich fragt, wo Popmusik mit postkolonialen Wurzeln bleibt: Das Quartett Midnight Ravers aus Lyon, das später am Freitagabend im Club Le Kenland auftritt, hat reichlich davon.

Wenig Popdiskurs, viel Party

Drei der vier Musiker kommen aus der malischen Hauptstadt Bamako, der Kora-Spieler Madou Diabaté, der Perkussionist Soungallo Diarra und die Sängerin Fatima Kouyaté. Als „Electro-Mandingue“ bezeichnen Midnight Ravers ihren Sound, der Lyoner Dominik Peter mischt Beats und flächige Effektpad-Soundscapes unter die Folk-Klänge der malischen Bandkollegen. Mit State of the Art hat sein Klangkonzept nichts zu tun, eher wirkt Peter wie DJ Shadow oder einer jener Beatschmiede der Neunziger. Zum Kern der Band gehört auch ein bildender Künstler: Beim Konzert zeichnet Emmanuel Prost Silhouetten der Bandkollegen, die via Kamera auf einer Leinwand gezeigt und überblendet werden, was den Vocals und den ausschweifenden Sounds zusätzliche Magie verleiht.

In Zeiten wie diesen freue sie sich über jede positive Nachricht, erklärt Aude Tillette, Projektmanagerin des französischen Exportbüros in Paris kurz zuvor bei einem Speed-Dating ihrer Organisation im Kulturzentrum Liberté. Promoter, Tourveranstalter und Labelmanager sind gekommen, um Business-Kontakte zu knüpfen. Tillette berichtet, wie die französischen Unterhaltungsindustrie seit den Anschlägen zu kämpfen hat. Die ersten Clubs in Paris haben Staatshilfen beantragt. Zudem geht die Angst vor einem Rechtsruck um, und wie sich am Sonntag bei der ersten Runde der Regionalwahlen gezeigt hat, nicht unbegründet. Tillette erklärt, die Anschläge vom 13. November hätten die Menschen gelähmt, das spiele den Rechtsextremen in die Karten.

Dem Autor und seiner deutschsprachigen Begleitung entbieten am Freitagabend nahe der Markthalle am Place des Lices zwei Männer den Hitlergruß. Zum Glück ist auf dem Expogelände am nächsten Abend das Gegenteil zu erleben: drei junge Frauen, die dringend Tipps brauchen, wie sie beim nächsten Berlin-Besuch am besten am Türsteher vorbei ins Berghain kommen. Später in der Samstagnacht tauchen die drei im Green Room, dem Ravezelt auf dem Expogelände, im Pulk mit anderen Youngstern auf.

Die Crowd geht steil zum Sound der belgischen DJ Raving George (Charlotte de Witte): Die 25-Jährige aus Brüssel legt ein mit Industrialmusic angehauchtes Peakhour-Geboller auf, das an die große Benelux-Tradition zwischen Electronic Body Music (EBM) und Rotterdam-Gabber anknüpft. Wenn das Festival „Trans Musicales“ 2015 manchmal den Bezug zu aktuellen Popdiskursen vermissen lässt, so ist hier im Green Room am Samstagnacht die Party-Gegenwart zu erleben, die die Besucher zum Tanzen bringt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!