: Fahrradlinie Nummer eins
VERKEHR 1 Die Initiative „Radbahn“ legt ein Konzept für einen neun Kilometer langen Fahrradweg entlang der U-Bahn-Linie 1 vor – der soll teils überdacht sein. Für ihr ambitioniertes Projekt wurden sie am Montag vom Bundesumweltministerium ausgezeichnet
von Klaas-Wilhelm Brandenburg
Fahrradfahrer in Berlin sind geschundene Seelen – kein Wunder also, dass über dieses Projekt große Freude herrscht: Eine Gruppe aus zwei Frauen und sechs Männern hat eine Initiative für einen fast neun Kilometer langen Radweg vom Bahnhof Zoo bis zur Warschauer Brücke gestartet. Das Besondere: Auf acht der neun Kilometer wäre dieser dank des Hochbahn-Viadukts der U1 überdacht – und Fahrradfahrer damit weitgehend geschützt vor Regen und Schnee.
„Radbahn“ nennt sich das Projekt, das Charlottenburg, Schöneberg, Kreuzberg und Friedrichshain miteinander verbinden soll. „Es wäre der erste überdachte Radweg weltweit“, sagt Simon Wöhr. Mehr als ein Jahr lang hat er sich gemeinsam mit seinen sieben Mitstreiter_innen immer wieder getroffen – nach Feierabend, denn alle sind berufstätig. Insgesamt 600 Euro haben sie aus eigener Tasche bezahlt, um jetzt mit der Idee an die Öffentlichkeit zu gehen: „Wir sehen das als Beginn einer neuen Zeitrechnung für eine zukünftige Fahrradstadt Berlin.“
Vom Bahnhof Zoo soll es über die Tauentzienstraße bis zum Wittenbergplatz gehen, weiter entlang der U2 bis zur Bülowstraße, durch den Park am Gleisdreieck und über den Landwehrkanal, danach unter der U1 bis zur Warschauer Brücke. Ein Großteil davon ist heute schon befahrbar, „nur ist es noch unangenehm“, meint Matthias Heskamp, einer von vier Architekt_innen im Team. Viele Schlaglöcher seien entlang der Strecke, weshalb man den Belag auf jeden Fall ausbessern müsse. „Aber es gibt auch Teilstrecken, die wunderschön sind, wo man am Kanal entlangradelt und es links und rechts grün ist.“
Eine grüne Strecke
In der Wunschvorstellung des Radbahn-Teams soll es auf der ganzen Strecke viel Grün geben, zum Beispiel dank Urban Gardening von Anwohner_innen. Vom Drive-In-Café bis zur mobilen Fahrradwerkstatt könnten sich verschiedenste Mikrounternehmen entlang des Weges ansiedeln. Ampeln sollen den Fahrradfahrern anzeigen, wie schnell sie fahren müssen, um eine grüne Welle zu haben. Und druckempfindliche Bodenbeläge würden die Bewegungen der Räder in Strom umwandeln, mit dem dann der Weg von oben beleuchtet werden könnte.
Das alles ist nicht umsonst zu haben, aber: „Wir sind nicht der Meinung, dass Fahrradinfrastruktur kein Geld kosten darf“, so Simon Wöhr. „Fahrradstadt wird man schließlich nicht einfach so.“ Das Team wolle weg vom Flickenteppich der Berliner Radpolitik, wo immer nur kleine Stellen repariert würden: „Wir wissen, dass diese Idee sehr großen politischen Willen braucht, aber wir wissen auch, dass 2016 Wahlen sind.“
Autofahrer haben in Berlin 19-mal mehr Flächen als Radfahrer, so der Flächen-Gerechtigkeits-Report der Agentur für Clevere Städte von 2014, für den knapp 200 Berliner Straßen vermessen wurden. Autofahrer haben demnach 58 Prozent der Verkehrsfläche zur Verfügung, Fußgänger 33 und Radfahrer 3 Prozent.
Im Ranking der fahrradfreundlichsten Städte der Welt,dem sogenannten Copenhagenize Index, ist Berlin vom 5. Platz 2011 auf den 12. Platz in diesem Jahr abgerutscht. Beim alle zwei Jahre durchgeführten „Radklima-Test“ des ADFC kam Berlin deutschlandweit 2014 sogar nur auf den 30. Platz von 39 Großstädten – 2012 stand die Hauptstadt noch auf Platz 24.
Mehr Infos zur Radbahn auf www.radbahn.berlin. (kwb)
Deshalb haben die Radbahner bereits Briefe und E-Mails an Politiker_innen aus dem Abgeordnetenhaus und den Bezirken geschickt, und bereits im September hätten sie Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel auf ihre Idee angesprochen. „Die Initiatoren der Radbahn sind mit ihrer Idee noch nicht an uns herangetreten“, sagt dagegen der Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Martin Pallgen.
Immerhin findet Pallgen, dass die Idee selbst „erst einmal gut klingt“, diese aber nur eine Ideenskizze sei, „der keine weitergehende Betrachtung der bautechnischen und auch der finanziellen Auswirkungen zugrunde liegt“. So ließen sich Radwege, die auf dem Mittelstreifen verlaufen, „grundsätzlich nur schwer an das umgebene Radverkehrsnetz anbinden“.
Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club hat eher Bedenken: „Ein Radweg mit einer Breite von etwa zwei Meter ist für einen Zweirichtungs-Radweg nicht verkehrssicher“, meint Bernd Zanke aus dem Berliner Landesvorstand. „Wir hatten intern auch Diskussionen, ob sich das alles realisieren lässt“, gibt Matthias Heskamp zu, „aber wir haben schnell gesagt: bleiben wir bei der Vision, reden wir sie nicht mit Problemen klein, sondern erzählen wir sie in ihrer vollen Kraft unserer Stadt.“
Manche Fragen bleiben trotzdem weiter offen: Wie umschifft man die U-Bahnhöfe, die den Weg immer wieder unterbrechen würden? Und wie schafft man es, große Kreuzungen für Fußgänger, Fahrrad- und Autofahrer sicher zu machen?
Für einige neuralgische Punkte schlägt das Team Brücken vor, die an die Hochbahn angehängt werden und auf denen die Radfahrer dann ungestört vom Autoverkehr fahren könnten. Zur Not wären Simon Wöhr und seine Mitstreiter_innen auch bereit, erst mal nur eine Teilstrecke von der Warschauer Brücke bis zur Möckernbrücke zu realisieren, „wo es vielleicht einfacher geht, das wäre ja auch schon ein großer Schritt“.
Simon Wöhr, Projekt „Radbahn“
Projekt im Netz ein Hit
Trotz aller Kritik an den Details ist das Projekt im Netz ein Hit: „Genial“ findet es einer von über 7.000 Nutzer_innen auf Facebook, die schon „Gefällt mir“ geklickt haben, „einfach großartig“ ein anderer. „Wir freuen uns darüber sehr“, sagt Simon Wöhr: „Wir haben wohl irgendwie was richtig gemacht.“
Aber nicht nur auf Facebook gibt es viel Zuspruch: Montagabend wurde das Projekt auch mit dem Bundespreis Ecodesign ausgezeichnet, der jährlich vom Bundesumweltministerium und dem Umweltbundesamt vergeben wird. „Dieses Projekt ist ein vorbildliches Beispiel dafür, wie in bestehenden, aber bislang ungenutzten Ressourcen im urbanen Raum neues Potential erkannt und in ein öko-freundliches Gesamtkonzept eingebunden wird“, begründet Ferdinand Ulrich den Preis im Namen der Jury. „Mit der Radbahn kann ein Diskurs über die Attraktivität des Fahrradfahrens im Stadtverkehr in Gang gesetzt werden – diese Strecke in Berlin hat es besonders nötig.“
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