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Entstehung nationalistischer BewegungenSie brauchen den Hass

Pegida, AfD, NPD: Rechte Bewegungen und Parteien haben starken Zulauf, weil sie klare Feindbilder und einfache Lösungen bieten.

Auch sie trifft der rechte Hass: „Volksverräterin“ Merkel Foto: ap

Im Frühjahr 2013 entstand als Reflex auf die Euro-Krise eine neue bürgerliche Partei rechts des etablierten Spektrums. Mit beträchtlichem Erfolg bündelte sie Protestpotenzial gegen den Euro und gegen Brüssel, sie gewann Anhänger mit dem populistisch intonierten Sehnen nach der Wiederkehr des Nationalstaats.

Im Herbst 2013 verfehlte die Alternative für Deutschland (AfD) ganz knapp den Einzug in den Bundestag. Mit dem Plädoyer gegen Zuwanderung und zur Bewahrung „abendländischer Kultur“, Feindseligkeit gegen Muslime und Parolen gegen eine als bürgerfeindliche Schimäre denunzierte „Political Correctness“ zog die AfD ins Europaparlament und dann in die Landtage von Thüringen und Brandenburg.

Mit dem Beifall der Wähler radikalisierte sich die Partei bis zum Rauswurf ihres professoralen Hoffnungsträgers Bernd Lucke im Sommer 2015. Der gründete mit seinen Anhängern ein neues Becken, in das der Unmut des Mittelstands über das Ungemach der Zeitläufe fließen kann. Auch die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa) des Professors wird sich radikalisieren, denn ohne undifferenzierte Verurteilung von Missständen, ohne Brandmarkung von Gegnern, ohne rabiate Feindstilisierungen bleiben die Leute nicht bei der Stange. Das ist ein Bewegungsgesetz des rechten Populismus. Zur politischen Gesetzmäßigkeit gehört auch die Türöffnerfunktion der auf Demagogie basierenden randständigen rechten Bewegungen für den Rechtsextremismus.

Das zeigt die gerade ein Jahr alt gewordene skurrile Dresdner Bewegung, die es schafft, ohne Programm und ohne überzeugendes Personal Tausende Missmutige auf die Straße zu bringen. Wutbürger demonstrieren montäglich gegen die Idee der Toleranz, offenbaren ein krudes Weltbild aus Fremdenhass und Zorn gegen die Obrigkeit, zeigen sich als frustrierte Underdogs, die sich von Partizipation ausgeschlossen fühlen, weil sie das System der repräsentativen Demokratie nicht verstehen wollen und die Möglichkeiten politischer Teilhabe, die geboten sind, verschmähen und verachten.

Sie bedienen Existenzängste und Frustrationen

Das auftrumpfende Unbehagen, das die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ unter der geklauten Parole „Wir sind das Volk“ demonstrieren, hatte außer dem Missmut über komplexe und schwer verständliche politische Strukturen kein Programm. Verschwörungsfantasien lenkten die Wut gegen Politiker und Bürokraten, beschworen Argwohn gegen die Medien. Die Probleme Europas und die Realität der Globalisierung erzeugten den Wunsch nach nationalstaatlicher Geborgenheit, das bedeutet aber auch Ausgrenzung und Abwehr von Fremden. Als gemeinsamer Nenner gefühlter Ängste und plagender Sorgen dient das Feindbild Islam. Gedungene Scharfmacher hantieren mit den Versatzstücken rechter Ideologie, predigen Fremdenhass, Islamfeindschaft und Nationalismus, sie bedienen damit Existenzängste und Frustrationen ihrer ratlosen Klientel.

Wolfgang Benz

geboren 1941, ist ein deutscher Historiker und international anerkannter NS-Forscher. Er leitete von 1990 bis 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Zudem beschäftigt er sich mit Islamophobie und anderen Bereichen der Vorurteilsforschung. Einige seiner Werke gelten als Standardwerke, so der Titel „Was ist Antisemitismus?“ (2004) oder das mehrbändige „Handbuch des Antisemitismus“. Benz ergreift immer wieder das Wort zu aktuellen Problemen wie dem Minarett-Streit in der Schweiz oder Äußerungen von Thilo Sarrazin.

Die Politik, insbesondere die sächsische Regierung, hätte früher und entschiedener reagieren müssen. Viel zu lange wurde beschönigt, kleingeredet, weggeschaut. Man war vor allem um Streicheleinheiten und Mitleid für die erzürnten Bürger bemüht. Die Haltung, man müsse die Leute dort abholen, wo sie stünden, führte dazu, dass die Abholer bei den Protestierenden stehen blieben, trösteten, Verständnis zeigten und blind sein wollten gegenüber dem rechten Potenzial, das freudig von Demagogen und Extremisten ausgenutzt wurde.

Politiker hätten, als sie auf die besorgten Bürger zugingen, gleichzeitig entschieden sagen müssen: Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Denunziation und Hetze gegen Minderheiten ist in der demokratischen Gesellschaft nicht erlaubt. Der Dialog mit Unzufriedenen ist wichtig und die Politiker müssen die Ängste und Sorgen aller Bürger ernst nehmen. Das ist ihre selbstverständliche Pflicht. Aber es ist auch notwendig, klarzumachen, dass Hass gegen Ausländer und Diffamierung von Asylbewerbern den Konsens der Gesellschaft zerstören, da nicht mit dem Grundgesetz und dessen Wertekanon vereinbar.

Der Flüchtlingsstrom bot der Bewegung ein Ziel

Den Schmusekurs der ersten Wochen und Monate hat die Pegida-Bewegung – natürlich – nicht honoriert. Ob es qua Amt geboten war, dass die Landeszentrale für politische Bildung den kommunikationsunfähigen Pegidaleuten („Lügenpresse“) moderierend zu Hilfe eilte und ihnen zur ersten Pressekonferenz verhalf, steht längst nicht mehr zur Debatte. Die Radikalisierung war vorgezeichnet, wurde aber spät erkannt. Wenn „Ausländer raus!“ gegrölt wird, wenn Wohnheime brennen, wenn bei einer Pegida-Veranstaltung ein Galgen für die „Volksverräterin“ Merkel herumgetragen wird (die Polizei scheint ihn nicht bemerkt zu haben), dann artikulieren Politiker und Medien im Schulterschluss Abscheu vor Rechtsextremen, verurteilen gar die Demonstrierenden als „Pack“.

Am Jahresende 2014 schien das Ende der Aufwallung gekommen. Der Anführer zeigte im Internet sein wahres Gesicht, heuchelte Reue, trat zurück, um wiederzukehren, nachdem das Personal davongelaufen war. Die Teilnehmer der Montagsdemos blieben aus, Wiederbelebungsversuche mit Gastdemagogen hatten weniger Zugkraft als erhofft. Der Flüchtlingsstrom bot der Bewegung dann endlich Ziel und Programm mit konkretem Fremdenhass.

Stimuliert von der radikal erneuerten und zur rechten Protestpartei mutierten AfD und instrumentalisiert durch die NPD finden sich die Pegidaleute wieder auf den Straßen Dresdens, brüllen Hasspredigern wie dem notorischen Hetzer Akif PirinçciBeifall und bestätigen sich gegenseitig in ihrer Abneigung gegen politische Moral und bürgerlichen Anstand. Sie verwahren sich mit gebotener Entrüstung gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus, betreiben aber dessen Geschäft.

Die Pegidagefolgschaft legt Wert auf bürgerlichen Habitus und will sich nicht als rechtsextrem beschimpfen lassen. Begreifen müsste sie aber: Die Lehren aus der Katastrophe des Nationalsozialismus müssen für den Umgang mit allen Minderheiten gelten. „Fremde“ dürfen nicht als Störenfriede spießbürgerlichen Behagens und dumpfpatriotischen Selbstgenügens stigmatisiert werden. Der Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im Stress der Wende war ein Menetekel. Der Hass gegen und die Angst vor Asylbewerbern und die Wut gegen Muslime lassen zweifeln, wie tragfähig die häufig deklamierte Metapher „Nie wieder“ im Alltag ist.

Im 20. Jahrhundert führte das zur Katastrophe

Rechtspopulisten, die sich in Sekten zusammenfinden und wieder auseinanderlaufen, die sich spalten und neue Bünde gründen, sind nicht „das Volk“. Sie sind randständig, bieten dem Rechtsextremismus das Einfallstor und kultivieren die Schmähung des Gegners anstelle von Diskurs, genügen sich in stummer Verweigerung statt Argumente auszutauschen und pflegen Gemeinsamkeit durch Hasstiraden.

Die Abwesenheit jeder konstruktiven Idee ist ersetzt durch stumpfes Bramarbasieren und Wutgeheul. Für Pegida-Mitläufer wie für Anhänger der Alternative für Deutschland und ähnliche Gruppierungen im bürgerlichen Gewand, die sich nicht als Rechtsradikale verstehen und die nicht Neonazis genannt werden wollen, gilt: Auch mit Äußerungsdelikten vulgo Hassparolen, Volksverhetzung, Beleidigung, Rassismus wird man kriminell.

Europa befindet sich in einer Krise, die auch die deutsche Gesellschaft erfasst. Die Angst vor der Völkerwanderung aus Bürgerkriegsflüchtlingen und Migranten aus schierer existentieller Not, die Gefahr, die von Zuwanderern überhaupt und vom Islam im Besonderen angeblich ausgeht, ist Bestandteil des alltäglichen Lebens. Die Reizvokabeln der Ideologen finden den Nährboden in existenziellen Ängsten.

Die Adressaten sind resistent gegen rationale Argumente, denn Bedrohungsszenarien und Verschwörungsfantasien sind wirkungsvoller als Vernunft und Logik. Die Rezepte der Ausgrenzung, mit denen im 19. Jahrhundert Demagogen ähnlichen Herausforderungen zu begegnen versuchten, haben in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts geführt. Sie wieder zu verwenden wäre fatal. Es geht nicht nur um die Menschen- und Bürgerrechte von Minderheiten, sondern um die demokratische Gesellschaft, die aus der Erfahrung nationalsozialistischer Diktatur gegründet wurde.

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10 Kommentare

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  • Teil 2:Außerdem sollte Aufklärung betrieben werden, welchen schlimmen Einfluss solche Dressur haben kann, wenn sie von Kindheit an eingeprügelt wird. Wie wiederum aus diesen ehemaligen Opfern, später Täter werden können, diesen Prozess zu verdeutlichen finde ich wichtig. .Die Wut, die diese Menschen spüren werden, aufgrund der Unterdrückung und Gewalt die ihnen angetan wurde, muss auf die wieder gerichtet werden, die sie misshandelt haben, sonst läuft dieser Mensch Gefahr das erlittene Schicksal ungefiltert weiterzugeben und ebenfalls wieder Opfer zu produzieren. Es ist wichtig dabei zu verstehen, wie machtlos/ohnmächtig sie als absolut abhängiges Kind waren (das kann extrem wehtun!). Wut aber darf niemals dazu führen, selber Gewalt auszuüben. Wut sollte immer konstruktiv sein und sich nicht der Mittel bedienen, die diese "Sektenführer",so nenne ich sie auch, angewandt haben. Wut kann bedeuten, sich an Beratungsstellen zu wenden oder später sogar vielleicht zu organisieren, um Menschen, die aussteigen wollen zu helfen. Wut kann bedeuten, sich deutlich von diesen, krankhaft Fanatisierten, vor allem, wenn es die eigenen Eltern waren (die selber eben auch schon durch die eigenen Eltern fanatisiert wurden, mutmaßlich), abzugrenzen, was vielen schwer fallen dürfte, weil Kinder eben ihre Eltern lieben. Damit meine ich aber nicht, jede Kritik über Bord zu werfen, das wäre ja genau so radikal wieder, aber doch auch selbstkrisch zu werden. Selbstreflexion wäre super, „Wer bin ich wirklich und wozu wurde ich gemacht?“ Am Ende hilft nichts besser als sich selber ein Bild zu machen und differenzierter zu argumentieren.

  • Teil 1:Ich sehe die ganze Entwicklung komplett anders, denn in meinen Augen hat auch linker Populismus die ganze Entwicklung mit angeheizt und das System "Feindbild" funktioniert auf allen Seiten. Und immer sind die Extremen unter den Demonstranten , die Gewalt bagatellisieren und als Lösung ansehen, das eigentliche Problem. Gegenseitige Provokation scheint oft auch das Motiv zu sein. Auch das Bedürfnis, Recht zu behalten, spielt eine Rolle und gießt immer wieder neues Öl ins Feuer. Mir ist das Wichtigste dass die Menschen, die jetzt dort noch mitgehen auch immer mehr erkennen, dass es nicht das ist, was sie wirklich wollen und dass jetzt ein Maß erreicht ist, wo sich kein Mensch mehr rausreden kann. Ader auch die Menschen unter ihnen, die in ihrer Kindheit entsprechend gedrillt wurden durch die Eltern und z.B, möchte ich hier helfen sichtbar zu werden. Dazu ein Artikel, wie Kinder der ehemaligen DDR einer bestimmten Ideologie unterworfen wurden von den eigenen Eltern z.B. Er lautet: Heidi und die Brandstifter und ist auf zeit online zu finden: http://www.zeit.de/2015/41/neonazis-pegida-ausstieg-rechte-szene/komplettansicht

     

    Mein Kommentar zu dem Artikel: Absolut grausam und nicht zu unterschätzen. Hier sollten doch ganz dringend Angebote gemacht werden (Beratungsstellen für Menschen die aussteigen wollen). Denn das, so bin ich überzeugt, geht sicherlich oft nur unter Gefahr für sein Leben.

  • Und, was ich noch vergessen habe:

     

    Die Rechten sind ein Teil unserer Gesellschaft. Und zwar der Bodensatz eines neoliberal, nur am Gewinn orientierten Systems, das auf Menschenverachtung und Ausbeutung setzt.

     

    Die Rechten sind die Verlierer in diesem System. Ungebildet, belogen, unzufrieden, menschenverachtend, egoistisch und voll von Hass (den sie aber nicht brauchen, der in ihnen entstanden ist).

     

    Wären diese „Verlierer“ zumindest halbwegs gut gebildet und informiert, würden sie wahrscheinlich linke Parteien unterstützen und ihren „Gegner“ in der Regierung und den Chefetagen der Konzerne und Banken finden.

     

    Nach unten treten und Asylanten angreifen, damit sind die Rechten genau wie die, die sie zu Rechten gemacht haben.

     

    Ob jemand, der Waffenlieferungen nach Saudi Arabien unterstützt, besser ist, als einer der in Dresden Asylanten verprügelt, soll jeder selber entscheiden.

     

    Der Unterschied ist das Auftreten in der Gesellschaft und die Höhe des Einkommens.

  • „Sie brauchen den Hass“, schon der Deutungsversuch ist Teil des Problems.

     

    „Verschwörungsfantasien lenkten die Wut gegen Politiker und Bürokraten, beschworen Argwohn gegen die Medien.“

     

    „Verschwörungsfantasien“ entstehen meist dann, wenn man belogen oder schlecht informiert wird.

     

    „Abneigung gegen politische Moral und bürgerlichen Anstand.“

    Politische Moral? Bürgerlicher Anstand? Lächerlich! Lobbyismus, Korruption, Betrug ist das, was floriert.

     

    Leider findet so etwas wie eine Aggressionsverschiebung statt. Die Rechten treten nach unten, anstatt gegen die „da oben“ zu demonstrieren. Aber auch das hat System. – Alles schon 'mal dagewesen.

    • @Julianne:

      Vor allem der letzte Absatz: Richtig!

    • @Julianne:

      Das Verhalten ist in der Tat bedrückend ähnlich. Der Verweis auf angeblich "solides" politisches Tagesgeschäft auch.

  • "(...) bestätigen sich gegenseitig in ihrer Abneigung gegen politische Moral und bürgerlichen Anstand. (...)"

     

    Aber wer lebt sie vor, die politische Moral und den bürgerlichen Anstand?

     

    Prominentenfixiert wie viele von uns sind (auch ich!) blicken wir überwiegend in moralisch abgründige Visagen und auf die Hochglanzgesichter unanständiger Absahner.

     

    Weit und breit keine bis wenige Orientierungspersönlichkeiten. Der Wegbeißer von Willy Brandt erfreut sich eines biblischen Alters. Und Gustav Heinemann, wer war das noch mal? Oder sein Pendant Otto Grotewohl...

  • "(...) sondern um die demokratische Gesellschaft, die aus der Erfahrung nationalsozialistischer Diktatur gegründet wurde.(...)

     

    Meine um 1920 geborenen Eltern waren (in der DDR bis 1955 lebend) KEINE Demokratiegründer! Und war es nicht im Westen so, daß die Allierten die "Demokratie" importierten?

    • @Gion :

      Nein, so war es nicht. Die Demokratie gab es schon vor Hitler.

  • Zu diesem gelungenen Artikel eine Buchempfehlung

    Über den Hass, seine Entstehung, seine destruktive Kraft und Gegenreaktion etc.

     

    Friedrich Schorlemmer; Titel: Lass es gut sein; S. 145 ff. ... Dem Hass widerstehen.