: Knapp vorbeiberauscht
SPD-ABSTIMMUNG Hauchdünne Mehrheit der Genossen will keine Cannabis-Freigabe, die damit aus dem Wahlprogramm fliegt
von Antje Lang-Lendorff
Die Berliner SPD wird sich in ihrem Programm für die Abgeordnetenhauswahl 2016 nicht für eine Legalisierung von Cannabis starkmachen. Das ist eines der Ergebnisse der Mitgliederbefragung, die Landeschef Jan Stöß am Montagnachmittag der Öffentlichkeit vorstellte. Die Partei ist, was den Umgang mit Marihuana angeht, gespalten: 44 Prozent der Genossen sprachen sich in der Befragung gegen eine kontrollierte Abgabe aus. 43,2 Prozent waren dafür, 13 Prozent enthielten sich. Zwar trennen Befürworter und Gegner einer Legalisierung nur magere 63 Stimmen. Für Jan Stöß ist die Botschaft trotzdem klar: „Eine Mehrheit ist skeptisch, also wird das keinen Einzug halten in unser Wahlprogramm.“
Ab Mitte Oktober konnten die knapp 17.000 Berliner Genossen über zwölf vom Landesvorstand ausgewählte Fragen abstimmen. 7.636 SozialdemokratInnen nutzten diese Möglichkeit, das sind 45 Prozent. Das Themenspektrum reichte von Bildungs- über Gesundheitsfragen bis hin zur inneren Sicherheit (siehe Kasten).
Wahlrecht: Soll sich die SPD für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei den Abgeordnetenhauswahlen einsetzen?Ja: 29 Prozent; Nein: 60 Prozent; Enthaltung: 10 Prozent.
Bildung: Gebührenfreiheit auch für unter Dreijährige oder lieber kleinere Gruppen: Soll in den Kitas die Qualitätssteigerung vordringlich vor der Ausweitung der Beitragsfreiheit sein?Ja: 66 Prozent; Nein: 20 Prozent; Enthaltung: 14 Prozent.
Wirtschaft: Soll Berlin eine neue Initiative starten, um das Sonntagsverkaufsverbot für Spätis zu liberalisieren?Ja: 38 Prozent; Nein: 54 Prozent; Enthaltung: 9 Prozent.
Verkehr: Soll das Straßenbahnnetz in ganz Berlin ausgebaut werden?Ja: 60 Prozent; Nein: 27 Prozent; Enthaltung: 14 Prozent.
Gleichberechtigung: Soll Berlin anonyme Bewerbungen verstärkt in allen Verwaltungen einsetzen?Ja: 55 Prozent; Nein: 31 Prozent; Enthaltung: 15 Prozent. (all)
Nicht bei allem zeigten sich die Genossen so gespalten wie bei der Cannabislegalisierung. Eine sehr deutliche Mehrheit sprach sich etwa dafür aus, dass landeseigene Wohnungsbaugesellschaften mit einfacherem Standard bauen sollen, um Wohnungen mit günstigen Mieten anbieten zu können. Überraschend klar fiel auch das Ergebnis zur Frage nach dem staatlichen Neutralitätsprinzip aus: Vier von fünf Mitgliedern sind der Meinung, dass Lehrerinnen, Richterinnen und Polizistinnen auch in Zukunft im Dienst kein Kopftuch tragen sollen.
Die Genossen konnten bei der Befragung nicht nur „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ ankreuzen. Sie sollten auch die drei Themen markieren, die ihnen am wichtigsten sind. Ganz oben landete dabei das Thema günstiger Wohnraum bei den landeseigenen Gesellschaften. Auch die staatliche Neutralität war immerhin noch jedem Dritten wichtig, dicht gefolgt von der Forderung nach mehr PolizistInnen im öffentlichen Raum. Die Cannabisfreigabe hat für die Sozialdemokraten dagegen keine große Bedeutung: Nur 13 Prozent räumten dieser Frage Priorität ein.
Für die Berliner SPD war die Mitgliederbefragung die dritte Basisabstimmung innerhalb weniger Jahre. Nach der Bundestagswahl 2013 segneten die Mitglieder den Koalitionsvertrag mit der CDU ab. Im Herbst 2014 bestimmten die Berliner Genossen Michael Müller als Nachfolger des scheidenden Klaus Wowereit im Amt des Regierenden Bürgermeisters. Alle Mitglieder – wie nun geschehen – über zentrale Punkte eines Wahlprogramms zu befragen, das hat es laut SPD so bundesweit noch nicht gegeben.
Stöß zeigte sich am Montag zufrieden mit den Ergebnissen. „Damit haben wir die Grundlagen geschaffen, um jetzt einen Wahlprogrammentwurf zu erarbeiten.“ Die SPD-Führung hatte zu den Themen im Vorfeld selbst Position bezogen. Anders als die Mehrheit befürworteten Stöß und Fraktionschef Raed Saleh verkaufsoffene Sonntage bei Spätis und die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Beides schafft es nun nicht ins Wahlprogramm. Das soll Ende Mai beschlossen werden.
Bei der Cannabisfreigabe ist die Führung übrigens so gespalten wie die Basis: Jan Stöß und Michael Müller hatten sich im Vorfeld dagegen ausgesprochen, Fraktionschef Saleh war dafür.
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