Anschläge Bisher 78 Mal hat es 2015 in deutschen Flüchtlingsheimen gebrannt. Kaum ein Fall ist aufgeklärt.Wir ermitteln in alle Richtungen, sagt die Polizei stets. Aber was heißt das? Ein Fall aus der Oberpfalz: Die Stadt und die Flammen
Aus Neustadt an der WaldnaabSteffi Unsleber
Die Nächte in Neustadt sind leer und still. Manchmal steigt Nebel aus der Waldnaab und wandert um die Häuser. Das einzige Licht kommt von den Straßenlaternen und den Kerzen auf dem Friedhof. Rote Punkte in der Dunkelheit.
In der Nacht auf den 21. August 2015 wird die Ruhe laut. Es flackert hinter den Scheiben eines Hauses. Gegen zwanzig nach drei geht der Notruf ein: Es brennt im Gemeinschaftsraum der Asylbewerberunterkunft. Die Polizei kommt, die Feuerwehr löscht den Tisch, der in Flammen steht, und einen zusammengerollten Teppich. Die 19 Bewohner können sich ins Freie flüchten, niemand wird verletzt.
Die Feuerwehrleute wollen schon wieder abfahren, so erzählt es später der Kommandant Michael Spranger, sie überprüfen das Haus noch mit der Wärmebildkamera auf Glutnester, laufen ein letztes Mal durch die Räume, da finden sie hinter der Theke ein Paket, eingeschlagen in Papier, beschwert mit Prospekten. Die Blätter zerfallen zwischen den Fingern. Sie sollten brennen, aber das Feuer ist wieder ausgegangen.
Das hat jemand angezündet, sagt einer von der Polizei.
Er hat zwei Leute gesehen, erzählt später Danyel Azari, ein Bewohner, der beim Löschen half. Sie sind zum Fenster raus. Draußen habe einer gewartet.
Am nächsten Tag gibt die Polizei bekannt: Sie ermittelt in alle Richtungen. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden.
Neustadt an der Waldnaab. Kleinste Kreisstadt Deutschlands. 25 Kilometer zur tschechischen Grenze. Ein Ort, an dem die Häuser tagsüber blau sind, lila und gelb – als hätte man sie für ein Kinderbuch gemalt. Hier gibt es Brotbacktage und ein Segnungsfest, wenn die Feuerwehr ein neues Auto bekommt. Die Menschen sprechen so starken Dialekt, dass man als Auswärtiger nicht weiß, ob sie Oberpfälzer sind, Tschechen oder Flüchtlinge. Fast 6.000 Menschen wohnen hier. 100 davon sind Asylbewerber.
Die Flüchtlingsunterkunft ist korallenrot gestrichen – aber das muss schon Jahre her sein. Die Fassade wirkt schmuddelig. Früher war das Haus mal ein Hotel, dann ein griechisches Restaurant. In einem offenen Fenster im Erdgeschoss ist ein Tuch aufgespannt, damit niemand hineinsehen kann. Hier wohnt eine Familie aus Aserbaidschan.
Der Schaden durch den Brand war gering: Es ging um ein paar hundert Euro. Das Haus wurde gelüftet, dann konnten die Bewohner wieder in ihre Zimmer. Schlimmer ist die Unsicherheit, die seitdem das Haus beherrscht. Wer war der Täter? Hat er allein gehandelt? Kann es wieder passieren?
In Deutschland gab es im Jahr 2015 offiziell bisher 576 Übergriffe auf Asylbewerberheime. 78 waren nach Recherchen der taz Brandanschläge, das Bundeskriminalamt zählt bisher nur 46 (siehe Seite 20). Wer dafür verantwortlich ist, ist zum größten Teil unbekannt. Nur in zehn Fällen konnte die Polizei Verdächtige ermitteln.
Meistens geschehen die Angriffe in der Provinz. An Orten, von denen man selten hört. In Boizenburg, Gerstungen, Oberteuringen, in Weissach im Tal oder Trassenheide.
In der Mehrzahl brennen unbewohnte Unterkünfte. Das sagt etwas über die Motivation der Täter: Zünden sie leere Häuser an, versuchen sie zu verhindern, dass Asylbewerber in den Ort kommen. Zünden sie bewohnte Heime an, nehmen sie deren Tod in Kauf.
Bisher gibt es laut Bundeskriminalamt keine Hinweise auf bundesweit vernetzte oder gesteuerte Aktionen. Man geht dort eher von „lokal organisierten Straftaten“ aus. Die Erfahrungen aus den neunziger Jahren zeigen ebenfalls: Normalerweise kommen die Brandstifter aus der Umgebung der Flüchtlinge.
Auch in Neustadt an der Waldnaab? Was ist hier passiert? Welche Dynamik gibt es zwischen Bewohnern und Flüchtlingen?
Tanja Kippes ist eine der Frauen, die sich ehrenamtlich um die Flüchtlinge kümmern: großes Lächeln, manchmal etwas hektisch, kurze rotblonde Haare. Eine dieser Frauen, Stadträtin, Pfarrgemeinderätin, ohne die in kleinen Orten nichts laufen würde. „Mein erster Gedanke war: Das sind junge Kerle, die haben gefeiert und unabsichtlich etwas angebrannt“, sagt sie. „Die Stimmung ist gut in Neustadt. Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen mit einem Brandanschlag.“ Sie erzählt von der Unterstützung, den vielen Dankeskarten, die sie an Mithelfer im Ort schrieb. „Rechte? Die sind mir noch nie untergekommen. Aber vielleicht bin ich da auch naiv.“
An der Brandstelle ist ein technischer Defekt auszuschließen, meldet das Polizeipräsidium Oberpfalz. Das Feuer wurde gelegt. Von wem, ist unklar.
Ein kalter Herbstabend in Neustadt an der Waldnaab, draußen ist es schon dunkel. Wenn man durch die Straßen läuft, schlägt einem Nieselregen ins Gesicht. In der „Café-Bar Kaprise“ ist es warm, das Licht ist weich. Ein Paar sitzt am Tresen und trinkt Bier. Als sie erfahren, dass eine Journalistin mit im Raum ist, bestehen sie darauf, anonym zu bleiben. In einer so kleinen Stadt fürchten sie das Gerede der Nachbarn.
„Der Rummel um den Anschlag ist übertrieben“, sagt der Mann. Seine Stimme ist tief, er spricht breiten Dialekt. Sie fragt: „Wer sagt überhaupt, dass es ein Anschlag war?“, und schüttelt die kurzen blonden Haare. Er bestellt noch ein Bier, dann sagt er: „Vielleicht waren es die Asylanten selbst?“ Er grinst. Die Wirtin klappert, wenn sie läuft, mit ihren hohen Absätzen. Sie zapft das Bier und stellt es vor ihn hin.
„Ich bin nicht rechtsradikal“, sagt er. „Aber ich habe in den Nachrichten gehört, dass jeder dritte Afrikaner und jeder fünfte Syrer nach Deutschland will.“
Die Kneipenwirtin Irina Groz nickt. „Das ist, wie wenn man unterschiedliche Fische zusammen in ein Aquarium steckt. Da geht die Hälfte drauf.“ Die blonde Frau runzelt die Stirn. „Die Politiker sollten eher auf die Älteren schauen. Und Fachkräfte entsprechend entlohnen. Ein Schlosser mit Berufserfahrung bekommt 1.200 Euro netto. Du kannst mit einem normalen Beruf keine Familie ernähren!“ Ihre Ohrringe glitzern im Licht.
Sein Gesicht ist rot inzwischen. Er spricht wieder über die Zahlen im Radio, aber diesmal dreht er sie um. „Jeder dritte Syrer und jeder fünfte Afrikaner will nach Deutschland“, sagt er. „Es brodelt, du hörst es!“, sagt die blonde Frau.
Die Wirtin zögert kurz, dann erzählt sie: „Ich kam vor 17 Jahren aus Usbekistan. Wir waren Wolgadeutsche. Drüben wurden wir Faschisten genannt. Ich dachte, Faschist wäre meine Nationalität. Im Kindergarten haben sie mich gefragt, woher ich komme, und ich habe gesagt: Ich bin Faschist. Aber hier werde ich immer Russin bleiben. Dabei war ich noch nie in Russland.“ Die Blonde lacht, aber ihre Augen lachen nicht mit. Dann sagt sie: „Du Usbekistanerin!“ Die Wirtin lacht auch. „Ich komme aus Absurdistan.“ Er bestellt noch ein Bier, dann sagt er: „Wenn das ein Deutscher gewesen wäre, hätte das Ding gebrannt!“
Dass ein Flüchtling selbst Feuer gelegt hat, das konnten sich die Ermittler in diesem Jahr in zwei Fällen vorstellen – in Hamburg und Schwäbisch Hall. Am 15. September schickt die Staatsanwaltschaft Weiden einen Brief an Danyel Azari, den Mann, der in der Brandnacht beobachtet hat, wie drei Männer aus der Unterkunft geflohen sind. „Ermittlungsverfahren“, steht dort. „Wegen Vortäuschen einer Straftat.“
Danyel Azari schläft nicht. Er chattet mit seiner Frau
„Aufgrund der bisherigen Ermittlungen besteht folgender Verdacht“, schreibt die Staatsanwaltschaft. „Der Beschuldigte zündete am 21. August 2015 gegen 3 Uhr nachts im Gastraum des Asylantenheims einen zusammengerollten Teppich und Prospekte an. Sodann weckte er seine Mitbewohner und löschte mit diesen den Brand. Der Beschuldigte rief die Polizei und machte auch in einer ausführlichen Zeugenvernehmung Angaben dahingehend, dass fremde Personen die Brände gelegt hätten. Er hätte zwei von ihnen durch ein Fenster verschwinden sehen, eine weitere Person hätte ihnen von außen geholfen.“
„Der Verdacht begründet sich darauf, dass die Angaben des Beschuldigten von keinem der anderen Zeugen bestätigt werden. Keiner hat dritte Personen gehört oder gesehen. Keiner hat Leute durch ein Fenster verschwinden sehen. Auch die nicht vorhandenen Spuren außen auf dem Fensterbrett widersprechen seiner Darstellung.“
Danyel Azari steht schief in seiner Tür, sein Oberkörper ist nackt. Es ist mittags um eins, er hat eben noch geschlafen. Erst will er nicht sprechen, dann überlegt er es sich anders. In drei Stunden im Eiscafé. Nur, sagte er, bitte ändern Sie meinen Namen. Er will von den iranischen Behörden nicht erkannt werden.
Als er kommt, zieht er gleich einen gelben Expressumschlag aus seinem Rucksack. Darin stecken all seine Dokumente. Briefe von Anwälten, Tauchzertifikate, sein Diplom. Nachweise über Fortbildungen als Industriemechaniker. Bescheinigungen von evangelischen Priestern, dass er in der Gemeinde sehr aktiv ist.
Er breitet die Papiere auf dem Tisch aus. Wie zum Beweis, dass es ihn gibt. Dass er ein Mensch war, der eine Zukunft hatte.
Er hat ein weiches Gesicht. An seinen Schläfen laufen Schweißtropfen hinunter. Es ist nicht warm im Eiscafé. Er fasst sich immer wieder kurz an den Kopf.
Die Polizei hält ihn für einen Einzelgänger, er habe keine Freunde im Heim. Die Vermutung: Er hat das Feuer gelegt, um alle zu retten und sich so beliebt zu machen.
Danyel Azari reißt die Augen auf und schüttelt den Kopf. „Ich habe viele Freunde in der Gemeinde, ich brauche keine Freunde im Heim.“ Zumal die meisten nicht mal das gebrochene Alltagsdeutsch beherrschen, das er spricht – was eine Unterhaltung nicht einfach macht. „Warum soll ich Feuer machen? Bin ich depressiv, will ich alles beenden, okay, dann mache ich ein Feuer in meinem Zimmer. Aber nicht unten. Dort sind viele Leute. Ganz großes Risiko.“ Er macht eine Pause. „Ich habe hier ein Einzelzimmer, eine Kochzeile für mich, einen Kühlschrank. Ich kenne die Bilder von den Flüchtlingen, die in Zelten schlafen. Mein privates Zimmer soll ich kaputt machen?“ Mit Nachdruck sagt er: „Ich bin nicht verrückt.“
Azaris Geschichte geht so: Er hat über seinen Cousin eine christliche Gemeinde im Iran kennengelernt. Er hat eine „innere Veränderung“ gespürt, sagt er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. „Ich war überzeugt, dass ich etwas gefunden hatte, was ich verloren hatte.“ Er traf sich mit den anderen in einem Wald, um dort zu beten.
Als Azari während des Fastenmonats Ramadan tagsüber aß, wurde er für drei Tage ohne Essen und Trinken eingesperrt. Sie peitschten ihn aus, erzählt er.
Er schaut sich um. Als die Bedienung der Eisdiele kurz den Raum verlässt, steht er auf und hebt sein T-Shirt. Die Narben verlaufen quer über seinen Rücken, in regelmäßigen Abständen, wie bei einer Leiter.
Er ist gerade in München, auf dem Weg zu einem Tauchkurs in Italien, als sein Vater ihn anruft und erzählt, dass ihre Wohnung von den Revolutionswächtern durchsucht wurde. Das war im Dezember 2012. Seitdem ist er in Deutschland. Er hat Asyl beantragt.
In der Brandnacht hat er nicht geschlafen, erzählt er. Er hat mit seiner Frau gechattet. Die Tür war angelehnt, weil er rauchte.
Seine Frau, nennen wir sie Sahar, schickt um 2.42 Uhr eine Nachricht über Imo, eine Chat-App für Handys: „Schläfst du?“ Die Screenshots des Chats ließ die taz aus dem Persischen übersetzen.
Danyel: „Nein. Ich möchte noch die Wäsche in die Waschmaschine schmeißen.“
Sahar: „Jetzt? Kannst du das nicht morgen machen?“
Danyel: „Ich schlafe bis mittags. Und dann sind keine Waschmaschinen mehr frei. Hier wohnen 10 Familien.“
Sahar: „Du stehst aber auf!! Okay.“
Danyel, um 2.46 Uhr: „Ich räume gerade noch zusammen. Geht’s dir besser? Ist Najme nicht wach, um dir den Rücken zu massieren?“
Sahar, um 2.53 Uhr: „Nein, alle schlafen, es ist fünf Uhr morgens. Und Najme kann man nicht wach kriegen. Du bist schlampig. Wifi funktioniert wieder.“
Sie wechseln zum Telefon. Dann hört er Geräusche, erzählt er, als ob Stühle fallen. Er legt den Hörer weg, geht kurz ins Treppenhaus, hört von unten: „Schnell, schnell.“ Zurück im Zimmer erzählt er es Sahar. Sie sagt ihm, er soll die anderen Bewohner wecken. Er klopft bei einem älteren Mann, sie stehen im ersten Stock und lauschen. Plötzlich riechen sie etwas. Als ob Plastik verbrennt. Sie wecken alle. Rufen die Polizei. Danyel Azari will die Tür zum Gemeinschaftsraum öffnen, aber er spürt Widerstand. Und sieht eine Schulter durch die Glasscheibe der Tür. Er schreit: Da ist jemand! Das haben sie gehört, bestätigen die anderen Bewohner später.
Asif Mammedov bewaffnet sich mit einem Stück Holz, Danyel Azari mit einem Feuerlöscher. Als sie mit zwei weiteren Männern ins Zimmer gehen, schlägt ihnen Rauch und Hitze entgegen. Die Männer weichen zurück. In diesem Moment sieht Danyel Azari, der an zweiter Stelle steht, dass zwei Männer durch ein offenes Fenster flüchten, draußen steht ein dritter und hilft ihnen hinaus.
Keiner der anderen Männer bemerkt die Flüchtenden – das sagen sie später der Polizei und auch im Interview für diese Geschichte.
Später erzählt Danyel Azari, dass er, während er den Feuerlöscher entsichert hat, gehört hat, dass jemand Autotüren zuschlägt und wegfährt.
Asif Mammedov sagt später, hätte er jemanden bemerkt, hätte er alles getan, um die Leute zu fangen. Er hat zwei kleine Kinder. Seine Frau traut sich seit dem Brand nicht mehr, nachts auf die Toilette zu gehen. Sie haben Angst, dass es wieder passiert. Auch sein Name ist deshalb geändert.
Alois Schuh, ein Rentner mit grobem Gesicht und grauen Haaren, wohnt schräg gegenüber. In der Nacht hat er seinen Sohn von der Nachtschicht abgeholt. Gegen Viertel nach drei sind sie an der Unterkunft vorbeigefahren, erzählt er. Ein Auto habe draußen gestanden, zwanzig Meter vor dem Heim, die Lichter waren an, drinnen saß niemand.
Zwei Wochen vorher hatte jemand quer über die Motorhaube seines Autos ein Hakenkreuz gemalt. Mit schwarzem Filzstift, sehr akkurat, erzählt er, wie mit der Schablone. Sechs Autos standen in der Reihe. Warum nur seines angemalt war, weiß er nicht. „Vielleicht hat denen der weiße Lack gefallen.“ Die Polizei hat ihm gesagt, dass er es so schnell wie möglich entfernen muss, weil er sich sonst strafbar macht. Seitdem hat er nichts mehr von Polizei oder Staatsanwaltschaft gehört.
Er kann nichts Gutes über Danyel Azari sagen und nichts Schlechtes, sagt Asif Mammedov. Er kennt ihn kaum, sagt nur Hallo und Tschüss. Aber er glaubt nicht, dass er das Feuer gelegt hat. Das sagen auch die anderen Bewohner.
Trotz der Anschuldigung gegen Azari sagt Oberstaatsanwalt Rainer Lehner am Telefon, die Ermittlungen werden weitergeführt. „Nur weil Danyel Azari der Einzige war, der die möglichen Täter gesehen hat, bedeutet das nicht, dass sie nicht da gewesen sein können. Wir führen das Verfahren gegen Unbekannt.“ Nach einer kurzen Pause sagt er: „Gebrannt hat es wirklich, das muss man auch sagen. Und es war nicht das einzige Heim in Deutschland. Da muss man vorsichtig sein.“
In der Nacht vor dem Brand klingelt es auf einmal
In Neustadt an der Waldnaab erzählt man sich im Oktober längst, dass es wohl jemand aus dem Heim war. Ein Polizeihauptkommissar, der abends privat einen trinken geht, sagt in einer Bierstube vor der Journalistin und auch vor anderen, Danyel Azari war es zu 99 Prozent. Und mit Sicherheit kein Rechtsradikaler.
Diese Entwicklung scheint die Leute zu beruhigen. Wer weiß, was die im Heim für Streitigkeiten haben, sagen sie und schütteln die Köpfe. Das Thema ist abgehakt. Sollen das die Flüchtlinge unter sich regeln.
Es gibt noch eine andere Geschichte, die aber kaum auftaucht, wenn man mit Polizei und Staatsanwaltschaft spricht: In der Nacht vor dem Brand gab es einen Tumult vor dem Heim. Eine Gruppe von etwa zehn Leuten hat gegen zwei Uhr nachts an der Tür geklingelt, mehrmals, minutenlang. Asif Mammedovs kleiner Sohn wachte auf, deshalb ist Mammedov nach unten gegangen. Sie haben nach Bier verlangt, erzählt er, und nach Cola. Das Schild des griechischen Restaurants hing da noch über der Tür. „Keine hier“, sagte Asif Mammedov. Sie waren betrunken, erzählt er später, aber nicht aggressiv.
Eine halbe Stunde später klingelte es wieder. Diesmal ging Azari an die Tür. Ein muskulöser Mann stand draußen, erzählt er. Mit Tunnelohrringen und Piercings in der Lippe. Und Tätowierungen über den ganzen Hals. „Alle Ausländer müssen Deutschland verlassen“, sagte er, so erzählt es Azari. „Okay, okay, ich habe verstanden!“, sagte Azari und schloss schnell die Tür.
Danyel Azari erzählt später noch, dass der Mann 88 oder 99 auf zwei Finger seiner Hand tätowiert hatte. Das hat er allerdings der Polizei nicht gesagt, weil er sich erst später daran erinnerte. Welche Ziffern genau, das weiß er nicht mehr.
Ob er die Bedeutung kennt?
Nein, sagt Danyel Azari. Er kennt nur 666, das ist im Iran die Zahl des Teufels.
88 ist unter Neonazis ein Zahlencode für „Heil Hitler“. H ist der achte Buchstabe des Alphabets.
Alles Zufall?
Am nächsten Tag setzt Danyel Azari deswegen mit Hilfe eines Freundes einen handschriftlichen Brief an die Ausländerbehörde auf. Viele andere Bewohner des Heims unterschreiben. Aber sie kommen nicht mehr dazu, ihn abzuschicken. In der Nacht brennt es. Danach übergibt Azari den Brief der Polizei.
Er habe bisher keine Anhaltspunkte, wer dieser Mann an der Tür gewesen sein könnte, sagt Oberstaatsanwalt Lehner.
Es gab immer wieder rechtsradikale Vorfälle im Landkreis. Im Nachbarort Mantel wohnt der bekannte Neonazi Patrick Schröder, Vorsitzender der NPD in Weiden und Geschäftsführer des rechten Modelabels Ansgar Aryan. Die Models des Labels sehen genauso aus, wie Danyel Azari den Mann an der Tür beschreibt: Sehr muskulös, tätowierter Hals, Piercings und Tunnelohrringe.
Der Landkreis ist keine rechtsradikale Hochburg, sagt Stefan Hartl vom Polizeipräsidium Oberpfalz am Telefon. Es gab hin und wieder Leute, die betrunken „Heil Hitler“ gebrüllt haben, sagt er. Ein paar Hakenkreuzschmierereien.
Mitte April wurden in Floß, zwei Ortschaften weiter, Wegweiser und Ortsschilder mit SS-Runen und Hakenkreuzen beschmiert.
Zehn Kilometer hinter Neustadt, in Flossenbürg, steht auf einer Anhöhe eine KZ-Gedenkstätte. Danach beginnt der tschechische Wald. Die Luft ist klarer hier, auch kälter. Jörg Skriebeleit, der Leiter der Gedenkstätte, sitzt auf der Terrasse , trinkt den Kaffee nach dem Mittagessen. Skriebeleit ist groß, schlaksig und wirkt auch im Anzug lässig.
Vor drei, vier Jahren haben Rechtsextreme versucht, in Flossenbürg einen Stützpunkt aufzubauen, erzählt er. Es gab Sonnwendfeiern, rechtsradikale Aufkleber im Ort, Parolen an den Wänden. Sie wollten die Betreiber der Gedenkstätte provozieren. Bei seinem Auto wurden die Reifen durchstochen. Aber gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden konnten sie das gut in den Griff bekommen. Jetzt ist es relativ ruhig.
Die Hakenkreuze in Floß wurden an dem Wochenende gesprüht, als der 70. Todestag des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer gefeiert wurde, erzählt er. Nach Flossenbürg trauen sich die Leute nicht, der Ort wird gut überwacht. Deshalb machen sie es in der Anfahrt.
Ein paar Idioten im Landkreis gibt es, erzählt er weiter, denen traut er aber den Brandanschlag nicht zu. Wer das Feuer in Neustadt gelegt hat? Er ist relativ ratlos. Aber ein rechter Anschlag liegt auf der Hand, meint er.
Bei zwei der zehn Brandanschläge in Deutschland, für die die Polizei überhaupt Verdächtige ermitteln konnte, waren Feuerwehrmänner beteiligt. Einer half danach beim Löschen.
Michael Spranger ist der Kommandant der Neustädter Feuerwehr. Er sitzt in der Zentrale, in der Hand einen Aschenbecher, ein schwerer Mann mit freundlichem Gesicht. Er raucht und schaut durch die breite Fensterfront nach draußen, wo gerade das neue Feuerwehrauto gesegnet wird. Einer seiner Männer steht mit einem Bunsenbrenner da und zeigt einer Runde von Kindern, wie man eine Dose explodieren lassen kann. Er kann das kategorisch ausschließen, dass einer seiner Männer etwas mit dem Brandanschlag zu tun hat, sagt Spranger. „Wir haben bei der Feuerwehr niemanden, der ein wenig rechts angehaucht sein könnte.“
Im Spritzenhaus sind Bierbänke und Biertische aufgebaut, über einen Monitor laufen Bilder der größten Einsätze. Der Brand in der Flüchtlingsunterkunft ist nicht darunter. Es gibt Weißwürste und selbst gebackenen Kuchen, das Stück 1 Euro.
Eine Runde Feuerwehrmänner aus dem Nachbardorf Altenstadt sitzt an einem Tisch. Sie waren in der Brandnacht selbst nicht dabei.
„Das war keine Brandstiftung“, sagt ein großer Blonder. „Da saßen ja immer Leute im Erdgeschoss. Die werden das gewesen sein.“ Warum die Polizei dann angibt, dass es Brandstiftung war? „Die Polizei sagt viel.“ Ein kleiner Dunkelhaariger sagt: „Man muss mal in die Zeitung schreiben, wie viele Brandanschläge keine waren. Die Sache wird ganz schön übertrieben.“ Ein kleiner dicker Mann setzt sich dazu, er ist nicht bei der Feuerwehr. „Die haben sich selbst angezündet. Sind eh zu viele. Die vermehren sich wie die Ratten.“ Sein Nachbar wirft den Kopf zurück und lacht.
Draußen ist es Nacht. Es ist still, aber es sind Menschen auf der Straße. Afrikaner in weißen Kapuzenpullis schlendern die Hauptstraße entlang. Sitzen mit Musik in den Ohren auf dem Marktplatz. Ein paar Schritte weiter rauchen Frauen in langen bunten Röcken und schauen in die Sterne. Kommen Einheimische an ihnen vorbei, laufen sie ein bisschen schneller.
Leute, die mit den Flüchtlingen arbeiten wie Tanja Kippes, erzählen von lustigen Situationen. Wie die Feuerwehr im ganzen Landkreis gerufen wurde, um Ikea-Stockbetten aufzubauen. Wie zwei großgewachsene Afrikaner das Bett, das man ihnen geschenkt hat, durch den Ort getragen haben. Aber es gibt auch Geraune, die Geschichte von einem 14-jährigen Mädchen, das jetzt schwanger sein soll. Von einem Afrikaner, ausgerechnet. Man hört Wörter wie Abtreibung, Messer und Psychiatrie.
„Die Stimmung bei uns ist ganz normal“, sagt Bürgermeister Rupert Troppmann von der CSU, ein gemütlicher Mann mit großem grauen Schnurrbart. Auf den Fotos im Internet lacht er fröhlich. An einem Mittwochmorgen, wenige Wochen nach dem Brand, öffnet er mit ernstem Gesicht die Tür zu seinem Büro im Rathaus. Sein Gesicht liegt in Falten. „Weder sind wir euphorisch, noch gibt es irgendwelche Hasstiraden. Wir haben seit zwei Jahren Flüchtlinge und kein Problem damit.“ Und wie reagiert die Bevölkerung? „Sehr besonnen, deshalb haben wir so wenig Probleme. Keine Schilder mit ,Welcome‘, keine Schilder mit ,Ausländer raus!‘.“
Am liebsten wäre ihm, das wird schnell klar, wenn alles so ruhig wie möglich erledigt werden würde. Einmal im Jahr treffen sich alle Neustädte Europas, erzählt er. Dieses Jahr waren sie bei Hannover, in Neustadt am Rübenberge. Selbst da wurde er auf den Brand angesprochen.
„Wenn sie es selber gewesen sind, ist genauso der Teufel los, wie wenn es Rechte waren“, sagt er. „Hoffentlich waren sie es nicht selbst und hoffentlich nicht die Rechten. Wenn da jemand einen in Misskredit bringen wollte, wäre es wenigstens ein Einzeltäter.“ Was kompliziert klingt, bedeutet: Wäre Danyel Azari der Täter, würde das viele Probleme lösen. Nur, er bleibt dabei. Er war es nicht.
An einem Mittwoch im Oktober sitzt Azari im Zug, am Fenster fliegen die Wälder vorbei. Er ist auf dem Weg zu seiner neuen Anwältin in Schweinfurt, Unterfranken. Jetzt hat er schon zwei Anwälte, erzählt er. Einen für sein Asylverfahren und eine wegen dieser Brandgeschichte. Die Anwältin muss er selbst bezahlen, er stottert es ab. Jeden Monat 40 Euro. Ein Jahr lang.
Danyel Azari schläft schlecht seit dem Brand. Die Polizei habe ihm gesagt, wenn er nicht gesteht, stoppen sie sein Asylverfahren, erzählt er. Er dürfe seine Frau nicht nachholen. Und sie würden mit der iranischen Polizei zusammenarbeiten, um sie zu verhören. Bitte, bitte nicht, sagt Danyel Azari. „Verhört sie in der deutschen Botschaft mit deutschen Polizisten.“ Die iranische Polizei denkt, das Paar hat keinen Kontakt.
Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass sein Asylverfahren ruht. „Bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens.“
„Für mich war es eine schlechte Sache, dass ich der Polizei geholfen habe“, sagt er. „Wenn ich jetzt jemanden sehe, der einen anderen angreift, dann habe ich keine Augen und keine Ohren.“ Er kneift die Augen zusammen, und legt seine Hände auf die Ohren.
In Nürnberg wird ein Bekannter zusteigen, auch ein Iraner, der schon seit 2000 in Deutschland lebt. Sie haben sich bei den Baptisten in Fürth kennengelernt. Er soll übersetzen.
Sie werden durch Schweinfurt laufen, diese graue Industriestadt, sie werden miteinander Persisch sprechen und die Menschen um sie herum werden mal neugierig schauen, mal misstrauisch.
Seine Anwältin, dunkler Zopf, Perlenohrringe und rosa Fingernägel, wird den mitfühlenden Blick einer Sozialarbeiterin haben. Sie wird ihnen sagen, dass, weil kein erheblicher Schaden entstanden ist und er selbst gelöscht hat, Azari gar nicht wegen Brandstiftung verurteilt werden könne. Dass sie jetzt erst einmal abwarten müssen. Und dass die Polizei sein Asylverfahren nicht beeinflussen kann, das sagt sie ihm auch. In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung.
Unschuldsvermutung, dieses Wort dreht und wendet Danyel Azari vorsichtig in seinem Mund, als er es zum ersten Mal hört.
Steffi Unsleber, 28, ist Redakteurin der taz.am wochenende
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