Streit um berufliche Bildung: Lehre für Flüchtlinge
Klassen für jugendliche Flüchtlinge haben hohe Schwundquoten. Der Senat plant eine duale Ausbildungsvorbereitung.
Junge Flüchtlinge ab 16 Jahren kommen – sofern sie nicht Gymnasium oder Stadtteilschule besuchen – in spezielle Vorbereitungsklassen der Berufsschulen. Doch das scheint für viele nicht das Richtige zu sein. Wie jetzt eine Anfrage der FDP-Politikerin Anna von Treuenfels ergab, verließ in den Jahren 2013 und 2014 fast die Hälfte der Schüler diese Bildungsgänge mit „unbekanntem Schulabschluß“. Zusammen in beiden Jahren sind das knapp 500 junge Menschen.
Was genau mit ihnen passierte, ob sie einen anderen Wohnort haben, eine andere Bildungsmaßnahme antraten oder schlicht ohne Abschluss entlassen wurden, haben die Statistiker nicht erfasst. Auch die Zahlen für das letzte Schuljahr fehlen.
„Hier muss dringend konkreter aufgeklärt werden“, sagt von Treuenfels. Wenn dies, wie zu befürchten, einen rasanten Anstieg von Schulabbrechern ohne Berufsperspektiven bedeute, sei das sozialer Sprengstoff. Gerade bei Jugendlichen Flüchtlingen dürfe man keine frühzeitige Herausbildung prekärer Lebensperspektiven zulassen.
Die Pressestelle der Schulbehörde war am Freitag nicht erreichbar. Doch auf ihrer Homepage schreibt die Behörde, dass eine Neuerung geplant sei: Die bisher halbtägigen Schulangebote „Berufsvorbereitung für Migranten“ und „Vorbereitung für Migranten“ sollen umgestaltet werden. Vorbild ist die 2011 eingeführte „Ausbildungsvorbereitung dual“ (AV-Dual), die inzwischen Regelangebot für alle Schulabgänger ist, die keinen Ausbildungsplatz haben: Sie verbringen ein Jahr lang drei Tage die Woche in Praktika im Betrieb und zwei Tage ganztags in der Schule. Lernt der Betrieb die jungen Leute kennen, so die Idee, bekommen diese eher eine Ausbildung.
Den „roten Teppich“ ausrollen müssten Betriebe für die Bewerber, sagt die Arbeitsagentur: Im Ausbildungsjahr 2015 habe es 10.546 gemeldete Lehrstellen für 9.152 Suchende gegeben.
Nicht berücksichtigt ist: Mehr als 40 Prozent der Hamburger Plätze gehen an Nicht-Hamburger. So stehen den 9.152 Suchenden nur noch 6.328 Plätze gegenüber.
Tatsächlich nahmen nur 3.911 der 9.152 jungen Menschen eine Ausbildung auf. 1.183 gelten offiziell als „unversorgte Bewerber“. 1.059 haben laut Agentur eine Alternative. Weitere 2.999 gelten als „andere ehemalige Bewerber“.
AV-Dual biete eine gute Möglichkeit, junge Flüchtlinge in ungeförderte Ausbildung zu bekommen, sagt die Grünen-Abgeordnete Stefanie von Berg. Ein entsprechender Antrag wird von SPD und Grünen am 9. November in die nächste Bürgerschaft eingebracht.
Allerdings steht auch das AV-Dual in der Kritik. Es ist Teil der großen Reform „Übergang Schule-Beruf“, die unter Schwarz-Grün geplant und 2011 mit Zustimmung von SPD und Linke verabschiedet wurde. Die jahrelangen „Warteschleifen“ sollten abgeschafft, jedem Jugendlichen zu Abitur oder Ausbildung verholfen werden. „Dieses politische Ziel ist leider nur in geringen Maße geglückt“, sagt die fraktionslose Abgeordnete Dora Heyenn (Die Linke). So hätten viele AV-Dual-Teilnehmer nach einem Jahr keine Lehrstelle und würden stattdessen in anderen Maßnahmen landen oder einfach jobben. „Eine Ausbildung ist das nicht“, sagt Heyenn. Es stelle sich die Frage, ob AV-Dual das Richtige für junge Flüchtlinge sei.
Anders als jüngst von der Arbeitsagentur dargestellt, gebe es in Hamburg keinen Überhang an Lehrstellen, da über 40 Prozent der Plätze an Umlandsbewerber gehen (siehe Kasten). Nötig sei, dass die Stadt für alle Hamburger Jugendlichen genügend öffentlich geförderte Lehrstellen schaffe – pro Jahr fehlten etwa 4.000.
„Die Informationen über das AV-Dual sind widersprüchlich und lückenhaft“, sagt Petra Lafferentz vom Landesverband der Produktionsschulen. Im „Ausbildungsreport 2014“ stehe dazu kaum eine Zeile. Sehr gut erforscht sei dagegen die Arbeit der acht Produktionsschulen. „Sie haben eine schwierigere Klientel und gleiche oder bessere Ergebnisse.“ Es sei nicht klar, warum es diese Plätze nicht auch für junge Flüchtlinge gebe.
Laut von Berg ist das in Planung. Für 18- bis 21-jährige Flüchtlinge solle es ein Angebot geben, bei dem auch die weniger verschulten Produktionsschulen einbezogen würden.
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