Umgang mit Flüchtlingen in Berlin: Gutscheine für die Obdachlosigkeit
Hostelgutscheine für Geflüchtete sollen abgeschafft werden. Damit reagiert Sozialsenator Czaja (CDU) auf aktuelle Beschlüsse des Sozialgerichts.
Sozialsenator Mario Czaja (CDU) will keine neuen Hostelgutscheine mehr an Geflüchtete ausgeben. Damit reagiert Czaja auf einen Beschluss des Sozialgerichts vom 14. Oktober, der das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zur Unterbringung eines Somaliers in einer Gemeinschaftsunterkunft verpflichtete. Der Mann, der psychisch und körperlich krank ist, war mit seinem Lageso-Gutschein bei 15 Hostels abgewiesen worden und musste daraufhin auf einem Bahnhof nächtigen.
Das Gericht stellte fest, dass das Lageso gesetzlich verpflichtete sei, Asylbewerbern eine Unterbringung zur Verfügung zu stellen. „Die bloße Aushändigung eines Gutscheins“ sei zu wenig. Insgesamt drei Geflüchtete erzwangen bisher vor Gericht eine Unterbringung in einer regulären Unterkunft.
Seit der Einführung der Hostelgutscheine im Jahr 2013 steht diese ursprünglich nur für akute Notfälle gedachte Amtspraxis unter massiver Kritik: Weil das Lageso, überfordert mit der Abwicklung der vielen Abrechnungen, unpünktlich zahlt, nehmen Hostels inzwischen kaum noch Gutscheine an. Und immer wieder werden Fälle bekannt, in denen sich Hoteliers durch Überbelegung von Zimmern und schlechte Standards an den Geflüchteten bereichern.
Teure Hostel-Lösung
Ende September waren noch rund 1.400 Geflüchtete in Hostels untergebracht. Den Landeshaushalt belastet das enorm: Allein von Januar bis Mitte September dieses Jahres zahlte das Lageso rund 18 Millionen Euro an private Hostelbetreiber. Bis zu 50 Euro pro Person und Nacht können diese verlangen – der Durchschnittssatz für die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft liegt dagegen bei 15 Euro.
Schon letztes Jahr wollte das Lageso eigentlich auf die teure Hostel-Lösung verzichten. Doch der Bau neuer Gemeinschaftsunterkünfte und das Schaffen immer neuer Notunterkünfte konnten mit dem enormen Andrang von Menschen nicht Schritt halten. Daher ist man noch immer auf Hostels angewiesen.
Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen beschloss der Senat im August ein Sofortprogramm für die angemessene Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. 9.000 Schlafplätze wurden seither geschaffen – gut 50 Prozent mehr als noch im Sommer.
Trotzdem herrscht weiterhin Platznot: Nur 2.100 Menschen kamen in regulären Erstaufnahmeeinrichtungen unter. 12.000 von ihnen wohnen während der ersten Zeit ihres Aufenthalts in Turnhallen oder Containern. 10.500 leben in Gemeinschaftsunterkünften und rund 1.400 in Hostels. Der Senat will nun möglichst schnell 24.000 neue Plätze (siehe Seite 22) schaffen. (api)
Das zeigen auch die Antworten auf zwei aktuelle parlamentarische Anfragen. Die Abgeordneten Gregor Költzsch (SPD) und Fabio Reinhardt (Piraten) wollten im September wissen, wie es um die Hostelunterbringung steht. Geantwortet hat Sozialstaatssekretär Dirk Gerstle. Seine Aussagen zeigen, dass der Senat kein Konzept für die Hostelunterbringung hat – außer, sie irgendwann überflüssig zu machen.
Mit neun Häusern unterhält der Senat zurzeit Vereinbarungen über feste Kontingente für Geflüchtete. Diese sollen mit der Zeit abgebaut werden, wie Gerstle erklärt. Dafür will man die Notunterkünfte ausbauen. Rund 24.100 Plätze in 79 Einrichtungen stünden bereits zur Verfügung – damit habe der Senat seit Jahresbeginn mehr als 10.000 neue Plätze geschaffen. Die Zahl der provisorisch in Hostels untergebrachten Personen sei dagegen im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Drittel reduziert worden.
Wertloses Papier
Mit neun zusätzlichen Beschäftigten will das Lageso jetzt auch die Bezahlungsmisere angehen: Monatelang mussten Hoteliers bislang auf die Überweisung vom Amt warten. Viele nahmen daraufhin trotz freier Kapazitäten keine Gutscheine mehr an. Das Lageso-Papier wurde für viele Geflüchtete so ein Ticket direkt in die Obdachlosigkeit.
Unter welchen Umständen die Menschen in Hostels leben, wird nur sporadisch kontrolliert: Ganze sechs Hostels und Apartmenthäuser besichtigte das Amt 2015, zum Teil nach massiven Beschwerden von Bewohnern. Nur eine der Einrichtungen erhielt wegen einer fehlenden Nutzungserlaubnis danach keine weitere Erlaubnis, Menschen aufzunehmen.
Die anderen Hostels stuften die Kontrolleure als grundsätzlich geeignet ein – auch das Rixpack Hostel, das Berlin Hostel und das Aap Hostel. Die beiden letztgenannten Einrichtungen in Marzahn standen wegen unzumutbarer Unterbringung mehrfach vor der Schließung (taz berichtete). Der Senat aber sieht dort eine „ausreichende Unterbringung gewährleistet“. Für Fabio Reinhardt ist das ein Witz. Der Piraten-Politiker, der sich schon länger mit Missständen in der Flüchtlingsunterbringung befasst, sagt: „Das Modell Hostelgutschein ist längst gescheitert. Inzwischen machen da vor allem Abzocker mit.“
Nicht hinschauen ist Absicht
Erst vor zwei Wochen hat Reinhardt persönlich Reporter durch die beiden Einrichtungen in einem Marzahner Plattenbau geführt: Das Amt hatte die Häuser ausdrücklich von der Kostenübernahme ausgeschlossen, ein entsprechender Vermerk war auf den Gutscheinen aufgedruckt. Trotzdem hatte Reinhardt nach eigenen Angaben dort rund 250 Lageso-finanzierte Gäste angetroffen, die in überfüllten Zimmern ohne ausreichende Kochgelegenheit lebten. Der Hotelmanager habe ihm versichert, die Kosten vom Amt erstattet zu bekommen. Zum Handel mit Hostelgutscheinen, sagte Gerstle, habe man keine Erkenntnisse.
Dass nicht genau hingeschaut wird, zu welchen Bedingungen Menschen auf Landeskosten beherbergt werden, ist nicht nur ein Zeichen von Überforderung. Sondern Absicht, wie Gerstles Erklärungen belegen: Noch im März hatte der Staatssekretär angekündigt, einen Fragenkatalog für routinemäßige Qualitätskontrollen in Hostels erarbeiten zu lassen. Davon ist in seiner aktuellen Stellungnahme nicht mehr die Rede: „Ziel des Senats ist es, die Unterbringung in Hostels und Pensionen konsequent zu reduzieren und sie baldmöglichst auf ihre ursprüngliche Notfallfunktion zurückzuführen“, heißt es. Statt Standards für Hostels zu schaffen und zu überprüfen, sei man jetzt darauf konzentriert, neue Gemeinschaftsunterkünfte zu schaffen.
Nach Schätzungen der Sozialverwaltung kommen jeden Tag 600 bis 800 Menschen neu nach Berlin. Rund 50.000 kamen bis Ende September. Vieles spricht also dafür, dass die Hostels noch länger an Geflüchteten verdienen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!