Ausstellung indonesischer Kunst: Die Freiheit von Bambus
Indonesien ist Gastland der Buchmesse. Eine Schau im Frankfurter Kunstverein stellt bildende Künstler des Inselstaats vor.
„Good Morning“ heißt es, als sich der anonyme Herr auf den Weg macht, und: „Break a leg“. Die englischsprachige Entsprechung für „Hals- und Beinbruch“ kann nicht nur als Abschiedslosung, sondern auch im wörtlichen Sinne verstanden werden, denn der Weg ist offenbar beschwerlich.
Während sich der Herr weiter eine Treppe hochkämpft, flackern wie als Mahnung digitale Uhrzeiten ins Bild, ergänzt um die schönsten Botschaften, die Ratgeber und Gesellschaft so hergeben: Success, Goal, Luck, aber auch Responsibility erscheinen als goldbestickte Laufbänder, Anfang und Ende oft abgeschnitten oder ineinander übergehend. Stillstehen ist keine Option, und so macht sich der Protagonist auf eine 280-Einstellungen dauernde und schließlich im endlosen Loop befindliche Odyssee, festgehalten in Stop-Motion, die ans Flackern und Flickern eines alten Diaprojektors erinnert.
„Break a leg“ ist eine Arbeit des indonesischen Künstlerkollektivs Tromarama, und sie strotzt nur so vor analogem Charme: Wie in anderen Arbeiten lassen die Video- und Installationskünstler hier zahlreiche Einzelbilder zum bewegten Film werden. Die eingeblendeten Uhrzeiten und Botschaften sind allesamt mit goldenem Garn auf ihr Ausgangsmedium eingestickt worden: 280 Handtücher mit dem charakteristischen „Good Morning“ – Schriftzug, Massenware aus China, die in Indonesien zum Alltag gehört.
Sie werden zusammen mit dem fertigen Film an Wäscheleinen hängend präsentiert, wie um sich ihres Ausgangszustands noch einmal zu vergewissern, und trotzdem oder gerade deshalb verliert die Animation nichts von dem Zauber, der sich erst mit dem Loslaufen des einsamen Mannes entfaltet: Selten wurde das Rat Race, das ewige und tapfere Streben des Einzelnen in einer Endlosschleife so simpel, traurig und schön zugleich interpretiert.
Fehlende Kunstmarktstrukturen in Indonesien
„Roots. Contemporary Indonesian Art“ heißt die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein, die vier zeitgenössische Positionen aus dem Inselstaat präsentiert. Die Künstler wurden in Zusammenarbeit mit indonesischen Kuratoren ausgewählt, viele Beiträge als „On-Site“-Arbeiten direkt auf den Ausstellungsort zugeschnitten und hier binnen weniger Wochen realisiert.
Indonesien auf der Buchmesse
Anders als frühere Buchmessen-Gastländer wie Finnland oder Brasilien präsentieren zumindest die größeren Ausstellungshäuser in Frankfurt diesmal keine Bildenden Künstler. Das Fehlen großer Übersichten ist vielleicht auch pragmatischen Gründen geschuldet: Erst seit der zunehmenden politischen Öffnung des Inselstaates ab 1998 ist im Land mit der viertgrößten Bevölkerung weltweit an etwas wie autonome Kunst zu denken.
Verteilt auf über 17.000 Inseln, zentralistisch ausgerichtet und politisch wie religiös im Mittelpunkt zahlreicher Konflikte, war und ist der indonesische Alltag alles andere als einfach, was sich auch im Fehlen etablierter Kunstmarktstrukturen widerspiegelt. Und trotzdem: In Australien und Südostasien sind die hier ausgestellten Künstler längst gefragt; Febie Babyrose, Herbert Hans und Ruddy Hatumena von Tromarama haben vor Kurzem ein Projekt für das Stedelijk Amsterdam realisiert, während Eko Nugroho bei der 55. Biennale in Venedig vertreten war.
Als Türöffner zur Ausstellung funktioniert die gigantische Bambusskulptur von Joko Avianto (*1976), der seine poetischen Rauminterventionen stets auf den Ort zupasst, an dem er gerade ausstellt. Zweieinhalb Wochen lang haben er und seine Assistenten rund 1.500 Stangen des traditionellen Baumaterials verarbeitet, in kleine Stücke geschlagen und zu einem Mini-Wald mit runden Baumkronen geformt. Die erinnern an die Akazien, die einst vor dem Kunstverein standen, verweisen aber auch auf die zahlreichen Bäume im indonesischen Stadtbild: Von den Niederländern gepflanzt, werden die unliebsamen Symbole der Kolonialisierung heute von vielen Indonesiern gern als Schatten spendender Treffpunkt im urbanen Raum genutzt.
In der universalen Sprache der Street- und Comic Art, ergänzt um Installation und großformatige Stickereien erzählt Eko Nugroho (*1977) Geschichten von Migration und politischem Chaos, von Digitalisierung und zunehmender Sprachlosigkeit. Die Wände des Kunstvereins hat er auch mit deutschen Sätzen versehen, „Nicht Politik, sondern Schicksal“ heißt einer.
Er hat etliche Schnäbel
Seine Arbeitsweise versteht er als permanente Reaktion auf aktuelle Erfahrungen – einer festen Botschaft möchte er sich lieber entziehen: Die Probleme seien riesig, und ständig kämen neue hinzu. Er lacht. Der permanente digitale Kommunikations- und Nachrichtenstrom macht die Sache kaum einfacher. Eine Figur mit etlichen Schnäbeln und Augen, die im Foyer aufgebaut ist, das könnte gut er selbst sein: „Ich kann nur beobachten, aber habe eigentlich selber keine Ahnung, keine Handlungsmöglichkeiten.“ Der Mensch-Vogel-Hybrid hält ein Schild hoch: „What else?“
Ähnlich lässt sich auch die Installation „Power Unit“ von Jompet Kuswidananto (*1976) lesen: Eine Gruppe Anonymer, an deren menschliche Attribute nur kopflose Vermummung, Hände und Lenker als Handersatz erinnern, werfen Fragen nach den Möglichkeiten in der jungen indonesischen Demokratie auf. Untereinander vernetzt durch Bewegungssensoren, ermöglichen sie eine Interaktion, deren Grenzen im selben Moment eng abgesteckt bleiben. Ein Abgesang auf die vielgepriesenen Möglichkeiten sozialer Netzwerke, die Inhalte zu Gunsten fortwährender Kommunikation überwunden zu haben scheinen.
„Roots. Contemporary Indonesian Art“, Frankfurter Kunstverein, bis 10. Januar 2016
Das Thema Freiheit wird von den ausstellenden Künstlern auf verschiedenen Ebenen verhandelt: Sie misstrauen dem allzu Naheliegenden – auch, wenn es ein „Dagegen“ bedeutet. Belehrungen und Attitüden halten sie inhaltliche Ambivalenz und formal eine große Lust am künstlerischen Ausdruck entgegen. Was den Rundgang durch den „Roots“-Parcours zu einem großen Vergnügen macht: Materialien und Medien von Bambus bis Videokunst, von Installation bis zum kunstfertig bestickten Wandtuch (eine Arbeit, für die Familien vor Ort beschäftigt werden) – zumindest die neu gewonnene künstlerische Freiheit, das beweist ein Rundgang durch den „Roots“-Parcours, scheint einiges für sich zu haben.
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