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Im Zweifel für den Gutachter

MIETRECHT In Schimmelprozessen geht es meist weniger um den Pilzbefall als um den Stellenwert von Gutachten. Da haben Mieter schlechte Karten

F. bliebe nur, seinerseits nachzuweisen, dass die Schimmelbildung nicht an seinen Aktenordnern lag. Wie er das aber anstellen könnte, da hat auch F. keine Idee mehr

Wer trägt die Schuld, wenn es in der Wohnung schimmelt? Für Mieter wie den Bremer Sven F., der darüber ein Räumungsverfahren verlor, ist das eine existenzielle Frage. Für Wohnungsbaugesellschaften, Gerichte und Gutachter hingegen zählt der Dauerbrenner zum Tagesgeschäft – besonders im Herbst, wenn Feuchtigkeit bis dahin unsichtbaren Schimmel erblühen lässt. „Etwas zu routiniert“ war sein Prozess, sagt F. Das Gerichtsgutachten lässt ihn ratlos zurück.

Das Verfahren hat eine lange Vorgeschichte: Bereits 2012 wurde in Fs. Ein-Zimmer-Wohnung in der Bremer Neustadt eine verschimmelte Innendämmung entfernt. Doch statt danach auch die Sporen zu beseitigen, räumten die Handwerker Fs. Möbel zurück in den Baustaub. Das sagen jedenfalls F. und seine Nachbarin. Das Haus gehört der Brebau, Bremens zweitgrößter Wohnungsbaugesellschaft.

Umweltinstitut ermittelt

F. leidet unter Atembeschwerden. Als er vom Bundesumweltministerium erfährt, dass auch tote Sporen gesundheitsschädlich sein können, beauftragt er das Bremer Umweltinstitut, die Sporenbelastung zu messen. Die Einrichtung forscht seit über 30 Jahren zu Schadstoffen in Gebäuden. Und tatsächlich ermitteln die Wissenschaftler überdurchschnittlichen Befall.

Juristisch handfeste Richtwerte für Sporenbelastung gibt es allerdings nicht. Darum untersucht das Institut auch die Umgebungsluft und erhärtet den Verdacht: Im Inneren sind erheblich mehr Sporen zu finden als draußen. Doch die Brebau verweigert eine erneute Reinigung und F. mindert die Miete. Das Ergebnis: Fristlose Kündigung und schließlich die Klage, weil er den Rauswurf nicht akzeptiert.

Das Bremer Amtsgericht bestellt einen Sachverständigen, um die Belastung und ihre Ursache zu prüfen. Für diesen Gutachter, der auch im Landesvorstand des Eigentümer-Lobbyverbandes „Haus und Grund“ tätig ist, ist die Sache klar: „Die gewählte Wohnhygiene”, heißt es im Gutachten, sei bautechnisch betrachtet nicht der Vermeidung von Schimmelpilzbildung dienlich: Erstens seien die 22 Quadratmeter Wohnfläche „rundum vollgestellt“: mit Aktenordnern und penibel in Kunststoffboxen verpacktem Arbeitsmaterial. Zweitens habe im Regal Staub gelegen.

Über diese Einschätzungen kommt der Gutachter dem zweiten Teil seines Auftrags dann auch gar nicht mehr nach. „Sporen gehören zum Leben dazu“, sagt er im Prozess. Eigene Messungen habe er nicht unternommen. Stattdessen folgen seitenweise unscharfe Fotos der Wände mit dem Vermerk, dass dort kein Schimmel sichtbar sei. Neben einer Aufnahme der Küche steht: „Bad kein Schimmel”. Auch sprachlich lässt das Dokument eine gewisse Eile vermuten: „Im Bericht des Umweltinstitutes, der nach der Sanierung erstellt worden ist, gibt keinen Rückschluss auf vormalige Belastungen von Schimmelpilzsporen folgelogisch der Zeitfolge enthalten.”

Gemeint ist wohl, dass der erbrachte Vergleich mit der Umgebungsluft nicht ausreiche, sondern auch geklärt sein müsse, wie es vor den Bauarbeiten aussah. „Müssen Mieter noch vor einer Sanierung messen”, fragt F., um anschließend eine Chance zu haben, gegen eine unkorrekte Sanierung vorzugehen? Sicherer wäre es gewesen. Das Gericht folgt der Einschätzung des Gutachters.

Gericht vertraut dem Sachverstand des Gutachters

Heute räumt F. den Fehler ein, nicht darauf bestanden zu haben, aus seiner Sicht widersprüchliche Aussagen des Gutachters ins Protokoll zu übernehmen. Nur dann hätte es für die Berufung verwendet werden können. Auch Fs. Anwalt kritisiert das Gutachten. Der Sachverständige habe in der Befragung deutlich gemacht, von Schimmel nichts zu verstehen. Er sei ja auch kein Baubiologe. Das von F. eingebrachte Gutachten sei hingegen nicht ausreichend berücksichtigt worden, obwohl gerade hier die Sporenbelastung thematisiert wird. Doch die Berufung wird abgewiesen.

Das Gericht vertraut dem Sachverstand seines Gutachters und wertet die Untersuchung des Umweltinstituts als sogenannten qualifizierten Parteivortrag – also nicht als Beweismittel. Der Umgang mit Gutachten ist in den meisten Schimmelprozessen zentral.

Wenn keine baulichen Mängel vorliegen, steht der Mieter in der Pflicht, Beweise vorzulegen. Und eben davon geht das Bremer Gericht wegen des Gutachtens aus, obwohl es sich kaum mit den strittigen Sanierungsarbeiten befasst. F. bliebe nur, seinerseits nachzuweisen, dass die Schimmelbildung nicht an seinen Aktenordnern lag. Wie er das aber anstellen könnte, da hat auch F. keine Idee mehr. Und für Mieter gibt es eben keine Routinelösung. Jan-Paul Koopmann

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