piwik no script img

Grüner Landrat über Flüchtlingspolitik„Asyl ist nicht Armutsbekämpfung“

Die Landkreise in Grenznähe seien am Limit, sagt der bayrische Landrat Wolfgang Rzehak. Er fordert mehr Unterstützung für die Verwaltung.

Er hat noch eine Unterkunft bekommen: Flüchtling in Bayern. Foto: dpa
Tobias Schulze
Interview von Tobias Schulze

taz: Herr Rzehak, der Chef des bayerischen Landkreistags ist nach Berlin gefahren, um der Kanzlerin die Situation vor Ort „eindrücklich zu schildern“. Mit Ihrem Segen?

Wolfgang Rzehak: Auf jeden Fall. Es muss ganz oben ankommen, wo unsere Probleme liegen. Gerade die Landkreise in Grenznähe gehen ans Limit.

Welche Probleme haben Sie?

Auf der A 8 führt der Verkehr aus Italien und der vom Balkan durch unseren Landkreis. Es kommt vor, dass Schleuser mitten in der Nacht minderjährige Flüchtlinge allein am Rasthof Irschenberg aussetzen. Die Polizei ruft dann um drei Uhr in der Früh bei meinem Jugendamtsleiter an, und der muss sich um die Jugendlichen kümmern. Wenn er nicht sofort für alle eine Einrichtung findet, muss er manche zu sich nach Hause nehmen.

Und das macht er mit?

Muss er ja. Der Leiter des Jugendamtes ist mit Herzblut dabei, aber natürlich ist das für ihn und seine Familie eine psychische Belastung. Einmal hatte er einen Kindersoldaten aus Somalia daheim, der entsprechend aggressiv war.

Die Kanzlerin sagte Anfang September mit Blick auf die Flüchtlingssituation „Wir schaffen das.“ Lag sie daneben?

Wir müssen es natürlich schaffen. Was wäre denn die Alternative? Das Grundgesetz ändern? Das Asylrecht ist der Wesenskern unserer Verfassung, und deshalb können wir es nicht einfach abschaffen. Aber wenn wir es als Grundrecht erhalten wollen, müssen wir realistisch sein und können nicht sagen: Alle dürfen kommen.

Dass Bund und Länder in der vergangenen Woche beschlossen haben, weitere Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, halten Sie also für richtig?

Genau. Mir ist klar, dass auch Menschen vom Balkan gute Fluchtgründe haben. Ich habe selbst zwei kleine Töchter und würde alles tun, um zu verhindern, dass sie in Armut aufwachsen. Das Asylrecht kann aber nicht der Armutsbekämpfung dienen. Dafür müssen wir andere Wege finden.

privat
Im Interview: Wolfgang Rzehak

47, sorgte im vergangenen Jahr für Furore: Als erster Grüner gewann er eine bayerische Landtagswahl – und das in einer der konservativsten Regionen des Landes. Im taz-Interview kündigte er damals an, sein neues Amt pragmatisch anzugehen.

Arbeitsvisa für Menschen vom Westbalkan etwa, die in der vergangenen Woche ebenfalls beschlossen wurde?

Richtig. Bei uns in der Region brauchen wir dringend Bäcker, Metzger und Personal für die Gastronomie. Wir haben hier aber fast keine Arbeitslose, und die Jugendlichen lernen diese Berufe auch kaum mehr. Da können wir Leute brauchen. Aber nochmal: Das Asylrecht ist dafür der falsche Weg. Wer nur in Deutschland Asyl beantragt, weil er sich ein besseres Leben erhofft, hat keine Erfolgschance, aber er blockiert das ganze System. Wir als Verwaltung können uns deshalb nicht darauf konzentrieren, diejenigen zu integrieren, die echte Aussichten auf Asyl haben.

Dass klingt, als ob Ihnen Horst Seehofers Idee gefällt, Asylbewerber vom Balkan in speziellen Lagern unterzubringen, um sie schneller abschieben zu können.

Asylbewerber nach Völkern zu trennen, ist Schmarrn. Es ist aber richtig, die Verfahren zu beschleunigen. Und wenn spezielle Unterkünfte ein Mittel zur Beschleunigung sind, dann sind sie ebenfalls richtig.

Manche Ihrer Parteifreunde in München und Berlin sehen das anders. Tauschen Sie sich mit ihnen regelmäßig aus?

Vor kurzen waren die Vorsitzenden der Landespartei und der Landtagsfraktion hier. Die ein oder andere Erkenntnis ist sicherlich angekommen. Manche Sachen stellen sich eben anders dar, wenn man nicht nur mit Flüchtlingen und Helferkreisen redet, sondern sich auch mal die Probleme der Verwaltung anhört. Von der Bundespartei habe ich leider noch nichts gehört. Wahrscheinlich wissen die dort schon alles.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • "Die Polizei ruft dann um drei Uhr in der Früh bei meinem Jugendamtsleiter an, und der muss sich um die Jugendlichen kümmern. Wenn er nicht sofort für alle eine Einrichtung findet, muss er manche zu sich nach Hause nehmen."

     

    Komisch, wieso stehen dann nicht massenhaft Jobanzeigen überall, dass Erzieher mit Erfahrungen in der Arbeit mit Jugendlichen mit schwierigem Verhalten gesucht werden?

    Darf das vielleicht alles nur nix kosten?

  • Das tut mir Leid, wenn die Verwaltung in Not ist, aber es sind zur Zeit eben sehr viele Leute schon bereits mit der Unterstützung der Flüchtlinge beschäftigt.

  • Warum wird häufig von Asyl gesprochen?

    Es gibt eklatante Unterschiede zwischen Asyl und Kriegsflüchtling. Und was ist mit einem Touristenvisum?

    Wie verzweifelt muss man sein, dass einer unbekannten Privatperson Geld für einen Transport gegeben wird.

    Ein Flug von Skopje nach Deutschland kostet mal gerade ~200,- Euro.

    Seitens Staat werden unbekannte "DB Schleuser" anerkannt?

    Dabei könnte ein regulär geregelte Anreise (evtl. Abreise auf gleichem Weg) viele, sehr viele Probleme lösen.

     

    "UN-Studie belegt: Drei Viertel aller Beschäftigten haben prekäre Jobs"

    Die Grünen und der Ausbau prekäre Arbeitsstellen ist ein anderes Thema.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Es wird derzeit immer wieder gesagt / geheuchelt man müsse den Menschen in ihren Herkunftsländern helfen, damit sie dort bleiben können. Doch wie soll das funktionieren, wenn hier noch nicht einmal der Mut / die Ehrlichkeit aufgebracht wird, gegen Korruption und Arbeitsplatz- wie Wertevernichtung alla VW vorzugehen - Dazu gibt es nämlich nur eine Antwort: VERSTAATLCIHUNG!?

  • Das ist das erste Mal, dass ich so etwas erklärendes und einleuchtendes finde, ohne dass da eine Spur von Hass oder Ablehnung mitklingt. Asyl kann nicht jeder bekommen, dafür gibt es bestimmte Voraussetzungen, aber natürlich haben auch die, die vor Armut fliehen ein Recht auf ein besseres Leben, eben nur nicht unter der Überschrift ASYL. Sie müssen anders behandelt, nicht einfach zurückgeschickt werden. Was aber bedeutet das GENAU? Ich arbeite seit zwei Jahren mit Flüchtlingen und hoffe inständig, dass es endlich Lösungen gibt.

  • "Das Asylrecht ist der Wesenskern unserer Verfassung, und deshalb können wir es nicht einfach abschaffen. Aber wenn wir es als Grundrecht erhalten wollen, müssen wir realistisch sein und können nicht sagen: Alle dürfen kommen."

    Er hebelt dadurch seine eigene Aussage komplett aus. Denn wenn nicht alle kommen dürfen die es nötig haben kann man nicht mehr von Grundrecht sprechen. Fazit: Typisches Schöngeschwätz (von Politikern)!

     

    Konkret meint er also:

    1.) Bei Krieg und Vertreibung Limits setzen (ggf. international Flüchtlingsagenda mit internationalen und regionalen Verteilschlüsseln?).

    2.) Bei spezifisch Verfolgten (Einzelpersonen); individuelles Asylrecht wie bisher auch.

     

    Also doch Grundgesetzänderung oder verschärfte Regelung einer Umsetzung die wie so oft ggf. nicht Grundgesetz konform ist.

    Leider sieht das auch danach aus.

  • Die "von der Bundespartei" wissen natürlich nicht "alles". Aber sie werden auch einen Teufel tun, mit Fragen daran was zu ändern. Weil: Es ist viel einfacher, DEM Wähler, der angeblich auf der Suche nach Orientierung ist, Entschiedenheit und damit Kompetenz zu signalisieren, wenn man nur das sieht, was man grade sehen muss.

     

    Genau deswegen ist das Mehrparteiensystem ja so wichtig gewesen. Früher, meine ich, als die Politiker noch keine Angst davor hatten, im Wettbewerb der Konzepte zu unterliegen. Damals, als noch nicht alle Parteien nur das Eine wollten: Die Stimmen derer, die sie in der "Mitte" wähnen. Heute täte es auch eine SED.

     

    Heute sind die Wechselwähler wichtiger als jede Stammwählerschaft. (Schon deswegen, weil professionelle Polit-Berater und -Strategen ihre "Weisheiten" heute diesem und morgen jenem verkaufen müssen, wenn sie dauerhaft ein Wirtschaftswachstum melden wollen.) Die Wechselwähler aber kann man nicht zufriedenstellen. Mit keinem Wahlprogramm der Welt. Die haben keine Grundsätze, auf die sie sich parteipolitisch festnageln lassen. Die wählen zeitgemäß. So, wie die Unternehmen wählen, für die sie arbeiten. Dass sich jeweils akute Stimmungen und Meinungen, die der individuellen Wohlstands-Maximierung dienen sollen, in Parteiprogramme pressen lassen, halte ich jedoch für ein Gerücht. Das klappt nicht mal in Bayern, fürchte ich.

     

    Angela Merkels "wir" in ihrem Satz "Wir schaffen das!" war jedenfalls mal wieder nicht ganz ernst gemeint. "Schaffen" nämlich müssen eigentlich nur die vor Ort etwas. Der Amtsleiter etwa, der in einem ehemaligen Kindersoldaten das Kind sehen muss, nicht den Soldaten, damit er ihn zu Hause einquartieren kann bei Nacht. Die "oben" an der "Spitze" brauchen nur "alternativlose Entscheidungen" zu treffen. Womit wir wieder bei den Grünen wären, die keine sehen können dürfen, weil sie sonst angeblich keiner wählt. Was blöd wäre, weil Macht angeblich superwichtig ist.