: Stöpsel wieder auf der Flasche
DEUTSCHLAND Zwischen Österreich und Bayern bilden sich nun kilometerlange Staus. Die SPD stellt sich hinter den Innenminister, der die Grenzkontrollen wieder einführte
von Daniel Bax
Nachdem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Sonntag bekannt gab, dass Deutschland vorübergehend wieder Grenzkontrollen einführe, war der Bahnverkehr nach München sogar zeitweise eingestellt worden. Die Maßnahme sei wegen des großen Flüchtlingsandrangs, aber „auch aus Sicherheitsgründen dringend erforderlich“, sagte de Maizière. Auch in Sachsen bereitet sich die Polizei darauf vor, an der Grenze zu Tschechien zu Kontrollen zurückzukehren.
Innerhalb des sogenannten Schengenraums sind Grenzkontrollen eigentlich abgeschafft. In Ausnahmesituationen können sie aber für begrenzte Zeit wiedereingeführt werden (siehe Seite 4). Die EU-Kommission in Brüssel wollte die deutsche Entscheidung deshalb „auf den ersten Blick“ nicht kritisieren. Offen ist, wie lange die Kontrollen andauern sollen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann rechnet mit mehreren Wochen.
Durch die deutsche Entscheidung droht aber ein Dominoeffekt. Auch Österreich kündigte am Montag Kontrollen an seiner Grenze zu Ungarn an, Tschechien und die Slowakei wollen an den Übergängen nach Ungarn beziehungsweise nach Österreich ebenfalls ihre Kontrollen verstärken.
Die SPD stellt sich hinter den Innenminister. Von einer „Atempause“ sprach SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Die Grenzkontrollen dienten dazu, „die Aufnahme der Flüchtlinge wieder in geordnete Bahnen zu bringen“, sagte er. „Nicht das Grundrecht auf Asyl, aber die faktische Aufnahmefähigkeit der Länder und Kommunen ist an ihre Grenzen geraten.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel prognostiziert, dieses Jahr könnten eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Am Montag beteuerte die Bundesregierung, Flüchtlinge würden weiter aufgenommen, sie würden lediglich direkt an der deutsch-österreichischen Grenze registriert. „Es bleibt dabei: Wir schaffen das“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Aber niemand hat gesagt: Wir schaffen das über Nacht.“
Die CSU ist stolz darauf, dass die Rückkehr zu Kontrollen nicht zuletzt auf ihre Initiative zurückgeht. „Es war jetzt nach acht Tagen einer zusätzlichen Völkerwanderung dringend notwendig, dieses Signal zu geben“, sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Zuvor hatte er die Kanzlerin in einem Interview harsch für ihre Entscheidung kritisiert, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge in der vergangenen Woche nach Deutschland einreisen zu lassen. „Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen“, sagte Seehofer dem Spiegel. Nun hat er sie zur Kehrtwende genötigt.
Für Dienstagabend lädt Merkel zu einem Krisentreffen von Bund und Ländern nach Berlin. Unabhängig davon bleibt es aber bei ihrem geplanten Flüchtlingsgipfel am 24. September. Seehofer fordert mehr Geld vom Bund für Länder und Kommunen. Und er will den Bund in die Pflicht nehmen, für die Verteilung der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge zu sorgen.
Die Grünen-Parteichefin Simone Peter nannte die Rückkehr zu Grenzkontrollen einen „rabenschwarzen Tag für Europa“. Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl warf der Bundesregierung den „Missbrauch von hilfsbedürftigen Flüchtlingen“ vor: Die Einführung von Grenzkontrollen diene ganz offensichtlich dem Zweck, Druck auf andere EU-Staaten auszuüben, um sie zur Aufnahme von Flüchtlingen zu bewegen. Und Amnesty International warnte, die Flüchtlinge in Ungarn drohten im „lebensgefährlichen Chaos“ zu versinken.
Dabei scheint sich für die Flüchtlinge bisher noch gar nicht so viel geändert zu haben. Der einzige Unterschied zu den vergangenen Tagen besteht darin, dass die Pässe der Flüchtlinge genau kontrolliert werden. Nach der Kontrolle kommen sie dann aber wie bisher in eine Erstaufnahmeeinrichtung, wo ihr Asylverfahren beginnen soll. Die Bundespolizei winkt hauptsächlich Lieferwagen und Kleinbusse mit osteuropäischen Kennzeichen heraus, sie hat es vor allem auf Schleuser abgesehen.
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