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Kolumne Leuchten der MenschheitDie Rettung des linken Projekts

Chantal Mouffe lehnt Konsens ab: Sie sympathisiert mit Syriza und Podemos, weil sie antagonistische Konflikte entfachen.

Chantal Mouffe bei einem ihrer Vorträge im Juni 2013. Foto: Stephan Röhl

R adikaldemokratisch, antineoliberal, populistisch, so habe eine neue Linke zu sein, sagte Chantal Mouffe kürzlich in Hamburg. Die 72-Jährige ist die eine Hälfte des Theoretikergespanns Laclau/Mouffe, ihr Mann Ernesto Laclau starb im vorigen Jahr. Die beiden gelten als Vordenker von Syriza, jedenfalls bevor das linke Bündnis von Alexis Tsipras in Richtung Realpolitik geführt wurde. Und mancher Parteigenosse hat wie Exfinanzminister Gianis Varoufakis bei Laclau in Essex auch studiert.

Lauscht man dieser Tage im Kampnagel-Theater dem Vortrag von Chantal Mouffe über die Zukunft der Demokratie, versteht man sofort, was da im Hörsaal gefunkt hat. Auf dem Plan steht die Rettung des linken Projekts, und zwar indem man das Konzept vom Konsens ablehnt. Schließlich habe es, so die luzide Ableitung, die traditionellen sozialdemokratischen Parteien zum permanenten Jasagen und damit in die Teufelsküche des Neoliberalismus gebracht, weshalb sie nun von den konservativen Parteien kein bisschen mehr zu unterscheiden seien.

Geschrieben stehen die an Carl Schmitt geschulten Thesen auch in Mouffes jüngstem Buch „Agonistik – Die Welt politisch denken“ (Suhrkamp, 2014). Laclau/Mouffe sahen ihre Vorstellungen bei den lateinamerikanischen linkspopulistischen Parteien verwirklicht.

Sie sympathisiere mit Syriza und Podemos, verkündet Mouffe vor gut gefülltem Saal, das seien Leidenschaften bindende Bewegungsparteien, wie sie Europa bräuchte. Die beiden würden antagonistische politische Konflikte aufmachen, also solche, die nicht zu lösen sind; und man spürt, welch Freude das der kleinen Frau mit dem Pagenschnitt ist. Nur dass Politik, so gesehen, pures Machtspiel ist, und am Ende stets der Stärkere gewinnt. Da ändert sich dann entweder nichts oder alles. Verhandeln muss keiner. Aber Wundenlecken, das muss man schon mögen.

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5 Kommentare

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  • Na - still ruhts am Müggelsee;) - wa!

    -> 2.0

     

    Danke -

     

    Carl Schmitt

    “Der Führer schützt das Recht”

    (hoffentlich nicht dank GröFimaz Wolfgang Spätzle;)

    Schon mal gehört zu haben –

    Scheints denn doch nicht für eine derartige Kolumne – & – öh

    Besprechung zu reichen.

     

    Bemüht – ist mit Verlaub eben nicht gut.

    Leuchtet ein Mensch – odr?

    http://www.taz.de/Kolumne-Leuchten-der-Menschheit/!5225953/

  • Liebe Christiane Müller-Lobeck,

     

    ich habe das von Ihnen zitierte Buch kürzlich gelesen. Allerdings habe ich Chantal Mouffe so verstanden, dass sie einen Konsens für unbedingt nötig hält, damit eine Gesellschaft überhaupt funktionieren kann. Hierarchien eingeschlossen.

     

    Sie spricht sich allerdings gegen einen Konsens aus, der nur um seiner selbstwollen gemacht wird und letztlich kein wirklicher Konsens ist – also gegen das, was landläufig als fauler Kompromiss bezeichnet wird. Folgerichtig spricht sie von einem konflikthaften Konsens, in dem die von ihr geforderten leidenschaftlichen Auseinandersetzungen einmünden münden. Das genau meint sie doch mit dem Begriff Agonistik, den sie dem Begriff Antagonismus gegenüberstellt: Unter Antagonismus versteht Chantal Mouffe einen unauflösbaren Widerspruch. Angonistik ist demgegenüber doch ein durchaus aufgehobener Widerspruch, allerdings in Form eines konflikthaften Konsenses, der den Widerspruch nicht leugnet und verdeckt oder verschüttet, sondern im Bewusstsein hält. Dennoch ist es ein Konsens.

     

    Meine Bedenken im Blick auf den Ansatz von Chantal Mouffe sind eher, ob sich die einmal entfachten Leidenschaften so katalysieren lassen, dass sie in einen konflikthaften Konsens münden können.

     

    Theoretisch ist mir das Konzept von Chantal Mouffe sympathisch.

     

    Bei SYRIZA ist der konflikthafte Konsens intern allerdings nicht zu gelingen. Vielmehr scheinen die entfachten Leidenschaften zum Zerfall von SYRIZA zu führen. Mit derzeit noch unabsehbaren Folgen für die Linke in Europa und für die aktuellen politischen Auseinandersetzen.

     

    Und im Blick auf die Emotionen und Leidenschaften, die sich aktuell in Heidenau, Freital, Salzhemmendorf und anderswo gegen Flüchtlinge entladen, kommen mir noch mehr Zweifel, ob Chantal Mouffes Konzept praxistauglich ist.

     

    Wie die Hasstiraden und Angriffe gegen Flüchtlinge zeigen, gibt es eben nicht nur linke Leidenschaften, sondern auch rechte, rassistische Leidenschaften.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Nur dass Politik, so gesehen, pures Machtspiel ist, und am Ende stets der Stärkere gewinnt."

     

    Das Vorhandensein der unterscheidbaren politischen Alternativen ist langfristig unabdingbar für eine funktionierende Demokratie. Besser "winner takes it all" als "alles egal".

  • Antagonistisch? Eher hochaktuell.