80 Jahre Stadtgeschichte im Bild: In Hamburg macht man Pause
„Fofftein“ im Hamburger Museum der Arbeit zeigt die Arbeiten von drei Fotografen, die durch die Stadt gezogen sind.
HAMBURG taz | „Fofftein“ als Titel einer Ausstellung klingt schrecklich altbacken. Nach plattdeutschen Lustspielen und Heidi Kabel (die einmal zu sehen sein wird) und Lokalkolorit, nach Männern mit Helmut-Schmidt-Mütze, die an der Pfeife ziehen und nach lustigen NDR-Moderatoren, wenn die ins „schnacken“ kommen. Doch steht man erst mal im dritten Stock des Hamburger Museums der Arbeit und schaut auf die ersten Bilder, weiß man, dass man in der nächsten Stunde eine wirklich gute Fotoausstellung zu sehen bekommen wird.
Was zunächst an Thomas Henning liegt, also an seinen Bildern. Er zeigt uns die Hamburger Stadtteile St. Georg und das Schanzenviertel und dann noch St. Pauli. Und dafür geht er überwiegend zurück in die 1980er-Jahre, als auch in Hamburg eine neue Zeit anbrach, die noch von der alten geprägt ist, der man zu entkommen suchte. Er zeigt uns Männer mit Schnauzbärten, die in aufgemotzten Ami-Schlitten posieren. Er zeigt uns Autowerkstätten in Hinterhöfen, müde Arbeiter, die sich auf St. Pauli zu erholen suchen. Und er zeigt uns dies in heute ungewohnt satt-bunten Farbfilmfarben, und seine erzählerische Kraft macht, dass auch seine frühen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den 1970er-Jahren nur so vor Lebendigkeit sprühen.
Das ist anders bei Gerd Mingram, Fotokünstlername Germin. Gelernter Schriftsetzer, dann freier Fotograf mit sozialistischer Prägung, der schließlich bei der NSDAP-Zeitungsbeilage Hamburger Tagesblatt unterkam und hoffte, so unter den Nazis nichts mit den Nazis zu tun haben zu müssen. Bis diese sich ihn vornahmen und er anschließend das damalige Leben in Hamburg brav in ihrem Sinne ablichtete.
Nach 1945 machte er sich daran, den Aufbau Hamburgs zu dokumentieren. Man sieht den Rathausmarkt, man sieht Ecken in Hamburg-Dulsberg, man blickt vom Michel aus großer Höhe auf die Innenstadt – und man sieht all die Zerstörungen. Und man sieht, wie diese langsam verschwinden, wie sie allmählich dem Wiederaufbau Platz machen, bis am Alsteranleger Frauen in hellen Kleidern mit übereinander geschlagenen Beinen unbeschwert weiße Schwäne füttern oder junge Familien nun gut gekleidet und entspannt wirkend durch die Internationale Gartenbauausstellung von 1963 schlendern.
Vieles ist erkennbar inszeniert, besonders wenn Germin in die Arbeitswelt eintaucht. Dann wirkt sein Straßenbahnschaffner, seine Weberinnen und all die kernig-spröden Hafenarbeiter so, als hätten sie das große Los gezogen mit ihrer sauberen, überschaubaren Art von Arbeit. Nur bei wenigen Aufnahmen blitzt hier und da wenig Eigenwilligkeit durch, etwa wenn es ihn nach St. Pauli zieht oder auf den Hamburger Dom, also auf den Jahrmarkt.
Die Auftragsfotografie für Zeitungen und Magazine, für Krankenkassen, Gewerkschaften und Unternehmen hat ihn offensichtlich ganz und gar eingenommen. Was es einem als Betrachter aber auch erlaubt, mehr als eine Ahnung zu bekommen, wie sich bestimmte folkloristische Hamburg-Stereotypen durchsetzen konnten: die qualmenden Schiffe auf der Elbe, der dämmerig-melancholische Blick von der Lombardsbrücke auf den erleuchteten Jungfernstieg, die zufrieden wirkenden Hafenarbeiter mit Pausenbrot und Brotdose.
Angenehm kontrastiert wird das Werk der beiden Hamburger Fotografen mit Arbeiten von Adam Panczuk, der Mitglied der polnischen Künstlergruppe „Sputnik“ ist. Ihn hat man gebeten, Momentaufnahmen von der Stadt zu machen, wie er sie als Dazugekommener wahrnimmt, und er hat sich in den Stadtzonen umgeschaut, wo dieser Tage und in naher Zukunft jeder Stein umgedreht werden wird: das Gelände der Hafencity, lukrative Bereiche von Wilhelmsburg, das Areal der kommenden Mitte Altonas und verwunschene Ecken in Rothenburgsort und Billbrook, die unter dem Label „Hamburgs Neuer Osten“ längst unter Investoren aufgeteilt worden sein dürften
Auffällig unscharf
Womit schließen? Vielleicht mit einem Hinweis auf Germains Aufnahme eines überaus tristen Hinterhofs in der Talstraße auf St. Pauli von 1962, in der Kinder um ein Autowrack herum spielen. Ein Bild, das er heimlich gemacht haben könnte, denn es ist auffällig unscharf, so als habe er es im Vorbeigehen geknipst, während seine Protagonisten sonst oft wirken, als habe er sie mehrfach neu drapiert, bis ihre Haltungen und ihr Erscheinungsbild seinen Erwartungen entsprachen.
Oder mit einem Blick Panczuks auf die Rückseite der Karstadt-Ruine am Barmbeker Bahnhof, gleich beim Museum nebenan. Wo unterschiedliche Mauerreste zu sehen sind; Hinweise darauf, dass die Geschichte eines Bauwerkes sich unweigerlich zeigt, wenn man ihm zu Leibe rückt, bis dieses schließlich überplant und dann überbaut wird – bis zum nächsten Abriss. Oder vielleicht doch eher, weil wie von selbst der Tagesaktualität verpflichtet, mit Thomas Hennings Aufnahme der so genannten Ausländerbehörde in der Amsinckstraße, eine der großen Ausfallstraßen der Stadt?
Henning war nachts dort, ein bizarrer Ort, ausgeleuchtet, als sei Tagesbetrieb, aber gänzlich leer. Mit in die Nacht gespiegelten modernen Lampen, als seien es wundersame Wesen, aber auch den harten, unbeweglichen Schalensitzen und vor allem den so genannten Hamburger Absperrgittern, wie man sie von Demonstrationen her kennt. Ein Ort, der im Moment der Betrachtung kurz wirkt, als sei er seiner reglementierenden Funktion enthoben, bis einem schlagartig einfällt, dass ihn doch so viele durchqueren und auch aushalten müssen, die etwas ganz Schlichtes werden wollen: normale Hamburger und Hamburgerinnen, auf das sie in den kommenden Jahrzehnten die Stadt neu prägen.
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