„Recht auf Stadt“ fürs Bücherregal: „Rathaus ist irgendwann weg“
Niels Boeing engagiert sich schon von Beginn an für die Recht-auf-Stadt-Bewegung, die jetzt einzuschlafen droht. Aber die Idee lebt, schreibt er in seinem Buch.
taz: Man hört in letzter Zeit wenig von Recht auf Stadt (RaS). Aber Sie veröffentlichen Ihr zweites Buch – ist die Bewegung von der Straße ins Bücherregal gewandert?
Niels Boeing: Nein, das würde ich nicht sagen. Also ins Bücherregal vielleicht schon, aber in die Tagesschau jedenfalls nicht. Es stimmt, das RaS immer wieder sporadische Aufwallungen hat und nochmal sichtbar ist, aber nach meinem Eindruck ist der Drive raus. Ich find‘s schade, aber es hat keinen Sinn, dem nachzujammern.
Ziehen Sie in Ihrem Buch Bilanz nach sechs Jahren RaS und Gängeviertel?
48, ist Aktivist bei Recht auf Stadt und schreibt als Journalist etwa für Die Zeit und Technology Review.
Schon, jedenfalls war mir das ein Bedürfnis. Vor einem Jahr hatte ich das Gefühl, dass bestimmte Sachen nicht weiter diskutiert werden. Ich liebe es, an der Theorie weiter zu denken. Manchmal ist mir das bei RaS zu aktionistisch gewesen: „Da ist ne Baustelle, da gehen wir jetzt hin.“ Die Parole, die 2009 ganz schön was bewirkt hat, ist in all den Jahren recht diffus geblieben. Manche Diskussionen sind auch verplätschert.
Was ist das Beste, das aus der Bewegung hervorgegangen ist?
Vor sechs Jahren wurde das Gängeviertel besetzt und zur Zeit sind die AktivistInnen noch in Verhandlungen mit der Stadt: Es geht um die Zukunft des besetzten Viertels und der zentrale Streitpunkt ist die Frage nach dem Eigentum an den Gebäuden.
Im Februar waren die Verhandlungen fast gescheitert, die AktivistInnen des Gängeviertels hatten die Gespräche abgebrochen. Nun wollen beide Seiten aber weiter reden und die Sanierungsarbeiten dauern derweil an.
Das Gängeviertel feiert von Freitag bis Sonntag mit buntem Programm seinen sechsten Geburtstag. Es gibt Ausstellungen, Partys und Konzerte sowie Veranstaltungen zu Stadtentwicklung, Kulturpolitik und sozialem Engagement.
Am Freitag liest Niels Boeing aus seinem Buch: „Von Wegen – Überlegungen zu einer freien Stadt der Zukunft“.
Am Sonntag geht‘s um Recht auf Stadt: Unter dem Titel „Hamburger Kompass“ berichten verschiedene Initiativen vom aktuellen Stand und geben Einblick in die Aktivitäten des Netzwerks. Ein besonderer Schwerpunkt soll auf dem „Wilden Osten“ liegen.
Abschließend diskutieren am Sonntag Rolf Weilert vom Mietshäuser-Syndikat, Journalist und Aktivist Christoph Twickel und weitere Gäste über Formen kommunalen Eigentums und die praktische Umsetzung von Projekten in Eigenleistung.
RaS ist ein sehr breites Spektrum, das ist für die linke Szene nicht selbstverständlich. Gut ist auch, dass eine Menge Aktionsformate reingekommen sind, die ich mit „situationistisch“ bezeichnet habe. Park Fiction hat da einen starken Einfluss gehabt. Und das Gängeviertel war ja auch eine andere Art der Besetzung. Da wurde überlegt: Wie kann man das machen, dass es erst mal nicht aussieht wie eine Besetzung? Dass man erst mal drin ist? Ein Gedanke: Kann man mit der Kunstfreiheit argumentieren? Das Dritte ist, dass im Ausgangspunkt der Gentrifizierungskritik darauf geachtet wurde, dass wir nicht über Sachen reden wie die „Eigenart eines Viertels“ zu bewahren oder das „gute alte St. Pauli“ zu retten. Es wurde mehr darauf geachtet, die Unterschiedlichkeiten auszuhalten.
Wurde RaS von der Vereinnahmung durch das System eingeholt?
In einer Weise schon: Du öffnest ein Diskursfeld, da geht’s zum Beispiel um Leerstand, um Wohnen. Davon, dass sich die andere Seite nicht bewegt, sollte man nicht ausgehen. Klar macht dann die SPD ihren Wahlkampf mit Wohnungsbau. Wenn man in die Statistik guckt, ist das immer noch Augenwischerei, weil immer noch mehr Sozialwohnungen wegfallen. Die anderen nehmen das Thema und ziehen es zu ihren Bedingungen durch. Aber wenn du das Gegen-Gedankenexperiment machst: Ohne RaS gäbe es vielleicht keine Soziale Erhaltungsverordnung, vielleicht würden immer noch keine neuen Wohnungen gebaut. Es würde nicht so ein Experiment wie die Planbude gemacht.
Bei der Planbude, die Vorschläge für den Neubau auf dem Areal der Ex-Esso-Häuser gesammelt hat, hat RaS Zugeständnisse gegenüber der Stadt gemacht.
Die Politik geht auf eine Bewegung zu und umgekehrt gehen die AktivistInnen auf die Politik zu. Gerade jetzt finde ich es wichtig, das neu aufzureißen und zu sagen: Es ist nicht nichts, wo wir stehen, aber das kann es noch nicht sein. Eigentlich geht‘s schon ums Ganze. Und damit meine ich: Dass es irgendwann kein Rathaus mehr gibt, keinen Senat mehr. Dass es kein Privateigentum an Grund und Boden gibt.
Da sind wir ja noch nicht. Wo steht die Planbude auf dem Weg dahin?
Ich finde es erst mal gut, dass es sie gibt. Nicht gut wäre, wenn sie so ein komisches Zugeständnis wäre: Bei der Rindermarkthalle seid ihr leer ausgegangen, jetzt geben wir euch mal wieder was. Die Frage ist ja: Wer plant? Die Architekten? Die Eigentümer? Oder gibt es für die, die irgendwo wohnen, die Möglichkeit zu sagen: „Wir planen.“ Die Planbude ist eine Antwort. Mit Sicherheit eine vorläufige. Aber wenn ich die Wahl gehabt hätte zwischen Planbude oder nichts, würde ich taktisch sagen: Dann lass erst mal die Planbude machen.
Wie stellen Sie sich denn die transformierte Stadt im Gegensatz zur kapitalistischen Stadt vor?
Wenn man das Rätesystem weiter denkt, wäre es ja vorstellbar, dass es Versammlungen gibt, auf einer kleinen Ebene, die sich pyramidenartig zusammensetzen. Und bestimmte Themengruppen, wie jetzt bei der Flüchtlingshilfe, organisieren zusammen Themen des Alltags.
Komplementär zum Staat?
Nein, das wäre dann im Idealfall der Staat. Den Staat, wie wir ihn jetzt haben, gibt’s dann nicht mehr. Ich glaube nicht, dass es eine Zukunft ohne eine Form von Staat gibt, es ist nur die Frage, ob er so sein muss, wie er sich in den letzten 300 Jahren durch die Aufklärung herausgebildet hat. Ich sehe eigentlich keine andere Chance, gewisse Hoheit über den Stadtraum zu kriegen, wenn du diesem parlamentarischen System wie es heute ist, nicht mal in Ansätzen etwas entgegensetzt.
Ab wann kann man von der befreiten Stadt reden?
Zwei notwendige Bedingungen müssten erfüllt sein: Dass es kein parlamentarisches System und kein Eigentum an Grund und Boden gibt. Vorher ist es nur eine Variation dessen, was wir jetzt haben.
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