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Griechenland-HashingEin Putsch für Arme

Ein neuer Hashtag macht im Netz Furore. Mit #ThisIsACoup droht die Wehrmacht wiederaufzuerstehen. Was für ein Blödsinn!

Wenn Wörter zur Waffe werden: rhetorische Militarisierung. Foto: dpa

BERLIN taz | Manchmal braucht es nur einen Hashtag, um zu verzweifeln. Dann kann ein kleines Wort zum Refugium werden, zu einem Rückzugsort in einer zu Krieg stilisierten Politik, deren Gefechtsorte ganz offenbar keine Grenzen mehr kennen. #ThisIsACoup. Übersetzt: #DasIstEinPutsch.

Das ist so ein Wort, so ein Refugium.

Mit diesem Schlagwort hat in den sozialen Netzwerken, vor allem bei Twitter, in den vergangenen Stunden eine neue Schlacht ihren Ausgang genommen. Es ist in erster Linie eine Schlacht gegen die deutsche Bundesregierung. Spätestens seit am Wochenende ein Papier aus dem Bundesfinanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) an die Öffentlichkeit gelangte, in dem die Option eines zeitweisen Griechenland-Austritts aus dem Euro zur Sprache kam, steht die Bundesregierung endgültig am internationalen Pranger: als Geizhals-Kommando, als Europa-Verachter, als Wehrmachtserben – Neonazis halt, Kriegstreiber. Wer so offen wie Wolfgang Schäuble gegen eine linke, aber legitimierte griechische Regierung putscht, kann doch aus der deutschen Geschichte nichts gelernt haben, oder? Das zumindest ist, bei dieser Twitterei, eine der gängigen Zuspitzungen. Dass sie im intellektuellen Lager anschlussfähig ist, markiert die Tatsache, dass auch der Nobelpreisträger und Kolumnist Paul Krugman sich positiv auf sie bezieht. Deutschland putscht die griechische Regierung weg. Ist doch logo.

Tatsächlich zeigt die deutsche Regierung im Verlauf der sogenannten „Griechenlandkrise“ ja ein beachtliches Maß an Arroganz und Lernunwilligkeit. Und tatsächlich hat die Stimme der deutschen Bundesregierung in Europa ein großes Gewicht. Und tatsächlich trägt die Regierung angesichts der gigantischen Genozide, die von Deutschland ausgingen, eine historische Verantwortung – für sich, für die Welt, für Europa.

Rhetorische Militarisierung

Doch das Schlagwort, mit dem nun im Netz schwadroniert wird, markiert weniger dies, als vielmehr die Tatsache, dass die politische Krise Europas endgültig die Demarkationslinie zur rhetorischen Militarisierung erreicht hat. Erst am Wochenende zeigte der Spiegel auf seiner Titelseite, mit welch billigen Klischees sich in der Medienkrise Politmagazine verkaufen lassen sollen. Darauf zu sehen: Die Fratzen eines bescheuerten Deutschen und die eines tänzelnden Hallodri-Griechen. Zwar behauptet der Spiegel, es handle sich bei dem Bild um eine Karikatur. Allerdings: Es gibt keine doppelte Ebene. Das Klischee reicht völlig aus.

Und so wird, je stetiger sich die Debatten in Brüssel um die vermeintlichen letzten Lösungen einer nicht mit letzten Lösungen zu lösenden politischen und verwaltungstechnischen Krise in die Länge ziehen, eine Billigrhetorik salonfähig, die der Vorläufer zu echtem, substanzlosem Populismus ist. Auch beim virtuellen Getuschel und Gemaule vom Putsch, vom Staatsstreich, vom Coup ist doch dies der Fall: Es reduziert die Welt auf ein einziges Unheil – und gibt dem Unheil eine Fratze. Wer als Kapitalismuskritiker – und, sagen wir: Europäerin und Europäer – etwas auf sich hält, sollte sich daran nicht beteiligen. Es ist zu billig und macht krank.

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12 Kommentare

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  • "[..] angesichts der gigantischen Genozide, die von Deutschland ausgingen, eine historische Verantwortung – für sich, für die Welt, für Europa."

     

    Alexis Tsipras hat doch genau auf diesen Effekt gehofft, als er direkt nach der Vereidigung zu einem Widerstandsdenkmal eilte.

     

    Diesen pawlowschen Reflex, bei Forderungen beschämt einzuknicken, sobald auch nur irgendein Nazi-Vergleich aus dem Hut gezaubert wird, funktioniert nicht mehr und ruft beim staunenden Beobachter doch nur noch ein bemitleidendes "Ach.. nee.." hervor.

  • Nazivergleiche habe ich keine wahrgenommen. Dafür Infos über Schäubles Schwarzgeldvergangenheit.

     

    Der Artikel verkürzt eine große Bandbreite an geschriebenen Meinungen auf das Nazi-Stereotyp - ist das nicht genau das, was er bei anderen kritisiert?

  • "Es reduziert die Welt auf ein einziges Unheil – und gibt dem Unheil eine Fratze." Von den deutschen Medien und insbesondere von der taz erwarte ich, dass sie eine präzise Analyse dieses "Unheils" liefert und dann dementsprechend auch Namen und Gesichter benennen kann, die Entscheidungen getroffen haben, die zu diesem "Unheil" geführt haben. Denn das Unheil kommt nicht einfach irgendwoher - es sind Menschen, die Entscheidungen treffen und das wird viel zu wenig beleuchtet!

     

    Warum schafft es die (oppositionelle) Presse nicht, Merkels Politik im Detail auseinanderzunehmen und damit Angreifbarkeit zu schaffen?

  • Der Artikel verfehlt das Wesentliche. Hier wird nicht nur der Euro verteidigt, sondern die neoliberale Wirtschaftspolitik, für die er steht. Und zwar mit allen Mitteln, bis hin zum Putsch gegen eine gewählte Regierung. Griechenland ist jetzt entmündigt, steht unter Kuratel, die greichische Regierung befehlsempfänger. Das ist ein Putsch, was sonst?

     

    Das ganze dämliche Getwittere kann man, wie immer, bei der Betrachtung außer Acht lassen. Es taugt nicht als politischer lommentar. Das sei dem Autor auch empfohlen, wenn er nicht, wie hier, den Überblick verlieren will.

  • Es ist in der Tat ein Coup.

    Und das Unheil hat in der Tat eine Fratze.

  • Liebe Taz, das ist doch prinzipiell das Grundproblem der neuen ach so tollen (a)sozialen medienwelt, und speziell von Twitter: Komplexe Inhalte zur Schlagzeile verknappt, Meinungen in 140 zeichen gepresst. Da hat grau keine chance, nur schwarz/weiß.

    Was sich mir freilich nicht erschließt: Wieso ihr ausgerechnet in diesem Fall herummäkelt, wo es die Zuspitzung "Staatsstreich" wirklich auf den Punkt trifft?! Wenn ich einem souveränen Land gesetzesvorlagen diktiere, bestimme, welche Minister künftig in der Regierung zu sitzen haben, bestimme, wer welche steuern zu entrichtzen hat und wofür diese verwendet werden, eine "deutsche" Treuhand aufzwinge, auf die die Griechen keinwerlei zugriff mehr haben - wie nennt IHR das denn bitte? Wozu noch Wahlen abhalten in Griechenland, wenn doch Schäuble/Merkel/Juncker/Lagarde/Draghi das wichtigste entscheiden und vorgeben?

    Wenn das kein Staatsstreich ist - was bitte ist denn dann einer?

    Hat übrigens mit Militarisierung nix zu tun. Denn wie man sieht, werden Staatsstreiche in der EU des 21.Jh. viel subtiler, ganz ohne Panzer durchgeführt.

  • Ach ja, die Redakteure der Taz sind sich wohl nicht einig, oder warum veröffentlicht Erci Bonse in Telepolis den Artikel "Protektorat oder Rauswurf?"? http://www.heise.de/tp/artikel/45/45425/1.html

    Es ist manchmal gut und produktiv, wenn "dem Unheil eine Fratze" gegeben wird. Politik von unten hat so Angriffs- und Kristallisationpunkte.

    • @Hajü der Weisse:

      Wieso sollten sie sich einig sein? Forderst du etwa eine Gleichschaltung der persönlichen Meinung aller Mitarbeiter der taz?

      • @tazzy:

        Nein, Tazzy, fordere ich nicht. wollte nur auf den Artikel von Bonse aufmerksam machen. I.Ü. glaube ich, dass Tsipras eine ganze Menge trotz allem herausgeholt hat, den bei Schäuble und Co. schon geplanten Grexit verhindert, und nun 3 Jahre Zeit gewonnen hat. Vorher gings nur um die Verlängerung des EFSM. Das wäre bei einem praktisch schon seit 2012 insolventen Staat bei weitem nicht genug gewesen.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Was im Einzelnen unter einem Hashtag gepostet wird, ist schwer beeinflussbar und kann mitunter eine schwer zu kontrolliebrare Dynamik (Eskallation) entwickeln.

     

    Eines ist aber richtig: mit dem prägnanten Titel sollte hingewiesen werden, dass da beabsichtigt wurde einige staatliche Kernkompetenzen (Gesetzgebung unter Aufsicht, Zwangsvermögenübergabe) auszulagern.

     

    Man kann auch in manchen Aussagen, zumindest temporär, die Absicht erkennen, andere Regierung in GR zu etablieren. Somit wäre die Definition von Wikipedia nicht ganz falsch:

    "...the sudden and forced seizure of a state, usually instigated by a small group of the existing government establishment to depose the established regime and replace it with a new ruling body."

  • TAZ, prüft euch mal, inwieweit ihr selber an der rhetorischen Eskalationsspirale dreht, an der manichäischen Unterscheidung zwischen Gut und Böse.

  • Europa hat seine Unschuld verloren. Aus einer liebevollen Partnerschaft ist eine gewaltätige Ehe geworden.

    Das Drama ist noch nicht vorbei und wird ein unrühmliches Ende nehmen