: Druck auf Deutschland
GELDPOLITIK Nach dem Internationalen Währungsfonds spricht sich auch EU-Präsident Tusk für eine Umschuldung in Griechenland aus. Doch Berlin mauert. Will Deutschland den Grexit erzwingen?
Aus Brüssel Eric Bonse
Kurz vor dem entscheidenden EU-Gipfel am Sonntag hat sich das Blatt im Schuldenstreit mit Griechenland noch einmal überraschend gewendet. EU-Ratspräsident Donald Tusk forderte die Gläubiger Griechenlands am Donnerstag auf, „einen realistischen Vorschlag zur Schuldentragfähigkeit“ des Landes zu machen. Indirekt sprach Tusk sich damit für einen Schuldenschnitt oder eine Umschuldung aus. Deutschland lehnt beides strikt ab.
Die griechische Linksregierung fordert bereits seit ihrem Amtsantritt im Januar Erleichterungen bei den Schulden, die fast 180 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes ausmachen. Hilfen waren Griechenland auch schon Ende 2012 von der Eurogruppe zugesagt worden. Die Bundesregierung hat seither jedoch jeden Vorstoß aus Athen zur Umsetzung dieser Zusage abgeschmettert. Ein Schuldenschnitt sei „kein Thema“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zuletzt beim Euro-Krisengipfel am Dienstag.
Doch nun gerät Merkel unter massiven Druck. Nach Frankreich und den USA hat sich am Mittwoch auch IWF-Chefin Christine Lagarde für Schulden-Erleichterungen ausgesprochen. Neben Spar- und Reformmaßnahmen sei dieser Schritt „notwendig“ für die Tragfähigkeit der Schulden, sagte Lagarde in Washington. „Griechenland befindet sich in einer akuten Krisensituation, die angegangen werden muss“, betonte Lagarde. Europa müsse sofort handeln.
Der Internationale Währungsfonds hatte schon Ende Juni eine Studie zu dem Streitthema vorgelegt. Daraus geht hervor, dass neben einem „Hair-Cut“ (Schuldenschnitt) auch zusätzliche Hilfen von mehr als 50 Milliarden Euro nötig sind, damit Griechenland aus dem Schlamassel kommt. Die EU hatte versucht, die Veröffentlichung dieser Studie zu verhindern. Denn sie lieferte Munition für den griechischen Premier Alexis Tsipras, der sie denn auch prompt im Wahlkampf für das Referendum benutzt hat.
Nun zeichnet sich eine neue Verzögerungstaktik ab: Während die EU Tsipras massiv unter Druck setzt, damit dieser „glaubwürdige“ Spar- und Reformpläne vorlegt (sie sollten am späten Donnerstagabend in Brüssel eingehen), schiebt sie die Schuldendebatte auf die lange Bank. Zuerst müsse man über die Reformpläne sprechen und erst danach über die Schuldentragfähigkeit, sagte der Sprecher von Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Brüssel.
Griechenland, Frankreich und nun auch EU-Ratspräsident Tusk wollen jedoch ein Gesamtpaket. Sollte sich Deutschland querstellen, so könnte es eine Einigung verhindern und damit die Verantwortung für den Grexit –also den Rauswurf Griechenlands aus dem Euro –übernehmen. Ob Merkel dies riskieren will, ist unklar. Zuletzt hatte sie sich pessimistisch geäußert und ein Scheitern des EU-Gipfels am Sonntag nicht ausgeschlossen.
Derweil wächst in anderen EU-Ländern wieder der Optimismus. Frankreich schickte Experten nach Athen, die der griechischen Regierung bei der Ausarbeitung der Reformpläne helfen sollten. Der irische Finanzminister Michael Noonan sagte, die Chancen für eine Einigung stünden bei über 50 Prozent. Auch Luxemburg, das seit 1. Juli den EU-Ratsvorsitz hält, will sich für einen Kompromiss einsetzen. Premier Xavier Bettel wollte noch am Donnerstag mit Tsipras telefonieren und Druck machen.
Derweil läuft die EU-Maschine in Brüssel auf Hochtouren. Bereits am Freitag wollen die Experten der Eurogruppe die Vorschläge aus Athen prüfen. Am Samstag ist dann ein Sondertreffen der Euro-Finanzminister geplant. Von ihrem Ergebnis dürfte es abhängen, ob die EU-Chefs am Sonntag den Daumen über Griechenland senken –oder doch neuen Verhandlungen und Finanzhilfen zustimmen. Der Gipfel beginnt um 16 Uhr. Es könnte eine lange Nacht werden.
Denn die 28 wollen rechtzeitig vor Öffnung der Börsen in Asien am Montagmorgen ein Ergebnis haben. Sollten sich die Hardliner um Deutschland durchsetzen und den Grexit erzwingen, dürfte dies ein weltweites Börsenbeben auslösen. Angeblich sind Finanzminister und Notenbanker in ganz Europa auf den Ernstfall vorbereitet.
Was sie genau vorhaben, will jedoch niemand verraten. Die „detaillierten Notfallpläne“, die Kommissionschef Juncker schon fix und fertig in der Schublade haben will, sind derzeit das am besten gehütete Geheimnis in Brüssel.
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