Unüberlegte Ebay-Käufe: Ein Boot, ein Deal und etwas Zimt
Schon mal nachts ein kaputtes Motorboot auf Ebay gekauft? Unser Autor weiß, wie man aus der Nummer wieder rauskommt.
Zu den dümmsten Aktionen meines Lebens zählt zweifelsfrei der Kauf eines kaputten Motorbootes nachts im Internet auf Ebay. Selbst wenn man den Preis von 2.000 Euro noch als relativ günstig einstuft, jeder Besitzer eines Motorbootes weiß: Ein Motorboot ist ein Loch im Wasser, in das Geld auf Nimmerwiedersehen verschwindet.
Schon die Abholung meiner Neuerwerbung im Niemandsland von Schleswig-Holstein kostete mich Zeit, Geld und Nerven. Irgendwann vor vier Jahren stand es tatsächlich vor meiner Haustüre im schwäbischen Tübingen, weit und breit kein Meer und kein See, doch das Gefühl, jetzt ein Jachtbesitzer zu sein, auch wenn der Motor kaputt war, überlagerte alle Vernunft.
Von Motoren glaubte ich bis dahin einiges zu verstehen, allerdings ist so ein Bootsmotor der Firma Mercruiser mit stolzen 165 PS etwas ganz anderes als ein Rasenmähermotor. Allein um ihn auszubauen, benötigt man einen Kranwagen. Aber an Träumen muss man festhalten, und so fragte ich meinen Autoschrauber, ob er mir helfen würde, das alte Ding wieder zum Leben zu erwecken. Bernd ist ein seelenguter Mensch und er erkannte mein Dilemma sofort. Wir einigten uns auf ein Kompensationsgeschäft: Er repariert den Motor und ich bedanke mich dafür mit einem Abendessen für ihn, seine Freunde, seine Kunden und seine Geschäftspartner.
Als es so weit war, räumte der Schrauber seine Werkstatt auf, putzte den Boden blank und stellte Bierbänke für 100 Personen auf. Für 100 Menschen zu kochen ist nicht leichter oder schwieriger als für zwei Personen. Man braucht nur größere Töpfe und einen Taschenrechner.
Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über seinen offenen Sonntagstisch. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere KorrespondentInnen berichten, was in anderen Ländern auf der Straße gegessen wird.
20 Kilo Wildsau ohne Knochen
Ich entschied mich für ein Wildschwein-Gulasch mit Serviettenknödeln, ein Gericht, das sich mit etwas organisatorischem Geschick an einem Vormittag zubereiten lässt. Für zwei Personen rechnet man gewöhnlich mit 400 Gramm Fleisch. Laut Taschenrechner bestellte ich bei meinem Forstamt 20 Kilo Wildsau ohne Knochen. Wildfleisch ist mir das liebste Fleisch: Die Tiere leben frei im Wald bis auf jenen kurzen Moment, wo es bum macht. Kein Östrogen, kein Silofutter, kein Schlachthaus-Adrenalin verfälscht den Geschmack.
Zutaten:
■ 20 kg Wildschwein
■ 10 kg Zwiebeln, gewürfelt
■ 5 kg Wurzelgemüse, gewürfelt
■ 5 l Weißwein
■ 5 l Fond
■ 4 Tuben Tomatenmark
■ Sternanis, Zimt, Kreuzkümmel, Piment, Szechuanpfeffer zermahlen, Garam Masala
■ 3 kg altes Weißbrot oder Knödelbrot
■ 40 Eier
■ 6 l Milch
■ 500 g klein gehackte Petersilie
■ Salz, Pfeffer
Für das Gulasch das Fleisch scharf anbraten und die Zwiebeln dazugeben. So lange anbraten, bis die Zwiebel fast zu Mus zerfallen. Die Tuben Tomatenmark und das gewürfelte Wurzelgemüse, auch Brunoise genannt, hinzugeben, weiterrösten und immer wieder etwas Wein zuschütten. Dazu den Bodensatz abkratzen.
Für die Gewürzmischung in einer Kaffeemühle Sternanis, Zimt, Kreuzkümmel, Piment, Szechuanpfeffer zermahlen und mit Garam Masala und Salz mischen. Die Mischung hinzugeben und mit Wein und Fond auffüllen. Rund 1,5 Stunden simmern lassen, bis eine sämige Sauce entsteht.
Für die Serviettenknödel Weißbrot mit warmer Milch übergießen, einwirken lassen, die Eier zugeben, ebenso Petersilie, Salz und Pfeffer. Die Masse kräftig durchkneten (falls nötig noch Milch nachgießen) und zu dicken Würsten formen. Mit Frischhaltefolie umwickeln und zudem auch nochmals mit Alufolie umwickeln. In leicht simmerndem Wasser rund eine Stunde ziehen lassen. Aus dem Wasser nehmen, aus der Folie wickeln und in Scheiben schneiden.
Es war ein wunderbarer Sonntagabend und eine Szene für jeden Genre-Maler: Auf den vier Hebebühnen standen die Autos, darunter saßen spachtelnd die Gäste und draußen vor der Werkstatt wartete mein Schiff, endlich aufs große Meer gelassen zu werden. Die Gespräche kreisten um Zylinderkopfdichtungen und Zweikreiswasserkühlung und manchmal fragte auch jemand, ob in der Sauce etwas Zimt zu schmecken sei. Ja, das war so, denn die Gewürzmischung hatte ich nach einem Rezept des Starkochs Vincent Klink selbst zusammengestellt: Sternanis, Zimt, Kreuzkümmel und Szechuanpfeffer.
„Ave Maria 1“
Ein paar Wochen später zog ich das Schiff auf einem Anhänger über die Alpen ans Mittelmeer nach Pisa. Dort wurde es mit einem Kran ins Wasser gelassen. Zur Jungfernfahrt lud ich meine Frau und ein paar Freunde ein, auf dem Deck herrschte eine fröhliche Stimmung, als wir den Hafen verließen.
Etwa vierhundert Meter vom Ufer entfernt, wir hatten gerade den Prosecco geöffnet, hörten wir einen Knall aus dem Motorraum und das Boot, das ich zu Ehren meiner Frau auf den Namen „Ave Maria 1“ getauft hatte, machte keinen Mucks mehr. Mit Handzeichen gab ich Notsignale und ein Fischer erbarmte sich unser und schleppte uns an einem Seil zurück in den Hafen.
Seit drei Jahren liegt mein Schiff nun schon an der Anlegestelle und jeden Sommer fuhr ich nach Pisa, um es zu reparieren. Mal war es die Elektrik, die nicht funktionierte, im nächsten Jahr streikte die hydraulische Steuerung. Dass es auch heute noch nicht fährt, liegt meines Erachtens nur noch an den Zündkabeln, dem Unterbrecherkontakt und dem Verteilerdeckel.
Aber ich bin mir sicher, spätestens diesen Sommer bekomme ich das hin. Die monatlichen Liegegebühren, die Kosten für Ersatzteile und die neuen Polster der Sitze haben ein gigantisches Loch in meinen Geldbeutel gerissen. Meine Frau hat mich verlassen. Aber Träume sollte man nie aufgeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!