Unterwegs mit Porno-Rap-Fans: "Sexsexsexsexsexgeil!"
Sie feiern, sie vögeln, sie schauen Pornos an. Eltern, Lehrer und Politiker sorgen sich um die zumeist jungen Fans von Frauenarzt, Fler und B-Tight. Zu Recht? Drei Ortstermine.
BERLIN taz Brummende Beats, simple Synthesizer-Melodien. Columbiaclub, Berlin, Freitagabend. Gedimmtes Licht, Rauchschwaden, Bier in Plastikbechern. Über die Bühne hüpfen drei Rapper mit dunklen Sonnenbrillen, sie werfen Arme und Beine in die Luft wie Marionetten und rufen: "Wir wollen ficken, wir sind alle sexgeil."
Frauenarzt: Der Berliner Untergrundrapper veröffentlicht seine Alben, die öfter schon wegen verbaler Gewalt gegen Frauen indiziert wurden, auf seinem Label Ghetto Musik und verkauft davon nach eigenen Angaben bis zu 10.000 im Monat. Ein Vergleich: Hiphop-Kollege Bushido hat bereits vor der Veröffentlichung seines aktuellen Albums 100.000 Exemplare verkauft und damit den ersten Platz der Charts belegt.
K.I.Z.: Im August ist das Album "Hahnenkampf" der Berliner Formation bei dem Major-Label Universal erschienen und auf Platz neun der deutschen Charts gelandet. Das Video "Spast", das in einem Leichenschauhaus spielt, wurde von der zuständigen Landesmedienanstalt trotz zensierter Geschlechtsteile ins Abendprogramm verbannt.
B-Tight: "Ghetto Romantik" heißt die neue CD des Rap-Kumpanen von Sido, der sich auch Bobby Dick nennt. Beide Berliner wurden mit aggressiven Texten beim Label AggroBerlin bekannt. B-Tight lag mit "Ghetto Romantik" zwischenzeitlich auf Platz 54 der Charts. Sido hatte es mit seinem Album "Ich" bis auf Platz vier geschafft. GERN
Vorne in der Menge brüllen Steven und Marius: "Sexsexsexsexsexgeil." Die Leute im Publikum tragen T-Shirts, auf denen "Sexurlaub" steht oder "Kotzen macht durstig". Manche haben sich Pilotenbrillen aufgesetzt, wie man sie aus Pornofilmen kennt. Gleich wird der Berliner Rapper Frauenarzt auftreten und verkünden, dass er der Emanzipation den Mittelfinger zeigt - "oder meinen dicken Schwanz." Steven und Marius, beide 17, werden dann noch lauter schreien.
Die beiden sind von einer Stadtrandsiedlung im Osten Berlins hergefahren, viele im Publikum stammen von dort oder aus Brandenburg. Steven wird gerade zum Tiefbaufacharbeiter mit Erweiterung Rohrleitungsbauer ausgebildet, Marius macht Zivildienst, auf dem Frauenarzt-Konzert feiern sie den Geburtstag eines Kumpels, als grölende Großgruppe. Sie haben ein bisschen gekifft vorher. Jetzt saufen sie. Manche werfen Chemie ein. Später: tanzen im Club. Danach: chillen, abhängen. Vielleicht noch einen Porno von der Festplatte abspielen. Vielleicht finden sie heute auch mal ein Mädchen zum knutschen, "ne Fotze", wie Frauenarzt rappen würde. Passiert leider nicht so oft.
Der Untergrundrapper Frauenarzt startet heute im Columbia seine Deutschlandtour. Er hat ein neues Album gemacht, das "Dr. Sex" heißt, damit wird er in zwanzig Clubs auftreten. Frauenarzt kooperiert mit der Berliner Gruppe K.I.Z., die pubertär-pornographisch textet und morgen abend im selben Club ihre Tour beenden wird. Ein paar Tage später dann tritt hier B-Tight auf. Dessen Album ist bei dem umstrittenen Label AggroBerlin erschienen, es heißt "Neger, Neger" - was nicht nur afro-deutsche Rapperkollegen für rassistisch halten.
Jugendliche, die an diesen drei Abenden in der Columbiahalle hüpfen, grölen und schwitzen, werden von ihren Lehrern, Eltern und den Politikern als gefährdet eingeschätzt. Die meinen, dass Pornorap ihnen ein bizarres Verhältnis zu Sexualität vermittelt, dass sie vergessen, dass Liebe weit mehr sein kann als feiern, vögeln und Pornos schauen. Der Essener Sozialpädagoge Thomas Rüth etwa berichtet von 13 Jahre alten Mädchen, die nachts dieselbe SMS an mehrere Jungs schicken: "Wer mit mir schlafen will, kommt einfach vorbei." Rüth arbeitet in einem sozial schwachen Bezirk und sagt: "Wir mutmaßen, dass es ein Unterschichten-Problem ist."
Die Freunde von Steven und Marius sind alle Azubis, morgen früh werden sie pünktlich aufstehen und zur Schule gehen. Es gibt einige solcher Lehrlingsgruppen hier. Es gibt auch Philipp, der hinten im Saal steht, keine Pornobrille, keine weiten Hosen trägt, sondern Jeans und T-Shirt. Er macht Abitur, ist 17, das scheint hier das Durchschnittsalter zu sein. Es gibt nicht wenige Gymnasiastengruppen auf dem Konzert, die die Texte über Ficken, Fotzen und feuchte Träume genauso gut beherrschen wie die Azubi-Gangs. Alle, egal ob Hauptschüler oder Gymnasiasten, sagen, dass, wer fürchte, Frauenarzt würde die sexuelle Verwahrlosung fördern, ja wohl überhaupt keine Ahnung von der Jugend habe. Und Steven, Marius und ihre Kumpels rufen, gekifft und Pornos angeschaut hätten sie lange bevor sie die Texte von Frauenarzt und B-Tight kannten. Außerdem behandele Frauenarzt seine eigenen Frauen bestimmt nicht so, wie er das in seinen Tracks beschreibt. Andere vielleicht, aber nicht die eigenen.
Es gibt nach wie vor kaum Forschung zu der Frage, was pornographische Texte und Bilder mit jungen Menschen machen. Es gibt sozial schwache Wohngegenden, in denen Sozialpädagogen kaum Veränderungen bei den Jugendlichen beobachten. Und es gibt einige wie Thomas Rüth, die besonders drastische Geschichten erzählen. Das Frauenbild wandelt sich, warnt er, auch das Selbstbild der Teenager.
Wenn Frauenarzt in München auftritt, wird Sophie aus ihrem kleinen bayerischen Dorf nahe der österreichischen Grenze versuchen, reinzukommen. Obwohl sie erst 14 Jahre alt ist und das Konzert ab 16. Sophies Hobbys sind zwar nach wie vor Reiten und Tennis, aber dafür hat sie inzwischen weniger Zeit. Sie hat mal Britney Spears gehört und hatte nur Einsen im Zeugnis, in ihrer Klasse galt sie als Streberin. Sophie wollte das ändern. Im Fernsehen sah sie auf MTV Videos von Rappern wie Bushido und Sido. Anfangs hielt sie das für ziemlich grässlich, aber später hörte sie die Sachen auch daheim. Erst Sido, "Arschficksong", dann Frauenarzt, "Pornoparty", die Musik war angenehm aggressiv. Und mit den Texten konnte sie ihre Mitschüler schocken. Sie fing an mit ein bisschen älteren Jungs am Bahnhof abzuhängen, lernte "ficken" zu sagen, ohne rot zu werden. Wenn ihr Vater ins Kinderzimmer kam und sie gerade Frauenarzt hörte, drehte sie leise. Sophie begann sich "Schlampen- Style" anzuziehen, mit knappen Tops, sie ging auch nicht mehr ungeschminkt aus dem Haus. In der Schule nannten sie Sophie nun "Gangsterrapperin". Der Image-Wandel war gelungen. Sie gehört jetzt zu den Coolen.
Ihr neuer Freund hieß Bobby. Er stammte aus einem Nachbardorf, trug Basketballshirts, Caps und um den Hals eine dicke Silberkette. Er war drei Jahre älter als sie, und am Wochenende feierten er und seine Freunde immer Pornopartys. Sophie sah sich mit ihnen Clips auf youporn.com an. Sie fand das ziemlich widerwärtig, auch wenn die anderen Mädchen "Woah!" und "Geil!" riefen. Sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass die ekligen Sachen aus den Songs tatsächlich jemand machte.
Aus den Boxen kam Frauenarzt, Fler, B-Tight. Die anderen fassten sich alle gegenseitig an und küssten sich. Sie knutschte nur mit Bobby - manchmal streichelten auch andere an ihr herum. Es war ihr unangenehm. Einmal sagte einer der Jungs zu zwei Mädels, sie sollten strippen. Die beiden haben sich komplett ausgezogen, dabei getanzt und sich geküsst. Ein anderes Mal nahm jemand so etwas auf. Sophie musste später daran denken, wie ihr Freund sie in Unterwäsche fotografiert und die Fotos per Mail verschickt hatte. Sie hat sich deswegen von ihm getrennt.
Beim K.I.Z.-Konzert in der Columbiahalle sind die drei Rapper nach ihrer Deutschland-Tour ganz heiser. Die Fans tragen T-Shirts mit Notenschlüsseln darauf, die aussehen wie Penisse. Die Vorband schnallt sich bei einem Song Riesenpenisse aus Stoff um. Im Publikum steht Jana, 18 Jahre alt, klein, ganz in schwarz gekleidet und sagt: "Die Jugend ist doch total sexualisiert. Das ganze Leben dreht sich um Sex. Und ob man nun Schwanz sagt oder Penis ist doch egal." K.I.Z., findet sie, sagen Schwanz, auf sehr witzige Weise. In der Menge sind viele Abiturienten wie sie, Studenten auch und ein paar feiernde Azubis. Von Pornopartys erzählt hier niemand. Am Eingang werden Ausweise kontrolliert. Das Konzert ist ausverkauft.
Für B-Tight, der von Rapper-Kollegen als Rassist geschmäht wird, gibt es genau eine Woche später noch Karten. Tiziano und Christian sind beide 13, sie besuchen ein katholisches Privatgymnasium in Westberlin, es sind heute auch Waldorf-Schüler hier. Die Vorgruppe heißt "Grüne Medizin", vor der Halle grölen die Fans etwas von "Gras" und "Psychose", als müsste man unbedingt mal eine gehabt haben. Tiziano und Christian stehen daneben und wirken wie zwei minderjährige Mönche im Swingerclub. Heute Abend sehen sie B-Tight dabei zu, wie er mit seinem Co-Rapper eine Dreiviertel Flasche Jägermeister leert, während das Publikum "trinktrinktrink" schreit und sich dann vom DJ einen Joint reichen lässt. Danach singt B-Tight von "Totalschaden" und von "Gegners", denen man möglichst kunstvoll aufs Maul haut.
Tiziano und Christian betrachten das Ganze wie einen Film. Irgendwie aufregend. "Ghetto und so weiter haben wir ja nicht so viel mit zu tun", sagt Christian. Er rappt selbst manchmal. Darüber, wie er Schule schwänzt. Würde er in Wirklichkeit natürlich nie machen. Die Sex-Geschichten von B-Tight hält er für ähnlich fabuliert. Frauenarzt aber mag er nicht - "bisschen eklig".
Frederik gefällt, dass der gegen die Emanzipation wettert. Er sieht in ihm außerdem einen angesehenen Untergrundunternehmer, der sich nicht an große Labels verkauft. Das tun viele, die seine Musik mögen. Frederik hat Frauenarzt zum ersten Mal gehört, als er neun Jahre alt war. Im Radio. Danach ist er auch auf all die anderen gestoßen. B-Tight etwa, wegen dem er heute hier ist. Frederik hat nicht gekifft, er muss morgen arbeiten - als Koch, draußen vor Berlin irgendwo, im Osten.
Eine seiner Ex-Freundinnen hat bei den Frauenarzt-Liedern manchmal mitgesungen: "Fick mich und halt Dein Maul." Obwohl sie es ja eigentlich war, die das Maul hätte halten sollen, dem Song zufolge. Zurzeit hat er keine Freundin. Seine letzte, die war 14, hat er an seinen Kumpel verloren. Frederik sagt, Musik wie die von B-Tight, hilft ihm. Wenn er mit seinen Eltern Stress hat, dreht er einfach ganz laut auf: "Ich hasse dich." Er schaut keine Pornos, sagt er, nur manchmal einen eigenen. Vor einem Jahr kam ihn abends ein Kumpel in dem Hotel besuchen, wo er arbeitet. Der hatte zwei Freundinnen dabei. Sie gingen auf ein Zimmer. Der Kumpel hat alles mit dem Handy gefilmt. "Man muss sein Leben leben, jeden Tag", sagt Frederik.
Gerade kommt vorn ein Überraschungsgast auf die Bühne. Sido, der erfolgreichste Aggro-Rapper. Er zündet sich einen Joint an, wirft ihn ins Publikum und dann rappt er: "Ich bin ein schlechtes Vorbild." Frederik nickt dazu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen