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Auf märkischen Sand gebaut

Wer eine Lebensversicherung zur Tilgung eines Kredits einsetzen will, sollte aufpassen: Oft kommt am Ende deutlich weniger raus als erhofft. Die angekündigten hohen Überschussbeteiligungen erweisen sich als trügerisch, wenn die Märkte crashen

„Wer eine Lebensversicherung als Tilgungsersatz hat, hat ein Problem“

VON TILMAN VON ROHDEN

Im Jahre 1998 wollte der Berliner Jörg Böhmert etwas für seine private Altersvorsorge tun und kaufte eine Wohnung. Aus steuerlichen Gründen entschied er sich dazu, neben dem Kredit eine Lebensversicherung abzuschließen, die er für die Tilgung des Kredits einsetzen wollte. Bis zum Ablauf der Lebensversicherung war der Kredit tilgungsfrei. Ein gängiges Verfahren, das von Finanzberatern empfohlen wird.

Nach Ablauf der Versicherungszeit sollte Böhmert rund 133.000 Euro inklusive der nicht garantierten Überschüsse erhalten. Im Sommer dieses Jahres schrieb ihm die Versicherung, dass er wohl doch nur mit einer Auszahlung in Höhe von 89.000 Euro rechnen könne. „Ich war empört darüber, dass ich voraussichtlich rund 44.000 Euro weniger bekommen werde. Für die Finanzierung der Wohnung fehlen mir rund 35.000 Euro“, so Böhmert.

So wie Böhmert geht es sehr vielen Eigentümern von Immobilien. Sie setzen eine Lebensversicherung als Tilgungsersatz ein, um bei Ablauf der Police die gesamte Tilgung auf einen Schlag zu leisten. Das Verfahren wurde über Jahrzehnte praktiziert und vor allem von Finanzberatern protegiert. Denn sie verdienen über die Provision an jeder neu abgeschlossenen Lebensversicherung.

„Jeder, der eine Lebensversicherung als Tilgungsersatz abgeschlossen hat, hat jetzt ein Problem“, sagt Thomas Bieler, Experte für Baufinanzierung bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Und das System funktionierte lange Zeit. Tausende nutzen es.

Doch 2001 kam es zum Börsencrash und die Kapitalmärkte schlitterten in die Krise: Plötzlich konnten die Akteure nicht mehr die Renditen in gewohnter Höhe erwirtschaften. Die Lebensversicherer reagierten darauf, indem sie die Überschussbeteiligungen senkten. Das sind Beträge, die Versicherer je nach wirtschaftlichem Erfolg am Ende der Laufzeit der Police auszahlen. Diese Erfolgsprämien werden jährlich neu berechnet. Wie stark die Überschüsse gesunken sind, darüber gibt es keine Statistik. Aber über die Nettoverzinsung von Lebensversicherungen: Während eine Police im Jahr 1985 noch eine durchschnittliche Nettoverzinsung von 8,12 Prozent brachte, sank sie bis 1995 auf 7,37 und erreichte 2002 mit 4,68 Prozent einen Tiefststand. Im Jahr 2004 betrug die durchschnittliche Nettoverzinsung 4,90 Prozent. Von diesem Niedergang ist jeder betroffen, allerdings in unterschiedlicher Weise. „Betroffen sind insbesondere diejenigen, die Ende der 90er-Jahre oder noch später eine Versicherung als Tilgungsersatz abgeschlossen haben. Wer heute nach 20 Jahren auf der Zielgeraden ist, den trifft es längst nicht so hart“, sagt Bieler. Die Verbraucherzentrale, so der Experte, warne seit Jahren vor solchen Finanzierungsformen. „Die Konsumenten werden mit 6, 7 oder gar 6 Prozent Verzinsung geködert. Dass es sich um eine sehr spekulative Finanzierung handelt, wird verschwiegen.“ Er ist grundsätzlich gegen Lebensversicherungen als Tilgungsersatz.

Dies deckt sich mit den Ansichten von Jörg Sahr von Finanztest. „Wenn die Immobilie selbst genutzt wird, ist eine solche Finanzierung so oder so schlecht.“ Sie sei wegen der unsicheren Überschüsse risikoreich und teurer als mögliche alternative Finanzierungsformen. Anders sei es, wenn die Immobilie ein reines Anlageobjekt sei. Dann kämen Steuervorteile zugute, die eine Lebensversicherung als Tilgungsersatz sinnvoll erscheinen ließen. Jörg Böhmert hat das gemacht, auch er nutzt seine Wohnung nicht selbst. Laut Jörg Sahr sollten Häuslebauer niemals die gesamten Überschüsse verplanen. „Eine Reserve muss sein, sonst hat man schnell ein Problem.“ Betroffene sollten sich schon jetzt Gedanken machen, wie es weitergehen soll, wenn die Lebensversicherung ausläuft. Auch Jörg Böhmert versuchte zwischenzeitlich gegen die Versicherung vorzugehen und beauftragte einen Gutachter. Doch dessen Ergebnis war eindeutig. Die 1998 prognostizierte Ablaufleistung von 133.000 Euro war ebenso realistisch kalkuliert wie die jetzige in Höhe von rund 89.000 Euro: Keine Chance auf eine erfolgreiche Klage vor Gericht.

Auch Finanztest hält Klagen gegen die Lebensversicherer für mehr oder weniger aussichtslos. Um die Deckungslücke zu schließen, sei es sinnvoll, so Sahr, nachträglich eine regelmäßige Tilgung mit der Bank zu vereinbaren. Dieses Vorgehen unterstützt auch Bieler von der Verbraucherzentrale. Allerdings: „Dies führt zu einer deutlichen monatlichen Mehrbelastung.“ Deshalb käme auch eine Alternative in Frage: den Kredit mit Tilgungsaussetzung zu kündigen und auf ein normales Darlehen umzustellen. „Das führt jedoch in vielen Fällen ebenfalls zu Verlusten. Denn dann verlangen Banken oft Vorfälligkeitszahlungen“, so Jörg Sahr von Finanztest. Kunden müssten mit ihrer Bank darüber verhandeln. Eine Nachfrage bei der Deutschen Bank ergab, dass das Institut keine standardisierten Verhaltensweisen in solchen Fällen kennt. „Der Individualfall ist entscheidend“, so ein Sprecher der Deutschen Bank.

Jörg Böhmert hätte die Lebensversicherung 1998 niemals abgeschlossen, wenn er geahnt hätte, dass sie so viel an Wert verlieren könnte, sagt er. „Aber mein Finanzberater hat mir damals dringend zum Abschluss des Vertrags geraten. Wenn es 2001 nicht zum Crash an den Kapitalmärkten gekommen wäre, wäre mein Finanzierungsmodell wirklich eine lukrative Sache gewesen“, sagt Böhmert. Jetzt verhandelt er mit seiner Bank. Ein Ergebnis gibt es noch nicht.

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