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Katalysator der sozialen Spaltung

ENERGIE „Biotreibstoff“ bedeutet Gefahr für eine Milliarde Menschen, so James Smith

Sinkt die Klimabelastung durch den verstärkten Einsatz von Agrartreibstoff?

Dies ist ein Buch über Fortschritt. Zum Gegenstand nimmt Autor James Smith zwar „Biotreibstoff“, alltagssprachlich auch als Benzin vom Acker bekannt. Schon der Untertitel „Eine Idee wird zum Bumerang“ aber weist den Weg auf das größere Thema. Dieses lautet: Welchen Fortschritt wollen wir?

Die Art von vermeintlichem Fortschritt, die er am Beispiel von Agrartreibstoff beschreibt, befürwortet Smith jedenfalls nicht. Er arbeitet als Professor für Entwicklungsstudien an der Universität Edinburgh und leitet dort das Institut Innogen, das die langfristigen gesellschaftlichen Folgen von Gentechnologie und Biowissenschaften erforscht. Auf der Homepage posiert er im Kapuzenpulli.

Lesen sollte das Buch, wer einen Überblick erhalten möchte über die verschiedenen Varianten von Agrosprit, zum Beispiel Ethanol aus Zuckerrohr, Agrodiesel aus Raps oder flüssiges Methan. Smith beschreibt die Geschichte dieser Technologien, die wichtigen Unternehmen und die Staaten, die als Vorreiter auftreten.

Den größten Teil des 143 Seiten umfassenden Buchs verwendet Smith darauf, immer wieder vor den bekannten, aber auch den bislang kaum erforschten Risiken von Agrotreibstoffen zu warnen. So weist er darauf hin, dass die gesamte Vegetation der USA nur ein Drittel der Energie enthält, die das Land in einem Jahr braucht. Es sei also völlig illusorisch anzunehmen, Treibstoff vom Acker könne das Energieproblem des Autoverkehrs lösen. Die vorhandenen Anbauflächen würden einfach nicht ausreichen, so Smith.

Intensiv setzt sich der Autor mit dem Teller-Tank-Problem auseinander. Er beschreibt, wie in Asien, Afrika und Amerika Rohstoffpflanzen den Nahrungsmittelanbau unter Druck setzen, teilweise schon einschränken und verdrängen. Smith nimmt an, dass die Energiepflanzen langfristig Hungersnöte verstärken. Bereits heute würde die Agrospritproduktion dazu beitragen, die Nahrungsmittelpreise zu erhöhen und damit das Leben der ärmsten Milliarde Menschen zu erschweren.

Zweifelhafte Versprechen

Hinzu kämen, so Smith, nicht nur Umweltzerstörungen wie durch die Palmölpoduktion in Indonesien, die den Tropenwald zurückdränge und die Orang-Utans gefährde. Zweifelhaft sei auch, ob die Pflanzenenergie überhaupt das große Versprechen einlösen könne, das ihre Verfechter geben. Sinkt die Klimabelastung durch den verstärkten Einsatz von Agrartreibstoff? Oft genug sei das Gegenteil der Fall, argumentiert Smith. Der Ausstoß von Kohlendioxid nehme etwa zu, wenn viel Kunstdünger eingesetzt werde und die Transportwege lang seien.

Diese und andere Erwägungen bringen den Autor dazu, Agrartreibstoffe insgesamt zur Sackgasse zu erklären. Er beschreibt diese Technologien als Versuch, das parasitäre Wohlstandsmodell der reichen Staaten auf Kosten des armen Drittels der Weltbevölkerung am Laufen zu halten. In Anlehnung an Ulrich Beck sagt Smith, Pflanzensprit trage dazu bei, „Risiken zu globalisieren“. Er prognostiziert eine zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich auf der Welt.

Smith weiß, dass jeder Fortschritt seinen Preis hat. Im Falle des Agrotreibstoffs ist ihm dieser Preis zu hoch. Er plädiert dafür, auf diesen Fortschritt zu verzichten, zumindest sich erst einmal Zeit zu nehmen, die Folgen zu überdenken.

Dabei hat das Buch zwei blinde Flecken. Erstens gibt es auch Beispiele für einen sinnvollen Einsatz der Agrotreibstoffe. Brasilien ist eins davon. Smith räumt immerhin ein, dass die Klimabilanz des brasilianischen Bioethanols positiv ist. Ein zweites Beispiel könnte Deutschland sein. Hier lässt sich auf den landwirtschaftlichen Brachflächen Benzin vom Acker herstellen, ohne dass es zur Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion kommen muss. Smith unterlässt es jedoch, solche positiven Beispiele daraufhin zu überprüfen, ob sie den Fortschrittsprozess tragbarer gestalten können.

Zum anderen vermeidet der Autor, die Konsequenzen aus seiner Fortschrittsverweigerung auch nur anzudiskutieren. Wenn die reichen Länder dem Klimakollaps vorbeugen wollen, den Autoverkehr aber nicht mittels Agrosprit ökologisieren können, was sind dann die Alternativen? Weg vom Öl und vom Auto? Autofahren mit Strom? Woher kommt dieser Strom? Eine neue Technologie abzulehnen, ohne sich Gedanken über einen Ersatz zu machen, ist Schubladendenken, das uns nicht weiterbringt.

HANNES KOCH

James Smith: „Biotreibstoff. Eine Idee wird zum Bumerang“. Verlag Klaus Wagenbach,

Berlin 2012, 144 Seiten, 15,90 Euro

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