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Frauenhäuser in Not

SOZIALES Abhängigkeit von Belegungszahlen führt zu finanziellen Engpässen. Die Sozialsenatorin hält an dem System fest, will aber für Studentinnen und Ausländerinnen zahlen

Bremens Billionstel

■ Ein gut gefüllter Marktplatz mit mehreren Hundert TeilnehmerInnen reihte sich gestern in die weltweite Tanz-Aktion „One Billion Rising“ gegen Gewalt an Frauen ein. Die Mischung war bunt: Unter violetten Luftballons hatten sich die sowohl die „Frauen in Schwarz“, die seit langem jeden Samstag am Dom auf Menschenrechtsverletzungen hinweisen, eingefunden, als auch die Linksjugend oder die Tanzschule Renz. Der größte Teil der Menge, zu der auch viele Männer gehörten, stammte freilich nicht aus organisierten Zusammenhängen oder politischen Gruppen – sondern fühlte sich individuell vom Aufruf der Bremer TanzpädagogInnen Edda Lorna und Prisca Samani angesprochen. Weltweit werde jede dritte Frau Opfer von Gewalt, hieß es, der gestrige Aktionstag wurde in 197 Ländern durchgeführt. Der Rhythmus zum Bremer Protesttanz kam von Carola Bandari. HB

Eine bessere finanzielle Absicherung von Frauenhäusern forderte gestern die Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Bremen. Derzeit müssen Frauen, die in einer Noteinrichtung Schutz suchen, am selben Tag im Jobcenter für sich und ihre Kinder einen Tagessatz für ihre Unterbringung beantragen. Mit dieser Konstruktion will Bremen sicherstellen, dass es nicht für Frauen aus dem Umland aufkommt, wie Bernd Schneider, Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann, sagt.

Rund ein Drittel der Frauen, die das Frauenhaus der Awo aufsuchen, kommen nach Angaben von dessen Leiterin Maria Schnackenburg nicht aus Bremen, die meisten würden aus Niedersachsen stammen, aber manche aus Bundesländern, die noch weiter entfernt sind. „Manche Frauen haben solche Angst, dass sie so weit weg von zu Hause fliehen wie möglich“, sagt Schnackenburg.

Wie ihre Kollegin Karin Schmidt vom autonomen Frauenhaus findet sie es höchst problematisch, wenn Frauen in einer Trennungssituation nach teilweise traumatischen Erlebnissen zum Amt gehen müssen, damit ihr Aufenthalt im Frauenhaus gesichert ist. Laufende Kosten für Wohnungen und Versicherungen werden dabei nicht übernommen.

Deshalb fordern beide Frauen eine vollständige staatliche Förderung ihrer Einrichtungen. Denn die Abhängigkeit von Tagespauschalen für Frauen und Kinder führt dazu, dass die Frauenhäuser bei Unterbelegung immer wieder in finanzielle Schieflage geraten. Ähnliche Probleme hatten bis zum Jahr 2007 die Kinder-Notaufnahmen.

Im Jahresdurchschnitt seien 80 Prozent der 38 Plätze für Frauen und Kinder belegt, sagt Maria Schnackenburg, 82 Prozent bräuchten sie aber, um kein Minus zu machen. Im autonomen Frauenhaus waren im vergangenen Jahr mit 92 Prozent außergewöhnlich viele der 45 Plätze ausgelastet, sagt dessen Mitarbeiterin Karin Schmidt. „Das sah in den Vorjahren aber immer anders aus.“ Und: In beiden Einrichtungen leben immer Frauen, für die kein Geld gezahlt wird und die sich auch nicht selbst finanzieren können. Dies sind Studentinnen, Schülerinnen und Ausländerinnen. „Wir nehmen alle auf, die in Not sind“, versichert Karin Schmidt, „aber wir gucken auch, ob es ein Frauenhaus in einer anderen Kommune gibt, das nicht von Tagespauschalen abhängig ist.“

Zumindest für diese Gruppe, die bisher aus dem Hilfesystem fällt, will Bremen nach einer Lösung suchen, wie Bernd Schneider gestern sagte. Seine Chefin, Sozialsenatorin Stahmann, hatte dies bereits im November 2011 angekündigt, regelmäßig weist auch die Frauenbeauftragte des Landes Bremen auf das Problem hin.

An der grundsätzlichen Finanzierungskonstruktion wird sich aber nichts ändern, da auch vom Parlament keine Initiative zu erwarten ist. Doris Hoch, gleichstellungspolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen, sagte gestern, sie hoffe auf eine Lösung auf Bundesebene. Die Bundesregierung hatte in einem Bericht zu Hilfen für von Gewalt betroffene Frauen eine Unterfinanzierung dieses Bereichs fest gestellt und eine bundeseinheitliche Regelung angemahnt. Eine Finanzierung der Hilfsangebote durch den Bund schließt die Bundesregierung in dem Bericht allerdings aus.  EIB

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