Abfall in der Lebensmittelindustrie: Von der Tonne auf den Teller
Bei der Herstellung von Lebensmitteln fallen gigantische Mengen an Abfall an. Was damit anstellen? - fragen sich zunehmend Forscher und Industrie.
MÜNCHEN taz | Wer schon einmal einen Entsafter bedient hat, der weiß, dass bei der Saftherstellung einiges an Abfall übrig bleibt. Nämlich die festen Bestandteile der Frucht, wie etwa Pektine, Zellulose und einige sekundäre Pflanzenstoffe - der sogenannte Trester. Diese Pressrückstände fallen auch in großem Maßstab in der Industrie bei der Herstellung von Säften, Wein, Bier oder Öl an: Allein sieben Millionen Tonnen Reststoffe sollen es in Deutschland allein in der pflanzenverarbeitenden Industrie jährlich sein, europaweit 30 Millionen Tonnen.
Weltweit die meisten Abfälle entstehen dabei in der Kartoffelindustrie, etwa bei der Herstellung von Tiefkühl-Pommes-frites. Auch Zitrusfrüchte sind wegen der weltweit steigenden Nachfrage nach Fruchtsäften für einen Großteil der Mengen verantwortlich, gefolgt von Trester, der bei der Weinherstellung übrig bleibt.
Auch bei der Käseherstellung oder am Schlachthof bleiben Stoffe zurück - Molke, Blut, Knochen zum Beispiel. In der EU muss man sich etwa um 280.000 Tonnen tierisches Fett aus Schlachtereien kümmern. Bei der Nudelherstellung gibt es zudem Teigabfälle, bei Mühlen Kleiereststoffe, die Zuckerindustrie produziert Melasse.
Und die Abfallmengen in der Lebensmittelindustrie werden immer größer: Schließlich wird immer mehr sogenanntes Convenience Food verlangt, das sind leicht zu bereitende, vorgefertigte Produkte.
So nahm der Anteil an stark verarbeiteten Produkten weltweit von 1980 bis 1998 von 18 auf 34 Prozent zu. Zudem werden insgesamt immer mehr Lebensmittel produziert, sogar in Ländern, wo man Geburtenrückgänge verzeichnet.
Doch was passiert mit Molke, Kleie, Teigresten, Kartoffelschlempe, Melasse, Eierschalen, Biertreber, Weintrester, Blut und Knochen? Vieles wurde traditionell und wird auch heute noch an Tiere verfüttert, etwa die eiweißreichen Pressrückstände aus der Ölgewinnung.
Manches, was gut verrottet, dient als Dünger. Anderes kann in der Kosmetikindustrie verarbeitet werden, so zum Beispiel Aprikosenkernöl.
Und: Ein Teil gelangt wieder auf den Teller. In der Lebensmittelbranche heißt das etwas beschönigend "Upgrading". Das ist im Grunde nichts Neues: Gelatine etwa wird seit Jahrzehnten aus Knochen gewonnen, Pektine aus Fruchtrückständen, Faserstoffe aus dem Korn, Grappa aus Weintrester.
"Auch Wurst oder Semmelknödel sind ja im Grunde eine Art kreativer Resteverwertung in der Küche", sagt Christiane Groß von Foodwatch. "Es ist also erst mal nichts Verwerfliches, sondern etwas, was es in der Menschheitsgeschichte schon immer gab."
Die Branche erhält beim Upgrading in letzter Zeit auch immer häufiger Unterstützung von akademischer Seite. Beispielweise versucht man an der Universität Hohenheim aus den Rückständen von Sonnenblumenöl Proteine zu gewinnen, die als Stabilisatoren in Schaumküssen verwendet werden könnten.
An der Universität in Bonn extrahiert man gesundheitsfördernde Pflanzenstoffe. Man holt sich Hilfe bei den Fachleuten, weil Abfälle für Unternehmen auch immer mit Kosten verbunden sind.
Beispielsweise bekommt ein Käsereibetrieb zwar ein paar Groschen für die überschüssige Molke, hat aber mehr als doppelt so hohe Kosten allein für den Transport vom Betrieb zum Tierfutterhersteller.
Trotzdem rümpfen einige Kritiker die Nase: Autor Hans-Ulrich Grimm schreibt etwa in seinem Buch "Die Suppe lügt": "Die Zauberkünste der Geschmacksnachahmer haben die Müllverwertung endlich von der anrüchigen Aura befreit." Dabei spielt er etwa auf den Fall Molke an.
Für dieses Abfallprodukt hat man sich einfach einen Markt geschaffen. Heute wird es mit Aromen aufgepeppt als entschlackendes, weil basenreiches "Wellnessgetränk" verkauft, weil es nahezu fettfrei und darum kalorienarm ist. 1970 wurden 5 Prozent der Molke zu Lebensmitteln verarbeitet, im Jahr 2000 waren es 50 Prozent. Und: Molkeprodukte boomen.
Zudem findet Molke unendlich mal modifiziert Eingang in die Rezeptur von fast jedem Fertiglebensmittel. Fertig-Panna-Cotta und Tiefkühltorten werden etwa anstatt mit Sahne mit kalorienarmer Spezialmolke cremig.
Ähnliches gilt für Soja. Eiweißreiches Sojamehl aus Pressrückständen der Sojaölgewinnung wird heute als besonders gesund angepriesen - vor allem weil die Industrie seine Abfälle lukrativ loswerden möchte.
Auch Traubenkernöl ist eigentlich ein Abfallprodukt. Man gewinnt es in den letzten Jahren vermehrt. Dabei werden die Kerne aus dem Trester herausgesiebt und anschließend das Öl herausgepresst. Die Ausbeute ist sehr gering, daher ist das Traubenkernöl relativ teuer. Und um es an die Frau oder den Mann zu bringen, wird es wegen seiner ausgesprochen antioxidativen Eigenschaften beworben.
Es soll den Cholesterinspiegel senken, Krebs und Hautalterung vorbeugen. Auch ist es in der Kosmetikindustrie von Bedeutung. Dabei sind die Polyphenole großenteils im Traubenkernmehl, also nicht im Öl.
Der neueste Trick: Aus den Fruchtrückständen "gesundheitsfördernde" Stoffe gewinnen, die man in Functional Food mixt. Auch hier sind wieder die Polyphenole von zentraler Bedeutung. Sie sind in unzähligen Obst- und Gemüsesorten aber auch in Tee, Kakao oder Wein zu finden. Ein Wellnessdrink mit Polyphenolen angereichert könnte also in Zukunft vor Herzinfarkt oder Krebs schützen, so die Versprechen der Lebensmitteltechnologen.
Diese Idee stößt jedoch bei Verbraucherschützern auf Widerstand: "Mit natürlichen Lebensmitteln haben Produkte, die solche isolierten Zusätze enthalten, nichts mehr zu tun", so Hanna Dietz vom Verein Unabhängige Gesundheitsberatung.
Auch bei Foodwatch ist man ähnlicher Meinung: "Functional Food ist nur eine Masche der Industrie, um ihre Produkte auf einem gesättigten Markt zu verkaufen", meint Christiane Groß.
Diese Produkte versprächen häufig Gesundheitswunder, die sie nicht halten können, und das sei auch nicht die Funktion von Lebensmitteln. "Wer krank ist, soll zum Arzt gehen und nicht in den Supermarkt", so die Foodwatch-Expertin Groß.
Trotzdem sind diese Forschungsprojekte immerhin von der EU-Kommission im Rahmen des "Grub's up" (Recycling Upgrading Wastes from Food Production for Use within the Food Chain) finanziert worden. Weil "Agrowaste" negative Kosten für die Firmen bedeutet. Aber auch ökologische Bedenken haben die EU-Kommissare dazu bewogen, neue Verwendungsmöglichkeiten für den Biomüll zu finden.
Schließlich verrottet zum Beispiel der Trester, der bei der Olivenölproduktion anfällt kaum und beschert den südlichen EU-Ländern damit ein Entsorgungsproblem. Wenn nun die Polyphenole im Trester fehlen, ist er leichter kompostierbar.
Weniger umstritten ist es, die Reststoffe zur Energiegewinnung zu nutzen. "Das ist natürlich sinnvoll, denn hier sind die Kohlemdioxid-Vermeidungskosten und die Treibhausgasbilanzen besonders günstig", meint Florian Schöne, Agrarexperte beim Nabu. Und es tut sich einiges. "In einigen Branchen wird das Potenzial schon gut ausgeschöpft."
So werden etwa "Brauereirückstände mittlerweile häufig in Biogasanlagen genutzt", sagt Daniela Thrän, Wissenschaftlerin am Deutschen Biomasse-Forschungszentrum. Aber auch andere Bioabfälle werden aus ökonomischen Gründen in Energie umgewandelt. So hat die Firma Müller Milch seit 2007 eine Bio-Ethanol-Anlage in Sachsen.
Dort wird mit Melasse, einem weiteren Abfallprodukt aus der Käseherstellung, Strom generiert. Und kürzlich, hat der Global Player Chiquita Brands International eine Biogasanlage in Costa Rica in Betrieb genommen, um aus den Fruchtabfällen Biogas zu gewinnen, das sich in elektrischen Strom und Heizenergie umwandeln lässt.
In den Biogasanlagen fallen auch immer nährstoffreiche Düngemittel an. Diese Kompostnutzung könnte laut Nabu in Europa zehn Prozent des in der Landwirtschaft eingesetzten Düngers ersetzen. Diese Reststoffverwertung macht sich denn auch gut im Nachhaltigkeitsbericht der Unternehmen. "Die mögliche Gefahr eines Greenwashings sollte uns aber nicht daran hindern, die Potenziale konsequent zu erfassen und energetisch zu nutzen", so Schöne.
Das alles ist jedoch auch nur möglich, weil die Technologie große Fortschritte macht. "Es wird viel Geld in die nachhaltige Nutzung von Biomasse investiert", sagt Volker Heil, Wissenschaftler am Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. Beispielsweise treibt auch das Umweltministerium die Entwicklung mit ihrem "Programm zur Optimierung der energetischen Biomassenutzung" an.
"Wenn alle Reststoffe aus Industrie, Land- und Forstwirtschaft energetisch genutzt würden, könnten immerhin acht Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland abgedeckt werden", so Daniela Thrän.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar