Landwirtschaft von morgen: Hightech im Bioland
Der Westhof in Dithmarschen produziert Öko-Gemüse, und das vegan, denn er kommt ohne Rinder und Schweine aus. Den Dünger erzeugt eine Biogasanlage.
Der Westhof liegt im Friedrichsgabekoog, in der Nähe von Heide. Das Marschland, das zum Teil der Nordsee abgerungen wurde, ist bekannt für seinen Kohlanbau. Der Westhof baut Gemüse und Getreide an. Dabei bringen Carstens und seine Mitarbeiter das Kunststück fertig, nicht nur ohne Kunstdünger auszukommen, sondern auch ohne Nutztiere. Die Kühe oder Schweine, die auf Biohöfen normalerweise gebraucht werden, um Dünger zu liefern, ersetzt eine Biogasanlage.
Carstens hat Hightech mit Highbio verbunden – nicht nur, indem der Westhof den Standard des Bioland-Anbauverbands erfüllt, der anspruchsvoller ist als EU-Bio, sondern auch durch die ausgeklügelten Prozesse, mit denen der Hof, der eigentlich eine Unternehmensgruppe ist, funktioniert.
Carstens kniet auf einer dunkelgrünen Wiese und fasst mit der Hand ins Gras. Anfang April sieht das hier noch recht eintönig aus. Dabei haben seine Mitarbeiter hier 20 bis 30 Blütenpflanzen ausgesät – regionale Sorten, die von einem Umweltverband empfohlen wurden. „Wir passen die Mischung immer wieder an, weil nicht alles gedeiht“, sagt der Landwirt.
Die Blühwiesenphase ist Teil einer sechsjährigen Fruchtfolge, die es verhindern soll, dass sich Schädlinge, die auf bestimmte Pflanzen spezialisiert sind, auf einem Acker festsetzen. Es folgen im Wesentlichen Kohl, Möhren, Erbsen und Getreide aufeinander. In den zwei Jahren Blühwiese wächst Klee und Gras auf den Feldern und die Erde kann sich erholen. Der Klee bindet den Stickstoff aus der Luft, das Gras nimmt ihn auf. Zehn Prozent des Düngerbedarfs werde auf diese Weise gedeckt, sagt Carstens.
Schälreste werden Biogas
Die übrigen 90 Prozent kommen aus der Biogasanlage des Hofs, die im Kern aus zwei ringförmigen Gebäuden mit spitzen Kuppeln besteht. Gras und Möhren liegen im Einfüllschacht eines Containers, aus dem diese beiden Gärbehälter gefüttert werden. „Wir wollen in der Biogasanlage nur Produkte verfüttern, die nicht als Nahrungsmittel verwendet werden können“, sagt Carstens. Dazu gehören das zweimal im Jahr gemähte Gras, Schälreste aus der Gemüseverarbeitung und Wurzeln, die zu krumm sind, um sich vermarkten zu lassen.
Die Biomasse wird in den Gärbehälter transportiert und dort in einen hellbraunen Brei gerührt, aus dem Blasen aufsteigen – Methangas, erzeugt von Archaeen, Lebewesen, die so heißen, weil sie drei bis vier Milliarden Jahre alt sind. Bei der Methanproduktions greifen sie auf die Vorarbeit eines gemixten Bakteriencocktails zurück, der Kohlehydrate, Eiweiße und Fette in handlichere organische Verbindungen zerlegt hat.
Das Methan (CH4) sammelt sich unter einer Folie in der Kuppel der Anlage. Es wird abgepumpt, entschwefelt, entwässert und in einem Blockheizkraftwerk verbrannt, einem großen Gasmotor, dessen Erzeugnisse – Kohlendioxid (CO2), Wärme und Strom – wiederum auf dem Hof verbraucht werden. Für den mineralstoffreichen und kohlenstoffarmen Gärrest stehen Trecker mit großen gelben Tankanhängern Schlange, um ihn hinaus auf die Felder zu fahren.
Sortieren, Verpacken, Verschicken
Für die eigentliche Landwirtschaft beschäftigt der Westhof mit seinen 1.000 Hektar Land nur zwölf fest angestellte Mitarbeiter. Dazu kommen 100 Saisonkräfte, die in dem großen bungalowähnlichen Bauernhaus verpflegt werden. 35 Festangestellte arbeiten dagegen für den Handel, vor allem für das Sortieren, Verpacken und Versandfertigmachen eigenen und zugekauften Gemüses.
Vor dem Betreten der Halle drückt Carstens seinen Gästen eine Schirmmütze in die Hand. Niemand will ein Haar an der Möhre finden. 30.000 Tonnen Gemüse verarbeitet der Westhof im Jahr. 40 Prozent davon sind Möhren. Für jedes Feld gibt es einen eigenen Bunker, sodass Fehler zurückverfolgt werden können. Davor hängen mannshohe, trichterförmige Edelstahlbehälter, die rhythmisch Kilo um Kilo Möhren in Plastikbeutel fallen lassen.
Von dort aus kommen sie auf ein Band und werden etikettiert. Die Tüten seien nötig, weil Bioland sicherstellen wolle, dass es sich um zertifizierte Ware handelt, erzählt Carstens. Aus Umweltschutzgründen würde er gern darauf verzichten und experimentiert deshalb mit Alternativen, etwa einer Banderole.
Der Westhof ist mit den großen Supermarktketten im Geschäft. Da ist Effizienz und ein fehlerfreier Produktionsprozess entscheidend. Das Gemüse wird nicht nur vollautomatisch verpackt, sondern zuvor auch maschinell-optisch auf Fehler untersucht und ausgelesen.
Wenn der Jätroboter kommt
Zusammen mit der Fachhochschule Westküste arbeitet der Westhof gerade an einem Jätroboter, der einige Dutzend Saisonarbeitskräfte arbeitslos machen würde. Weil er auf Pflanzenschutzmittel verzichtet, muss Carstens bei Möhren 150 Stunden pro Jahr und Hektar jäten lassen.
Den Hof haben Carstens’ Eltern 1972 mit 60 Hektar und einer Biogasanlage übernommen. 1989 stellte Carstens auf Bio um, wie er erzählt. Weil in den drei Umstellungsjahren der Getreidepreis einbrach, investierte er in Gemüse und in der Folge in Kühlhäuser, eine Aufbereitungsanlage und einen Biofrostbetrieb. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat der Westhof 20 Millionen Euro investiert.
Eines der jüngeren Projekte ist ein vier Hektar großes Gewächshaus, das die technische Steigerung und Kontrolle biologischer Landwirtschaft auf die Spitze treibt. Wer hier rein will, muss auf einem kleinen Bürstenfließband seine Schuhe säubern lassen, während die Hände wie in einem Trockner desinfiziert werden. Arbeitsanweisungen hängen in Deutsch, Englisch und Polnisch an der Wand. Dazu gibt es den Hinweis, Glasbruch auf jeden Fall zu melden.
In das eigentliche Gewächshaus dürfen nur die Mitarbeiter mit roten Sweatshirts und vier Katzen zur Nagerjagd – die aber auch nicht raus dürfen. Denn hier wachsen Tomaten, Gurken und Paprika zwar in jährlichem Wechsel, aber auf engstem Raum. Die Gefahr, dass eingeschleppte Krankheiten eine Ernte vernichten, ist groß.
Konkurrenzfähige Paprika
Im Gegensatz zu konventionell bewirtschafteten Gewächshäusern wurzeln die Pflanzen nicht in einem Nährstoffschwamm, sondern in echter Dithmarscher Erde. Hummeln bestäuben die Pflanzen, Schwebfliegen und Raubwespen vertilgen die Schädlinge.
Und um in Dithmarschen überhaupt konkurrenzfähig Paprika ziehen zu können, muss man sich etwas einfallen lassen: Das Spezialglas des Gewächshauses lässt 96 statt wie üblich 85 Prozent des Sonnenlichts durch. Die Halle ist sieben Meter hoch, sodass sie seltener gelüftet werden muss.
Die Wärme kommt vom Blockheizkraftwerk der Biogasanlage, wie auch das CO2, das die dicht gedrängten Pflanzen zum Wachsen brauchen. Je mehr Licht einfällt, desto mehr CO2 wird eingeleitet – aber nicht mehr als auch natürlicherweise in der Atmosphäre vorkommt.
Das Blockheizkraftwerk orientiert sich am Wärmebedarf des Frostbetriebes und am CO2-Bedarf des Gewächshauses. Daneben produziert es mehr Strom, als der Hof benötigt, sodass Carstens ein weiteres Geschäftsfeld erschließen will: die Direktvermarktung. Statt Milch gibt es bei ihm dann Strom vom Bauernhof.
Der Text basiert auf einer Pressereise der Agentur für Erneuerbare Energien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen