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Kolumne Der entscheidende UnterschiedEruptionen in der Chemie-Arena

Das deutsche Publikum entdeckt sein Herz für das französische Team – und wie.

S chluss mit höflich! Die englischen Spielerinnen, die nach einer tapferen Abwehrschlacht gegen Frankreich zum Elfmeterschießen antraten, wurden gnadenlos ausgepfiffen. Auch wenn sich Englands Torhüterin vor einem Elfer der Franzosen im Tor aufbaute, gellten Pfiffe durch das Oval in Leverkusen.

Der Großteil des Publikums hatte sich längst entschieden: Frankreich sollte gewinnen. Es brodelte in der Chemie-Arena, die nicht unbedingt als Hexenkessel gilt. Es herrschte, ja, WM-Stimmung am Samstagabend.

Bei Ligaspielen habe er so etwas schon lange nicht mehr erlebt, erzählte ein Volunteer, der auch bei Spielen von Bayer Leverkusen als Ordner arbeitet. Dass die Stimmung derart hochkochte, lag nicht nur am Spiel der Französinnen, das den meisten im Stadion durchaus gefiel.

taz

ANDREAS RÜTTENAUER ist Redakteur im WM-Team der taz.

Es lag an einer Szene ein paar Minuten vor Ende der regulären Spielzeit: Frankreichs Stürmerin Marie-Laure Delie lag verletzt am Boden. Gerade war sie von einem scharf geschossenen Befreiungsschlag aus nächster Nähe getroffen worden. Stürmerkollegin Elodie Thomis hielt den Ball an der Seitenlinie in Strafraumnähe und spielte ihn ins Aus, als ihr klar wurde, dass die Schiedsrichterin das Spiel nicht unterbrechen würde. Delie wurde behandelt, musste das Spielfeld kurz verlassen. Einwurf England. Englisches Fairplay? Weit gefehlt. Der Ball wurde nicht, wie die meisten Zuschauer dies erwartet hatten, zu den Französinnen zurückgespielt. Skandal!

Und los ging es: Sauerei, Dreckschweinchen, Schwuchteln! Die Zuschauer sprangen auf. Sie waren es, die aus einem ansehnlichen Kick ein echtes Kampfspiel gemacht haben. Jedes Foul der Engländerinnen, jede Verletzungspause, die sie sich mit zunehmender Spieldauer immer öfter nahmen, wurde ihnen übel genommen. Schlampen, Ärsche, Wichser(innen?)!

Die höfliche La Ola, die das Publikum durch die WM-Stadien wogen lässt, hauptsächlich um sich selbst zu feiern, verebbte. Aus höflichem Applaus wurde Anfeuerung. Aus Sitzschalensitzern wurden Kurvenfans. Und beim Ausgleich durch Bussaglia kurz vor Schluss der regulären Spielzeit flogen geballte Fäuste durch die Luft. Kampfschreie statt Siegerlächlen. Eine Eruption!

Gut so! Es ist WM. Das Leverkusener Publikum hat gezeigt, dass es richtig brummen kann in den Stadien, auch wenn Deutschland nicht dabei ist. Es braucht nur ein wenig Hass. Das ist Fußball 2011 von seiner schönsten Seite.

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Andreas Rüttenauer
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