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Gladbach gewinnt in HamburgKontrollierter Offensivgeist

Trainer der Stunde ist Lucien Favre, der Ordnungsfanatiker aus der Schweiz. Sein Team gewinnt in Hamburg. Zufrieden ist er jedoch noch lange nicht.

Schwer zufrieden zu stellen: Mönchengladbachs Trainer Lucien Favre. Bild: reuters

BORUSSIA MÖNCHENGLADBACH taz | Den vielleicht treffendsten Satz über Lucien Favre hat der ehemalige Schweizer Fußballprofi Sebastién Fournier gesagt. Er nannte den Trainer einen "unendlich Unbefriedigten". Dass der 53-Jährige aus Saint Barthélemy in der französischsprachigen Schweiz auch nach dem 1:0-Sieg seiner Borussen im Hamburger Volkspark-Stadion nicht vollends zufrieden war, versteht sich von selbst. Er habe eine eher schlechte erste Halbzeit der Gladbacher gesehen, sagte er, und eine recht gute zweite.

Das knappe Ergebnis ist typisch für eine von Favre geführte Mannschaft, die des Trainers Philosophie der "kontrollierten Offensive" mit äußerster Disziplin umzusetzen hat. Auch als Coach von Hertha BSC gab es eine Reihe dieser 1:0- oder 2:1-Resultate, und nicht wenige Beobachter fragten sich, wie er aus einer mittelmäßigen Mannschaft (Hertha) oder gar aus einem Fastabsteiger (Gladbach) ein funktionierendes Kollektiv hatte formen können.

Die Antwort scheint einfach zu sein: Favre ist ein Denker. Er steigt tief in die Materie des Fußballs ein und verlangt von seinen Spielern, dass sie mitdenken. Favre hockt oft stundenlang vorm Monitor und analysiert Spiele, allerdings braucht er für seinen Ansatz technisch beschlagene Profis und auch solche, deren Ego nicht zu groß ist.

Wie ein Hochschullehrer

Es gibt auch in Gladbach schwierigere Typen wie Igor de Camargo oder Juan Arango, aber Favre scheint sie im Griff zu haben. Es ist schon verblüffend, wie er innerhalb weniger Monate aus notorischen Verlierern ein Team geformt hat, das an der Tabellenspitze mitmischt. Ein Geheimnis habe er nicht, sagt Favre, es sei alles harte Arbeit. Das glaubt man ihm sofort, diesem Trainer, der auch ein Hochschullehrer sein könnte.

Als er in Mönchengladbach im Winter seinen Job antrat, musste er erst einmal Ordnung ins Chaos bringen. Sein Vorgänger im Amt, Michael Frontzeck, hatte es nicht verstanden, Offensive und Defensive vernünftig auszutarieren. Die Borussen-Elf befand sich im Ungleichgewicht. Das ist jetzt völlig anders, wie auch Sportchef Max Eberl erkannt hat: "Wir haben in der Mannschaft eine Struktur geschaffen und das Gefühl, überall gewinnen zu können. Wir haben Vertrauen in die Ordnung, wir wissen, dass wir gut stehen."

Favre hat mit der Borussia in den vergangenen 18 Bundesliga-Partien 33 Punkte geholt, das ist ein Spitzenwert, den nicht einmal Meister Borussia Dortmund erreicht hat - nicht berücksichtigt ist hierbei das Ergebnis des Sonntagsspiels des BVB gegen Hannover, das erst nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe zu Ende war. So oder so, Gladbach könnte unter diesem Trainer zum Überraschungsteam dieser Saison werden. Für Lucien Favre wäre das allerdings keine große Überraschung.

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5 Kommentare

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  • M
    manni

    Es sind ansätze zu sehen wie zu besten zeiten der boruusia.Auch unter Weissweiler musste man erst hinten sicher stehen um dann den konterfussball zu spielen.

  • H
    Henk

    Hmmm. Ich habe jetzt eine ganze Menge an Spielen der Gladbacher unter Lucien Favre im Stadion verfolgt. Ohne Frage steht die Mannschaft hinten sicher und diszipliniert, eine komplett defensive Ausrichtung kann ich allerdings nicht erkennen.

     

    Ob das Spiel in Hamburg am Samstag "gut gespielt" war oder nicht, ist mir auch eher wurscht. Ich habe die Borussia in so vielen Spielen in Schönheit sterben sehen, dass es weh tut. Ich freue mich darüber, dass die Mannschaft - wie zuletzt gegen Wolfsburg demonstriert - schön UND erfolgreich spielen kann, im Zweifelsfall (z.B. gegen Kaiserslautern) reicht mir dann aber der Erfolg, der auch gegen den HSV ja - Attraktivität hin oder her - ohne Zweifel verdient war.

     

    Ich mag Favre. Sieht man das in Berlin evtl. anders, weil man sich gerne einen Sündenbock für den aufgrund des finanziellen Harakiri mehr als verdienten Abstieg?

  • T
    Toti

    Ohjee Haki....hast Du überhaupt eine Ahnung von Fussball. Wieviele Ecken haben drei Bälle :-)

  • V
    Vortex

    Na ja, das kam man auch etwas differenzierter sehen.

     

    BMG ist noch nicht soweit um einen Angriffswirbel nach dem andern aufs Feld zu zaubern. Ein bisschen Geduld brauchts schon noch. Es ist etwas viel verlangt von einem beinahe Absteiger, innert weniger Monate und ohne die Mannschaft gross zu verstärken, bereits ein perfektes Angriffsspiel zu erwarten!

     

    Ich kenne L.Favres Arbeit bei Yverdon, Servette und dem FCZ und diese Mannschaften spielten schnell, schön und standen hinten trotzdem sicher.

    Also, noch ein wenig Geduld!

  • H
    Haki

    Ist schon interessant, wie manche Dinge dargestellt werden. Bei Favre heißt es Ordnungsfanatiker. Bei Stevens oder Funkel würde man von sturer Defensivtaktik reden. Beispiel vom gestrigen Spiel in Hamburg: Da wurde dem vor Selbstvertrauen strotzenden HSV vorgeworfen, nicht offensiver gespielt zu haben. Favre dagegen habe es mit seinen Gladbachern locker angehen lassen. In der 1. HZ war Gladbach ganz einfach nicht zu sehen, ängstlich bis zum Gehtnichtmehr gg die momentan stärkste Mannschaft der Liga. Und wirklich gut gespielt hat der VfL außer den Anfangsminuten nach der Pause nur für eine Weile nachdem Hamburg zurücklag und in sich zusammenbrach. Und selbst da war Gladbach nicht gerade dolle.

    Es ist einfach Fakt, dass Favre mit komplett defensiv ausgerichteten Mannschaften spielt. Und das geht immer nur eine Weile gut.