Klaus Wowereit besucht Piratenfraktion: Der Regierende macht Piraten den Hof
Der Regierende Bürgermeister steht eine Stunde lang Rede und Antwort bei der Piratenfraktion - und bleibt ein Fremdkörper.
Klaus Wowereit kommt, setzt sich und - hat keinen Laptop dabei. Im Sitzungssaal der freakigen Piratenfraktion, der der Regierende Bürgermeister am Dienstag einen Antrittsbesuch abstattet, wirkt dieser grauhaarige Anzugträger wie ein seltsamer Vogel. Aber reden kann er. Ohne Punkt und Komma. Über sich selbst: "Ich bin 58 Jahre alt und von Geburt Berliner." Über Rot-Grün: "Das hatte keine Basis". Über Genossen, die beim SPD-Parteitag gegen Rot-Schwarz gestimmt haben: "Ein Zeichen von Ehrlichkeit". Über Aufstiegswillen: "Den haben viele Menschen mit Migrationhintergrund per se". Über Mietenpolitik: "Das Thema der Zukunft". Über …
… doch da unterbricht Christopher Lauer die Regierungserklärung. 15 Minuten des auf eine Stunde angesetzten Besuchs sind schon um. "Wie lange dauert es denn noch?" will Pirat Lauer vom Redemeister wissen. Am Ende bleibe gar keine Zeit mehr für Fragen, befürchtet Lauer. "Das ist keine Absicht", entgegnet Wowereit, nur ein Thema habe er noch. "Netzpolitik, interessiert Sie ja auch manchmal", schnoddert der Regierende, schaut auf seinen Zettel und baut in den nächsten Sätzen die Worte "keine Netzsperren" und "Wahrung der Netzneutralität" ein.
Dann dürfen die Fachleute ran. Diese jungen Menschen aus dem Internet, die irgendwie ins Parlament gemailt wurden. Doch sie fragen gar keinen seltsamen Quark. Stattdessen wollen sie wissen, wie die SPD sich trotz CDU-Innensenator noch für Asylbewerber engagieren könne? ("Die Härtefallkomission bleibt", sagt Wowereit.) Wieso sich die SPD gegen die Lehrerverbeamtung sperre? ("Weil Lehrer keine Hoheitsaufgaben erfüllen.") Ob er für die volle Legislaturperiode zur Verfügungen stehe ? ("Sie sind ja schlimmer als die Journalisten.") Auf jede dieser sehr informiert klingenden Fragen hat Wowereit eine sehr informiert klingende Antwort.
Dann meldet Lauer sich nochmal: Ob sich Wowereit vorstellen könne, dass die Abgeordneten aller Fraktionen künftig wie die Piraten mit Hilfe des Programms Liquid Feedback offen über Gesetzentwürfe diskutieren? Wowereits Antwort dreht sich weitschweifig um Volksentscheide, Bürgerbeteiligung, repäsentative Demokratie. "Der hat gar nicht verstanden, was Liquid Feedback ist", sagt Lauer später.
Dafür weißt Wowereit etwas anderes: "Die Piraten heben sich ab". Sie machen keine Opposition aus Prinzip. Deshalb hofft er, dass sie auch mal Regierungspolitik mittragen. Zum Beispiel am Donnerstag, wenn sich Wowereit im Abgeordnetenhaus zur Wiederwahl stellt.
"Piraten wählen niemanden, den sie nicht kennen", hatte Piratenfraktionschef Andreas Baum anfangs erklärt. Und nach dem Besuch? "Ich bin unentschieden", sagt Baum. Lauer wird deutlicher. "Ich hatte vor dem Besuch keinen Grund ihn zu wählen. Und es ist jetzt kein Grund hinzugekommen."
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen