Arbeitsmarkt in Ostdeutschland: Weg mit dem Klöppelkurs-Luxus
Zwei Jahrzehnte lang sind im Osten mit ABM-Kräften und Ein-Euro-Jobbern soziokulturelle Vereine und Initiativen unterstützt worden. Jetzt werden sie wegreformiert.
Die A 14 durch Sachsen-Anhalt dehnt sich zwischen Halle und Magdeburg wie gewohnt. Viel Gegend, wenig Landschaft. Die 1.000-Seelen-Gemeinde Neugattersleben liegt nur zwei Kilometer von der Abfahrt Nienburg entfernt. Am Ortsausgang führt eine prächtige Lindenallee zur "Ökostation". Das große Schulungsgebäude, das Verwaltungsgebäude, die Scheune und das Gewächshaus wurden für eine der DDR-Agraringenieurschulen errichtet.
Nach deren Schließung hieß das Gelände seit 1992 "Ökostation". Heute findet sich auf 14.000 Quadratmetern alles, was man von einem Umweltbildungszentrum erwartet: Kräutergarten, "Insektenhotel", Biotope, Lehmbackofen, Demonstrationsanlagen für die Nutzung von Wind- und Sonnenenergie oder die Regenwassernutzung.
Die winterliche Tristesse über dem, was sonst grünt, entspricht der Stimmung der Mitarbeiter. Wegen der drastischen Kürzungen bei der Arbeitsförderung kann sich der Träger, die Bildungs- und Strukturfördergesellschaft mbH im benachbarten Bernburg, die Ökostation nicht mehr leisten und stieg zum Jahresende aus.
In letzter Minute glückte ein Verkauf an die Stiftung Evangelische Jugendhilfe in Bernburg, die zumindest einen Teil der Umweltbildung erhalten will. Keine Bösartigkeit der Bernburger Strukturfördergesellschaft, die auch nur Dienstleister des Jobcenters im Salzlandkreis ist. Das musste wiederum eine Kürzung der Eingliederungstitel für Arbeitslose von 41,6 auf 23,6 Millionen Euro binnen einem Jahr hinnehmen.
"Eine stille Beerdigung"
Letzte Platzhalterin im Büro des Hauptgebäudes ist Andrea Finck. Die promovierte Pflanzenzüchterin war nach der Wende arbeitslos und kam 1992 als ABM-Kraft an die neue Ökostation. 1998 avancierte sie zur Leiterin, erhielt eine von drei damals eingerichteten Stellen. Ohne die bis zu 12 ABM-Kräfte, später 1-Euro-Jobber, aber wären die Station und ihr Angebot für jährlich etwa 3.000 Besucher nicht zu halten gewesen. "Besonders unter den ABM-Kräften waren hoch motivierte Experten", sagt Andrea Finck rückblickend. Insgesamt rund 300 Arbeitslose hat der Bernburger Träger an diese typische Einrichtung des zweiten Arbeitsmarktes vermittelt.
"Die wollten eine stille Beerdigung", bemerkt Andrea Finck lakonisch und schickt hinterher: "Ich bin ja auch nicht so ein Revolutionär." Ein gewisses Understatement, immerhin schrieb sie an Kultusminister Stephan Dorgerloh, erstellte eine Übersicht über zwei Jahrzehnte Umweltbildung in Neugattersleben und sammelte mehr als tausend Unterschriften.
Am 25. November 2011 passierte die sogenannte Arbeitsmarktreform von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen den Bundesrat. Damit werden die Jobcenter ganz auf Vermittlungserfolge in den ersten Arbeitsmarkt orientiert, während die etwa 400.000 Langzeitarbeitslosen weitgehend sich selbst überlassen bleiben. Die Mittel für "Beschäftigung schaffende Maßnahmen", darunter 1-Euro-Jobs, sinken bereits seit Mitte 2010 deutlich. Von durchschnittlich etwa 70.000 Stellen im zweiten Arbeitsmarkt bundesweit blieben im Dezember 2011 noch 25.000. Der Kommunal-Kombi, eine Mischung aus ESF-Mitteln, Bundes- und Landesgeldern, läuft Ende 2012 aus. (mb)
Trotzdem fasste der Kreistag am 7. Dezember einen nichtssagenden Beschluss, der lediglich demonstriert, dass ohne Geld mit gutem Willen allein der Rückzug des Bundes aus der Arbeitsförderung nicht ausgeglichen werden kann.
Landrat Ulrich Gerstner (SPD) sieht in der Ökostation keinen Einzelfall. Der Kreis werde noch große Probleme bei freien Trägern der Jugend- und Sozialarbeit bekommen, wenn diesen Trägern durch Entscheidungen auf Bundesebene die Arbeitskräfte entzogen werden.
Der Landrat ahnt, was sich nächstes Jahr noch zuspitzen dürfte: Die sogenannte Arbeitsmarktreform wird vor allem in den fünf ostdeutschen Bundesländern vielen Einrichtungen der Sozial-, Jugend- und Kulturarbeit die Basis entziehen, die nur mit Hilfe der "Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose" überleben konnten.
Breakdance für 1,50 Euro
"Stadt der Moderne" preist sich die Stadt Chemnitz an. Als im 19. Jahrhundert rauchende Schlote und stampfendes Eisen noch als modern galten, war der Maschinenbauer und Eisenbahnpionier Richard Hartmann der erfolgreichste Chemnitzer Unternehmer. Seine frühere Villa auf der Kaßbergstraße lässt davon noch etwas ahnen. Sie beherbergt heute "Kraftwerk e.V.", ein soziokulturelles Zentrum.
Doch das Kraftwerk stottert, seit im Juni mit sechs Kommunal-Kombi-Stellen ein wesentlicher Energieträger wegfiel. "Kommunal-Kombi", das war die letzte, immerhin drei Jahre laufende "Maßnahme" für Langzeitarbeitslose, aus der sich der Freistaat Sachsen noch eher zurückzog als der Bund. Im stilvollen Erdgeschoss, wo die Produkte des Zeichenkurses ausgestellt sind, liegt auch das Hartmann-Café. Leiterin Ute Kiehn schildert, was das Haus unter dem Leitspruch "Kultur für alle" für rund 100.000 Besucher seit 1993 geleistet hat.
Anleitung und Selbstbetätigung in allen Kunstgenres, Tanz, Breakdance für 1,50 Euro im Monat, vom Zwergenklub über die Kinder- und Jugendarbeit bis zur Seniorengymnastik so ziemlich alles. Dinge, für die es keine Profi-Alternative gibt, jedenfalls keine für alle bezahlbare, betont Ute Kiehn. Die beiden ebenfalls ausgefallenen Zivis hinzugerechnet, fehlen nun schlagartig rund 200 Wochenarbeitsstunden.
Zwischen Weihnachten und Neujahr wurde erstmals das Haus geschlossen. Die Informationsstelle ist ebenso wie die Computerwerkstatt nur noch sporadisch besetzt. Auch auf das freundliche rundliche Gesicht von Elvira Kutscher ist ein Schatten gefallen. Die gelernte Bäckerin stammt aus Russland, ist die letzte 1-Euro-Jobberin im Kraftwerk und sieht keine Chance mehr, in ihrem Beruf eine Arbeit in Deutschland zu finden.
Kopfschütteln über die Widersprüche
Am Chemnitzer Rosenplatz hat das Stadtteilzentrum "Querbeet e.V." sein Domizil. Der Basketballkorb und die Spielgelegenheiten im Hof wirken im Winter etwas verwaist. Dafür lädt das Hochparterre umso freundlicher ein. Mehrere ineinander übergehende Zimmer strahlen erzgebirgische Gemütlichkeit aus. Auch am frühen Nachmittag sind mehrere Tische besetzt. Beim Englischkurs im Nachbarraum ist kein Platz mehr frei.
In einer winzigen Stube des Hinterhauses hat Projektleiterin Diane Tischendorf ihr Büro. Sie plagen die gleichen Sorgen wie ihre Kraftwerks-Kollegin. Zwei feste Teilzeitstellen bekommt der Verein von der Stadt finanziert, muss aber ein Drittel seiner Mittel selbst erwirtschaften. Die wegfallenden drei Kommunal-Kombi-Kräfte sind durch Ehrenamtler nicht zu ersetzen.
Die Projektleiterin kann über einige schreiende Widersprüche nur noch den Kopf schütteln. Die Förderung für den Verein ist an ein strenges Controlling gebunden, das unter anderem mindestens 37 Stunden Öffnungszeit in der Woche verlangt. Wie ist das noch zu schaffen? Sie selbst musste ein Studium als Sozialarbeiterin nachholen, die Jugendarbeit ist an Fachqualifikation gebunden, aber jetzt soll auf einmal alles mit Ehrenamtlern laufen?
Zwei Jahrzehnte lang ist vor allem im Osten der zweite Arbeitsmarkt ausgebaut worden, haben sich Strukturen entwickelt, denen man nun genau das vorhält. "Wir haben etwas für den sozialen Frieden getan", betont Diane Tischendorf und fügt verbittert hinzu: "Ich hab's richtig satt!".
Im Chemnitzer Jobcenter räumt Geschäftsführerin Katrin Heinze ein, dass sich "die Prioritäten verändert haben". Nicht nur die Arbeitsmarktreform setzt ganz auf Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt, auch die regionalen Vermittlungschancen haben sich wegen der Fachkräftenachfrage verbessert. "Es ist nicht die primäre Aufgabe eines Jobcenters, Vereine zu finanzieren!" Die Zuschüsse für die ARGE Chemnitz sanken gegenüber dem Vorjahr von 33 auf 24,4 Millionen Euro und werden 2012 voraussichtlich nur noch 19 Millionen betragen. Kürzungen, die vor allem zu Lasten der sogenannten Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose gehen. Schon im Sommer hatte sich in Sachsen die Zahl der 1-Euro-Jobs halbiert.
Die Stadt wird "umsortiert"
Mit am Tisch sitzt Sozialamtsleiter Andreas Ehrlich. Er wirkt nachdenklicher, spricht von ABM als einem "Instrument, das gesetzlich geregelt und dennoch geächtet war". Die Arbeitsmarktreform lasse offen, wie mit "den anderen" umzugehen sei. Gemeint sind die etwa 400.000 Langzeitarbeitslosen in der Bundesrepublik, deren Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt illusorisch bleibt.
Ehrlich stellt rückblickend die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in Frage. "Was vor Hartz IV lief, war nicht die schlechteste Lösung", sagt er. Mit Blick auf die gewachsene soziokulturelle Infrastruktur aber ist er wieder ganz auf Linie. Der Sozialamtsleiter bezweifelt die Existenznöte der Vereine, unterstellt ihnen zusätzliche selbst gewählte Aufgaben, fragt nach deren "Kerngeschäft", spricht vom "Umsortieren" in der Stadt.
Das bringt nicht nur die betroffenen Zentren, sondern auch den Chemnitzer Linken-Landtagsabgeordneten Karl-Friedrich Zais in Rage. Weder Chemnitz noch die klammen Kommunen anderswo seien in der Lage, die Ausfälle der Bundes-Arbeitsförderung zu kompensieren. Menschen verschwänden doch nicht einfach, weder die Nutznießer der in zwei Jahrzehnten gewachsenen Angebotsstrukturen noch jene, die hier eine sinnvolle Beschäftigung gefunden haben. "Die Politik spielt mit Menschen", sagt Zais ezürnt. "Der Bund spart auf Kosten der Kommunen!"
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