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Kommentar US-VorwahlenZerrissen wie nie

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Sehr früh im Vorwahlprozess haben die Republikaner in Person von Mitt Romney einen klaren Favoriten für die US-Präsidentenwahl. Doch die Partei ist zerrissen wie nie.

E igentlich sind Vorwahlen der jeweiligen Oppositionspartei eine Riesenchance. Die Kandidaten und ihre Debatten, ihre Siegesreden und Wahlkampfauftritte bescheren der Opposition Fernsehbilder, von denen sie in normalen Zeiten nur träumen kann. Der jeweilige Präsident muss sich warm anziehen ob der Welle von Kritik und Ablehnung, die ihm entgegenschlägt.

Oder es kommt so wie jetzt. Sehr früh im Vorwahlprozess haben die Republikaner in Person von Mitt Romney einen klaren Favoriten. Und trotzdem zeigt sich die Partei, die von der Tea Party mit ihren staatsfeindlichen und sozialkonservativen Slogans vor sich hergetrieben wird, zerrissen wie nie. Ron Paul, der ewige Kandidat mit seinen radikal-libertären Ideen, ist für die meisten Republikaner unwählbar, liegt aber an zweiter Stelle.

Newt Gingrich, der alte Grantler, Washington-Insider und Lobbyist, scheint vergessen zu haben, dass er selbst gewinnen wollte, und steckt seine ganze Energie in die Aufgabe, Romney zur Strecke zu bringen. Zu Recht attackiert er den Multimillionär für seine Zeit als Heuschrecken-Kapitalist und Jobkiller bei Bain Capital - das aber wäre eigentlich der Job von Obamas Wahlkampfteam, sollte Romney tatsächlich Kandidat werden.

taz
BERND PICKERT

ist Redakteur im Auslandsressort der taz.

Gingrich zeigt hier die gleiche Flexibilität, die es ihm schon ermöglichte, als Lobbyist für - von den Republikanern bekämpfte - staatliche Gesundheitsausgaben zu werben, als das seinen Kunden Profite versprach. Und die religiöse Rechte hat sich bis heute nicht auf einen Kandidaten einigen können, so dass ihre zersplitterten Wählerstimmen immer nur Romney nutzen, dem einzigen Kandidaten, den sie wirklich nicht leiden können.

All das ist geeignet, Präsident Obama ruhiger schlafen zu lassen. Für eine konstruktive Reformpolitik allerdings, die ohne die Republikaner auch in Zukunft nicht zu machen sein wird, ist dieser durchgedrehte Hühnerhaufen nicht zu gebrauchen. Das ist das eigentliche Desaster.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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2 Kommentare

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  • D
    davidly

    "Zerrissen wie nie"? Wirklich?

     

    Wann ist "nie"? Im Sinne von "am ewigsten her", vielleicht ist nie während des Bürgerkriegs, aber ich kann mir vorstellen, dass "nie" so gegen 1964 sein könnte, nachdem LBJ in '60 die Südstaaten für JFK hinweg von den Republikaner zu den Demokraten hatte hineinschleifen können.

     

    Fazit: Ein Feld aus acht GOP Kandidaten, inklusive eines gewissen Romney, Rockefeller, und Barry Goldwater. "Goldwater Republicans" also.

     

    Vielleicht ist der Theatervorhang ein Bisschen zerrissen. Wie nie? Man hofft zumindest.

     

    Und wer schläft tief und fest? Frag mal Goldman Sachs oder JP Morgan Chase.

  • T
    Tomate

    Die US-Amerikaner haben die Wahl: zwischen einem Haufen Vollpfosten, bei denen sogar republikanischern Wählern angst und bange wird, und einem rechtsmittigen Amtsinhaber, der mittlerweile sogar seine ehemals jubelnden Anhänger in einem Maße enttäuscht hat, dass sie ihn unter normalen Umständen niemals wiederwählen würden.

     

    Wenn wir in Deutschland nur noch die Wahl hätten zwischen einem grenzdebilen CSU-Rechtsaußen und einem amtierenden FDP-Bundeskanzler, und wenn die Frage auf allen Seiten nur noch wäre: gebe ich meine Stimme gar nicht ab, oder gehe ich und wähle unter Protest das kleinere Übel? Dann würde man in unserer Presse doch gleich eine "Staatskrise" ausrufen und vom Versagen demokratischer Staatlichkeit sprechen. Na ja, zumindest aus heutiger Perspektive. Wie's dann tatsächlich ablaufen wird - lassen wir uns mal überraschen.

     

    Und aus europäischer Sicht sieht das Problem mit den kommenden US-Wahlen so aus: entweder behält Europa einen "Partner", der Bushs menschenrechtsverachtenden Kamikaze-Imperialismus weiterhin so ungebrochen fortführt wie in den letzten drei Jahren; oder es kommt noch schlimmer: mit einem republikanischen Präsidenten, bei dem man sich am Ende noch Bush junior zurückwünschen wird.

     

    Da überrascht es nicht, dass unter amerikanischen Linken mitterweile sogar schon der ultra-wirtschaftsliberale, aber ansonsten einigermaßen saubere Ron Paul als geringstes Präsidentenübel von allen (inkl. Obama!) gehandelt wird ... Siehe z. B. den Artikel von Marc Salomon im counterpunch: "Wir Sind Nicht Alle Österreicher" ( http://www.counterpunch.org/2012/01/06/wir-sind-nicht-alle-osterreicher/ ).

     

    Trauriges Land. Aber vermutlich auch unsere eigene traurige Zukunft.