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Fangipfel in Berlin„Wir sind der Fussball“

In Berlin trafen sich 250 Fanvertreter. Aus dem Protest gegen eine verschärfte Sicherheitspolitik wurde ein Demokratieworkshop.

Klare Meinung: Fans in Freiburg. Bild: dpa

BERLIN taz | Sie alle hier wähnen den Tod der Fankultur in unmittelbarer Nähe. Rund 250 Fanvertreter von 49 Vereinen der Bundesliga, 2. Bundesliga, 3. Liga sowie der Regionalligen hat diese apokalyptische Vorstellung auf das Stadiongelände von Union Berlin zusammengebracht. Auch die Hoffenheimer sind eingeladen worden. „Ein Novum“, wie ein Anhänger des ungeliebten Mäzenvereins etwas sauertöpfisch bemerkt.

Der Zweitligist Union Berlin hat den Fanaktivisten ihr Very-Important-Person-Zelt (kurz: VIP-Zelt) zur Verfügung gestellt. Was wie eine Art Umkehrung der üblichen Hackordnung wirkt, entspricht dem Selbstverständnis der Teilnehmer. Sig Zelt, Union-Anhänger und auch bei der bundesweiten Initiative Pro Fans aktiv, bringt es zu Beginn des Fangipfels in Berlin so auf den Punkt: „Wir sind der Fußball.“.

Es wird sofort spürbar, dass es um mehr geht als um das umstrittene Sicherheitspapier, das die Deutsche Fußball-Liga mit Klubvertretern, verfasst hat. Ein Entwurf, der dem Verband und den Vereinen ein Sanktionsinstrumentarium an die Hand gibt, das Fananwälte als rechtsstaatlich bedenklich eingestuft haben.

Dass dieses Papier „in die Tonne gekloppt werden soll“, wie es der Sicherheitsbeauftragte von St. Pauli formuliert, ist Konsens im Plenum. Grundsätzlicheres steht aber hinter der konkreten Streitfrage: Die Fans wollen von den Verbänden endlich ernstgenommen und einbezogen werden.

Strukturelle Verankerung der Interessen

Die Intensität mit der am Ende dieses Fangipfels die 250 Teilnehmer um die richtigen Worte eine gemeinsame Abschlusserklärung gerungen wird, ist von basisdemokratischem Idealismus geprägt. In dem Papier selbst werden alle Fans dazu aufgefordert, die Vertretung ihrer Interessen in den Vereinen strukturell zu verankern und aktiv wahrzunehmen.

Es geht um Teilhabe und Mitbestimmung. Jens Janeck, Fanprojektleiter des 1. FC Magdeburg resümierte: „Es war wichtig, dass hier gemeinsam ein Papier verabschiedet wurde und man sich nicht nur erzählt hat, wie schlecht die Situation ist.“ Aus der Endzeitstimmung unter den aktiven Fußballfans ist in Berlin eine Art Aufbruchstimmung entstanden. Am Donnerstag wurde die Organisation einer Folgeveranstaltung vereinbart.

Da kann man die Rivalität schon mal einen Moment ruhen lassen. Fangipfel in Berlin. Bild: dpa

Für Außenstehende mutete der Fangipfel wie ein Demokratieworkshop an. In einem langwierigen Verfahren wurde die vorbereitete Abschlusserklärung an der Leinwand modifiziert. Da eine Klammer weg, dort ein Wort hinzugefügt, ein anderes verändert. Ein 250-köpfiger Schreibzirkel brütete zum Beispiel darüber, wie man der Gewalt im Stadion am besten abschwören soll.

Die zu sehr auf Fußballfans ausgerichtete Formulierung wurde breiter gehalten, um auch potentielle Aggressionen von Polizisten mit brandzumarken. Statt Gewalt „zu verhindern“, will man ihr nun „entgegenwirken“. Der DFB-Sicherheitsbeauftragte Hendrik Große Lefert sprach hernach von einer bedauerlichen „Verwässerung“.

Unterschiedliche Kommunikationskulturen

Vermutlich ist der Dialog zwischen Fans, Verbänden und Vereinen auch deshalb so schwierig, weil dabei so unterschiedliche Kommunikationskulturen aufeinandertreffen. Große Lefert will an diesem Tag nichts gesagt haben, was nicht die Direktion für Kommunikation beim DFB abgesegnet hat, bei den Fans hingegen werden spontane Einfälle umgehend in eine offizielle Erklärung aufgenommen.

Fälschlicherweise setzte Große Lefert den Meinungsbildungsprozess des Fangipfels mit dem der Verbände und Vereine gleich. Es sei wichtig, dass sich alle erst einmal intern treffen und vor der eigenen Haustüre kehren würden, bekundete er. Im Nachhinein wollte der DFB-Funktionär damit noch einmal dem Vorwurf von Fanseite begegnen, dass sie von den Fußballverbänden nicht ernstgenommen werden.

Beim Fangipfel in Berlin waren jedoch ausdrücklich alle am Thema interessierten eingeladen. Der Fanbeauftragte der Deutschen Fußball-Liga Thomas Schneider schaltete sich gar am Ende an einem entscheidenden Punkt der Debatte ein. Diskutiert wurde, ob die Fans im Abschlusskommuniqué festschreiben wollen, dass auf der DFL-Versammlung am 12. Dezember über kein wie auch immer geartetes Sicherheitskonzept abgestimmt werden soll. Schneider gab zu bedenken, dass die Fans sich damit in ihrer Dialogbereitschaft selbst beschränken würden.

Letztlich wurde dem Einwand Rechnung getragen und eine entschärfte Formulierung aufgenommen. „Wir haben den Dialog, von dem immerzu von allen Seiten gesprochen wird, mit Leben gefüllt“, bilanzierte Jens Janeck nach der Veranstaltung. Die Fans sind fraglos in eine gewisse Vorleistung getreten. Franko Daniel, St.-Pauli-Anhänger, sagte: „Jetzt erwarten wir eine Reaktion von den Vereinen und Verbänden.“

Umdenken bei den Verbänden

Dass DFB- und DFL-Vertreter überhaupt nach Berlin gereist sind, spricht für ein gewisses Umdenken bei den Verbänden. Die Versuche, das gestörte Verhältnis zu befrieden, fallen teilweise noch etwas unbeholfen aus. DFL-Justiziar Jürgen Paepke, Mitverfasser des Papiers „Sicheres Stadionerlebnis“, versuchte angebliche Missverständnisse und Fehlinterpretationen aus der Welt zu schaffen.

Von „Ganzkörperkontrollen“, also dem kompletten Entkleiden der Fans, sei in dem Entwurf nirgendwo die Rede. Daraufhin befragt was denn der Unterschied zwischen dem verwendeten Begriff „Vollkontrollen“ und dem nicht benutzten Wort „Ganzkörperkontrollen“ sei, wusste er allerdings auch keine befriedigende Antwort.

Der designierte DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig konnte schon eher punkten, weil er sich gegen den Populismus von Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier wandte, der nach Fanausschreitungen eine Politik der härteren Hand gefordert hatte. Solch klare Stellungnahmen haben die Fans bislang von DFL-Vertretern vermisst.

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6 Kommentare

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  • J
    Jahabich

    Herr ama.blabla:

    Bitte fahren Sie doch einmal mit dem Verein Ihrer Wahl zu einem Auswärtsspiel.

    Da können Sie dann am eigenen Leib erleben wie hart die Polizei zum Teil daran arbeitet die eigenen Voraussagen bzgl. sogenannter Ausschreitungen Wirklichkeit werden zu lassen.

    Was man nämlich auf SKY/sport1/usw. nicht mitbekommt sind Einsätze fernab jeglicher Sinnhaftigkeit und leider oft genug auch Rechtstaatlichkeit, die immer wieder hohe Verletztenzahlen fordern (die Einführung von Pfefferspray in der großen Kanne als Grundausrüstung hat da Wunder gewirkt).

    Danach kann man dann in der Zeitung mit den vielen Bildern und den Großen Buchstaben wieder was über Randalierer und Chaoten lesen.

    Als Beispiel sei hier mal das letzte Revierderby Dortmund - Schalke genannt. So dumm wie sich die Polizei bei dieser Gelegenheit angestellt hat (Stichwort Fantrennung) könnte man fast auf den Gedanken kommen, dass das eigene Budget für Reiterstaffeln, Wasserwerfer und nicht zuletzt Reizgas und Pfefferspray ja auch irgendwie gerechtfertigt werden muss.

    Dazu müssten Sie sich allerdings mal abseits der Mainstream-Medien informieren, die leider nicht mehr recherchieren sondern nur noch die Pressemitteilungen der Polizei abschreiben.

    Schönen Fernsehabend noch..

  • M
    Miche

    Natürlich, auf einmal gerät die "Aggression" der bösen Polizisten in den Mittelpunkt. Nur gegen die Gewalt der angeblichen Fans werden die "Sicherheitsbeauftragten" und Vereinsbeauftragten weiterhin nichts tun!

  • S
    SyStö

    Lieber ama.dablam,

     

    mir scheint sie sind den Mainstream-Medien mit ihrer reißerischen Berichterstattung auf den Leim gegangen. Faktisch sieht es so aus, dass beim Oktoberfest an einem Tag fast soviele Verletzte zu verzeichnen sind, wie in einer ganzen Bundesliga Saison in allen Stadien der 1. und 2. Bundesliga zusammen.

     

    Das Gemeinwesen beschäftigt sich vor allem mit diesem Thema, weil auch die Innenminister (Bund + Länder) das Thema Fangewalt forcieren. Dreimal dürfen sie raten, welches unrühmliche Thema so überdeckt werden soll.

  • A
    axel

    Ein deutliches Zeichen der Fans gegen die angebliche "Gewalt und Anarchie" in Stadien:

     

    "Ich fühl mich sicher!"

     

    https://www.ich-fuehl-mich-sicher.de/

     

    Seit 01.11.2012 bereits mehr als 27.500 Unterschriften!

  • I
    @Intellekt

    Ein Freund berichtete mir vor kurzem, wie es u.a. in Fulham zugeht: gelbe Karte, gelbe Karte.."raus die Sau"! Damit war nicht ein Spieler gemeint, sondern ein Zuschauer, der es gewagt hat, sich dreimal von seinem Sitzplatz (es gab wohl fußballerisch spannende Szenen)zu erheben. Es gab von einem Ordner dafür Stadionverweis. Es mag zwar sein, dass die "Fankultur"in GB "befriedet" werden musste, warum aber hier? Die normalen gesetzlichen Vorgaben reichen eigentlich aus, um extremen Verhaltensweisen im Stadion Einhalt zu gebieten. Wenn mir, z.B., jemand auf der Straße eine brennende Fackel unter die Nase hält, dann nehm` ich das doch sehr persönlich und habe dann auch die Möglichkeit, mich mit Gesetzes Hilfe gegegen solch ein Verhalten zu schützen.

    Also frage ich mich, warum wird so ein Aufriss gemacht, wenn denn die offiziellen Zahlen über "Gewaltbereitschaft im Stadion" stimmen und statistisch gesehen, diese sogar rückläufig ist?

     

    P.S.: Die Eltern der Düsseldorfer "Hooligans" haben auch schon im Kindergarten mit dem Rasen gespielt;-)!

  • A
    ama.dablam

    Meine Fr...: Veranstaltungen, bei denen die Besucher von Seiten des Veranstalters mühsam sozialisiert werden müssen, sollten erst garnicht stattfinden, oder eben ohne die, die sich nicht unter Kontrolle haben.

     

    Und jetzt auch noch die Polizei ins Visier nehmen ("ich wollte ja nur das Spiel anschauen, aber die Polizeipräsenz hat mich provoziert, blabla..."). Also dann das nächste Spiel mit St. Pauli, Dresden, BVB etc. ohne jegliche Polizeipräsenz, ganz darwinistisch...

     

    Mit was sich das Gemeinwesen alles beschäftigen muss, nicht zu fassen!