Universitätsstadt Kleve: Spitzenbildung aus der Keksstadt
Die Hochschule in Kleve sollte das Grenzgebiet in NRW päppeln. Inzwischen kommt ein Viertel der Studenten aus der weiten Welt in die Kleinstadt.
KLEVE taz | Auf der Sonnenseite des Neubaus empfängt die Präsidentin der neuen Hochschule Rhein-Waal ihre Gäste in einem schneeweißen Büro. Seit September hat sie außerdem eine neue Adresse. Denn: Kleve, Wiesenstraße 37, fand sie für den nagelneuen Campus nicht repräsentativ genug. Dank hervorragender Kontakte zum schwarz-grünen Stadtrat ließ Marie-Louise Klotz, 58, das Problem durch eine Umbenennung lösen. Die 2009 eingeweihte Hochschule Rhein-Waal, auch Rhine-Waal University of Applied Sciences genannt, residiert nun in der Marie-Curie-Straße 1, Kleve, Germany.
Frau Professor Klotz nutzt hier die Chance ihres Lebens: eine neue Hochschule aufzubauen, die sich unterscheidet. „In dieser sehr ländlichen Region sind wir umzingelt von kompetenten Hochschulen auf deutscher und niederländischer Seite“, berichtet sie, „also müssen wir krisensicher sein, und, was die Disziplinen betrifft, breit aufgestellt.“ Ihr Rezept, Studenten für die Fachhochschule am Niederrhein zu gewinnen, besteht im Wesentlichen aus zwei Ingredienzien: einer inhaltlichen Neukonzeption der Studiengänge – und dem massiven Einsatz des Englischen.
Das Rezept scheint anzukommen: 2.750 junge Leute aus 84 Nationen bevölkern mittlerweile die Stadt, die früher nur durch die Produktion von Margarine, Keksen und Kinderschuhen auffiel. Drei Jahre nach ihrer Gründung gibt es 25 Bachelor- und drei Masterstudiengänge in der erzkatholischen Stadt. Insgesamt 5.000 Studenten sollen es einmal werden, auf diesem Campus und dem in Kamp-Lintfort, denn die Fachhochschule operiert an zwei Standorten.
Kleve am Niederrhein. Fast 50.000 Bewohner, eine beschauliche Stadt. Backsteinhäuser, eine Fußgängerzone, ein paar Cafés, und hoch über allem thront massiv auf dem Höhenzug die bekannte Schwanenburg. Von dort aus hat, wer hinaufsteigt, einen weiten Blick über Felder, den Spoykanal. An dessen Ufern sich nun das Mammutprojekt Campus erstreckt, mit 20 weißverschalten Gebäuden aus Glas, aus Beton. Zwischen dem Campus, der noch ein wenig anmutet, als sei hier die Zukunft mit einem Raumschiff gelandet, und der Innenstadt klafft noch eine Lücke: Parkplätze, Brachland, ein Gartencenter, ein Baumarkt, ein gerade fertiggestelltes Studentenwohnheim.
Aus der Region und aus der Welt
Quirlig und geprägt durch junge Leute wie andere Studentenstädte, mit Kneipen und Cafés, in denen es rockt und swingt, ist Kleve bisher nicht. Auch muss die junge Hochschule eine fachliche Reputation erst noch erwerben. Warum, also, machen sich junge Menschen auf den Weg, um hier zu studieren?
Bei näherem Hinsehen hat sich die Hälfte der Studenten nicht auf den Weg gemacht, sie stammen aus der Region, aus den Kreisen Kleve und Wesel. Viele wohnen noch bei den Eltern, „auch aus finanziellen Gründen“, so die Präsidentin. „Ein Viertel kommt aus dem Bundesgebiet, alle Länder, alle Stadtstaaten sind vertreten. 27 Prozent sind aus dem Ausland.“ Davon sind viele von weither gereist: Bangladesch führt diese Liste an, Indien, China, Simbabwe, Kamerun, Nigeria, Russland, Brasilien, USA. „Die Hochschule steht, was die Internationalität betrifft, an der Spitze in Nordrhein-Westfalen.“
„International, innovativ, interdisziplinär“ sind die Schlagworte, mit denen Rhein-Waal für sich wirbt, für die Fakultäten: „Technology & Bionik, Life Sciences, Society & Economics, Communication & Environment“. Die angebotenen Studiengänge müssen „sexy klingen“, sagt Klotz, die von Haus aus Chemikerin und Bekleidungstechnikerin ist, „sonst kommt keiner“. Und nicht „sortenrein“, also nicht Maschinenbau oder Informatik pur. „Unsere Curricula sind an tradierten Hochschulen nicht zu finden“. Heutzutage müssten Absolventen in Projekten arbeiten, internationale Teams führen, interkulturelle Kompetenz haben. Ein Maschinenbauer müsse hier auch Kreativität und Konflikt studieren.
Drei Viertel des Lehrangebots sind in Englisch. Das bereite die Studenten auf die globale Wirtschaft vor, auf die Märkte von Morgen, meint Frau Klotz. „Weil aufgrund der demografischen Entwicklung der Fachkräftemangel in der Region, in Deutschland, zunimmt, wollen wir ausländische Studenten so qualifizieren, dass hiesige Arbeitgeber sie akzeptieren. Und wir brauchen Fachkräfte in anderen Ländern. Da sind unsere Märkte.“ Aus „ethischen Gründen“ sieht Klotz ein Studium als „eine Form von Entwicklungshilfe“.
Regelmäßig reist sie in die Ferne zum Kontakteknüpfen. Gezielte Kooperationen mit Hochschulen seien notwendig, „um sich dort einen Namen zu machen“. Durch die tragende Säule Englisch kann Rhein-Waal mühelos global operieren. „Wenn in Deutschland die Zahl der Studenten zurückgehen wird, haben wir die Möglichkeit, unsere Hörsäle mit qualifizierten ausländischen Studenten zu füllen, die für den deutschen oder europäischen Arbeitsmarkt interessant sein können.“
„Etwas mitnehmen in mein Land“
Interessant für den Bangladescher Mohamed Rafiuzzaman, ich soll ihn Rafi nennen, ist vor allem, „dass Deutschland das beste Land ist, um Technologie zu studieren“, berichtet der 22-jährige Student. Er studiert seit einem Monat Mechanical Engineering, Maschinenbau, er will hier seine Bachelor machen. Solide Erfahrungen mit dem Gastland hat er bereits nach acht Monaten Frankfurt. „Ich werde auf sehr hohem Niveau ausgebildet“, sagt der Mann aus Dhaka, der Megacity mit den sechs Millionen Bewohnern. „Ich werde etwas mitnehmen in mein Land, das Bangladesch und mir weiterhelfen wird.“
Englisch im Lehrbetrieb gab den Ausschlag für Kleve, verknüpft mit der Tatsache, dass er in Deutschland keine Studiengebühren zahlen muss. In den USA sind schnell mal 30.000 bis 40.000 Dollar pro Jahr an Studiengebühren fällig.
Rafi, er spricht ein wenig Deutsch und wohnt derzeit mit einem Kommilitonen aus Bangladesch in Emmerich, ist sehr gut zu sprechen auf die junge Hochschule. „Der Unterricht ist gut, ist praktisch orientiert.“ Den interdisziplinären Ansatz, vor allem Konfliktmanagement, findet er „fantastisch. Ich lerne Probleme anders einzuschätzen, flexibler handeln.“ Das Gelernte und die Erfahrungen mit Deutschland teilt er tagtäglich vor allem mit seiner Familie, mit Freunden in Dhaka, dank Skype.
„Diese kleine Stadt eröffnet mir große Chancen“, urteilt Rafi, insbesondere durch die Ruhe, die Strukturiertheit, könne er sich ganz aufs Studium konzentrieren. Er findet Deutschland „cool“, er meint damit nicht nur die Temperaturen. Später einen Job suchen möchte er nicht. „Mit dem erworbenen Wissen werde ich für mein Land viel effizienter und wertvoller sein können als in Deutschland.“ Vorbilder fürs Gelingen hat er bereits. Angehörige seiner Familie haben im Ausland studiert und sind nun erfolgreiche Unternehmer in Bangladesch.
„Kleve ist mir zu Klein“
Nach einem kurzen Studium in den Niederlanden – „ich kam mit der Kultur nicht zurecht“ – ist Hervé-Faustino Selegâ nach Kleve gewechselt. Hier werden Studenten intensiver betreut. Auch spart er Studiengebühren von 3.500 Euro jährlich, die Semestergebühr beträgt in Kleve nur 228 Euro. Der Angolaner, Sohn eines Professors, ist Kriegsflüchtling. Er zieht es vor, in Düsseldorf zu wohnen, „Kleve ist mir zu klein“, er pendelt, um International Business, Betriebswirtschaftslehre, zu studieren. Der 24-Jährige hatte überlegt, nach Luanda zurückzukehren.
Aber: „Deutschland ist ein starkes Land. Ein deutscher Abschluss ist ein anderer Ausweis als ein angolanischer“, sagt er. Dass der Campus vielfarbig ist, präge die Atmosphäre positiv. Auffällig ist aber auch, in der Mensa und bei einem ausgedehnten Streifzug über den Campus, dass sich Landsleute zueinander gesellen. „Wer kein Deutsch kann, begreift diese Kultur nicht“, sagt Selegâ, der ausgezeichnet Deutsch spricht.
Gut die Hälfte der ausländischen Kommilitonen lerne auch Deutsch. Kostenlos, im Sprachzentrum. Viele kämen mit dem Ziel, hier nur zu studieren, hat er beobachtet, einmal vor Ort, sehe so mancher doch eine Perspektive in Deutschland. Ob Deutschland nachhaltig „cool“ sein wird für die ausländischen Absolventen und die Stadt durch das Raumschiff Hochschule an Esprit gewinnen wird, steht in den Sternen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn