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Kommentar EU-Hilfe NordafrikaDie letzte Chance

Mirco Keilberth
Kommentar von Mirco Keilberth

Was tun in Nordafrika? Die EU sollte schleunigst der in die Defensive geratenen afrikanischen Zivilgesellschaft mit mehr Experten und Geld helfen.

Entwicklung sieht anders aus: französische Soldaten in Mali. Bild: reuters

D er Überfall der Islamisten in Algerien und der Krieg in Mali sind ein dramatischer Wendepunkt für die politische Landschaft ganz Nordafrikas. Und der letzte Weckruf für Europa, seine Nachbarn südlich des Mittelmeers intensiv zu unterstützen.

Zuvor fand die Auseinandersetzung mit den extremistischen Gruppierungen der Sahara im Verborgenen statt. Täglich ist das Brummen der amerikanischen Aufklärungsdrohnen über der libyschen, algerischen und malischen Wüste zu hören. Die Überwachung kostet Unsummen und hat nicht viel gebracht.

Die mutig für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpfende Zivilgesellschaft am Boden dagegen wird noch immer mit ein paar Workshops und Konferenzen abgespeist. Aus Geldmangel und Mangel an Erfahrung mussten viele liberale Medien und Nichtregierungsorganisationen ihre Arbeit in den letzten Monaten einstellen.

Der nach dem Arabischen Frühling ausbleibende Flüchtlingsstrom nahm europäischen Politikern den Handlungsdruck. Die EU kann sich zu keiner einheitlichen Politik durchringen. Die Regierung in Paris konzentrierte sich lieber darauf, ihre militärische Hilfe für die libysche Revolution in Verträge für französische Firmen umzumünzen. Und die US-Regierung setzt nach dem Mord an ihrem libyschen Botschafter auf ihr Militär, das aber gegen in die Städte zurückgezogene Islamisten nichts machen kann.

MIRCO KEILBERTH

ist Autor der taz.

Unmengen von Waffen

Die islamistischen Gruppen hatten so alle Zeit, sich in Ruhe auf die Ausweitung ihres Einflussgebiets vorzubereiten. Aus der ganzen Welt strömen Extremisten in die gesetzlosen Gebiete Libyens und Malis, Unmengen von Waffen aus dem Arsenal von Gaddafis früherer Armee stehen bereit. Diese bedrohen zunächst die Werte und Vertreter von Freiheit und Demokratie in Nordafrika. Und jetzt Europa direkt.

Wie es auch geht, zeigte die Schweizer Regierung, die kurz entschlossen zwischen den Quasistaat Azawad in Nordmali und der Regierung in Malis Hauptstadt Bamako vermittelte und die moderaten Kräfte der Tuareg einband. Nach Angaben des Schweizer Staatssekretärs Yves Rossier standen die Verhandlungen zwischen der laizistischen Tuareg-Gruppierung MNLA und der Regierung Malis im Dezember kurz vor einer Lösung. Am Tag der geplanten Vertragsunterzeichnung griff die islamistische Tuareg-Gruppierung Ansar Dine den Süden Malis an. Die Verhandlungen gefährdeten ihre Machtposition.

Ansar Dine und die anderen islamistischen Gruppen wissen, dass sie der Bevölkerung außer einer mittelalterlichen Form der Scharia nicht viel zu bieten haben. Bürgerinitiativen und Regierungen, die sich um Transparenz, Minderheitenrechte und Jobs kümmern, sind ihr größter Feind. Die Tuareg-Bewegung MLNA in Mali und die Bürgerinitiativen in Bengasi haben zwar keine militärische Macht, aber sie haben das, was im Kampf gegen die islamistischen Terroristen viel entscheidender ist: eine Vision für die Zukunft.

Immer nordwärts

Europa hat bis jetzt im Saharakrisenmanagement kläglich versagt, obwohl die Bevölkerungsmehrheit der dortigen Staaten nach Europa schaut. NGOs wie „Transparency Libya“ orientieren sich an Aktivisten in Paris, London und Berlin, nicht an den Herrschern in Riad und Doha.

Brüssel sollte schleunigst mit mehr Experten und Geld der in die Defensive geratenen Zivilgesellschaft helfen. Schnelle Wirtschaftshilfe für die Maghreb- und Saharastaaten müsste dabei mit Anforderungen für Minderheitenrechte und Rechtsstandards verknüpft werden.

Stattdessen werden libysche Offiziere derzeit in Katar und bald in Saudi-Arabien ausgebildet. Deren Herrscherhäuser nutzen die Unterstützung, um ihre wahabitischen Weltanschauung in der moderaten muslimischen Welt Nordafrikas zu verbreiten. Ihre Waffenlieferungen an religiöse Milizen während der Revolution sind Mitursache für die jetzige Lage.

Die weitere Entwicklung des Saharakonflikts ist vorhersehbar. Viele der rund 3.000 islamistischen Kämpfer werden wieder nordwärts ziehen, in die kaum kontrollierte Sahararegion Libyens. Erst ab dem Sommer will die EU der libyschen Regierung bei der Kontrolle der Grenzen helfen. Hilfe beim Aufbau neuer Strukturen für Aktivisten und die Regierung ist aber jetzt nötig. Jetzt oder nie.

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Mirco Keilberth
Auslandskorrespondent Tunis
Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.
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4 Kommentare

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  • D
    D.J.

    @Jochen Faber,

     

    immer wieder die gleiche Mär, dass die von den Kolonialherren am Reißbrett gezogenen Grenzen Grund für das meiste Übel in Afríka seien. Auch vor der Kolonialzeit gab es im subsaharischen Afrika teils große Reiche. Wissen Sie, wie deren Grenzen gezogen worden sind? Großteils durch Krieg und damit verbundene Versklavung von Afrikanern untereinander. Afrika hat ca. 500 Sprachen, vielleicht auch 1000, je nachdem was man nur als Dialekt zählt. Für jede einen Staat? Die schon in Europa mörderische Idee des reinen Nationalstaats lässt sich gewiss nicht auf Afrika übertragen. Und wo sollte überhaupt ein Staat z.B. für die Tuareg enden? Das sind Nomaden, deren Gebiet sich mit dem sesshafter Völker überlappt. Entscheidend ist v.a. die Durchlässigkeit der Grenzen für Nomaden und - heute in Südafrika vorbildlich gelöst - gleiche Rechte für alle Sprachgruppen.

  • F
    Frank

    Natürlich, das Zentralorgan der versammelten Staatsfinanzierten fordert mehr Geld für seine Klientel...

     

    Ich war und bin ziemlich oft in der Region und etwas südlicher beruflich unterwegs. Nach meiner Einschätzung fällt 80% dessen, was sich dort Entwicklungshilfe nennt unter "gut gemeint ist schlecht gemacht". Die allermeisten Anstrengungen versanden sofort wieder in einem Gestrüpp aus Korruption und lokaler Motivation.

     

    Wenn dort wirklich was passieren soll, dann müsste die typische Entwicklungshilfeklientel ihre Energie darauf verwenden, die korrupten und kriminellen Regimes anzuprangern. Da das denen aber wesensfremd ist und die edlen wilden ja durch den bösen satan usa ferngesteuert werden, wird das wohl unterbleiben.

     

    Und so bleibt es wie immer dabei: schön viel knete für den eigenen lebensentwurf einfordern, sich nebenbei noch als edler helfer und toller abenteurer fühlen können und eigentlich nicht richtig verbessern...

     

    Wäre mal gespannt, wieviel unterstützung der vorschlag bekommen würde, die entwicklungshilfemilliarden eigentlich direkt an die armen auszuzahlen und nicht die abenteuerlust von bürgerkinderabiturienten zu finanzieren..

  • E
    Experte

    Es stimmt, die EU muss so schnell wie möglich Experten zur Aufbauhilfe entsenden!

     

    Idealerweise handelt es sich dabei um gut ausgebildete Fachkräfte mit mindestens sehr guten Arabischkenntnissen und einer Affinität für die Kultur vor Ort sowie der Bereitschaft, sich dort für viele Jahre zu engagieren. Diese Menschen wären eine echte Bereicherung für Nordafrika - statt dessen fördern wir den Brain Drain, und die TAZ unterstützt dies meist auch noch!

  • JF
    Jochen Faber

    Bitteschön - gibt es irgendwo auf dem großen Kontinent Afrika eine ernst zu nehmende Initiative, die sich mit dem Thema "sinnvolle Ländergrenzen" beschäftigt? Es ist doch - und der hier beschriebene Konflikt ist immerhin zu Teilen ein Beleg dafür - unfasslich, wie Lebensräume von eigentlich zusammengehörenden großen Menschengruppen durch die alten Kolonialgrenzen geteilt werden. Ich sehe zwar Gründe, warum Interessengruppen an diesen Grenzen festhalten, fände es aber logisch, wenn es dagegen Bewegung gäbe. Weil ich mich zu wenig auskenne, an dieser Stelle die Frage: Gibt es eine solche? U.A. w.g. - von wem auch immer...