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Kommentar Obama in JerusalemPalästinenser werden uninteressant

Silke Mertins
Kommentar von Silke Mertins

Eine dritte Intifada ist durchaus möglich. Die Marginalisierung der Palästinenser ist gefährlich. Obama und Netanjahu unterschätzen das Problem.

U S-Präsident Barack Obamas Bemerkung, es sei „schön, mal vom Kongress wegzukommen“, mag eine scherzhafte Stichelei gewesen sein, gerichtet an das heimische Publikum. Und anders als bei seinen Problemen mit dem Abgeordnetenhaus in Washington, erwartet auch niemand, dass der so oft als Messias gefeierte Obama den Nahostkonflikt in naher Zukunft löst. Doch das Sätzlein zeigt, wie wenig dringlich den Amerikanern der Nahostkonflikt inzwischen erscheint.

Noch nie hat es einen Präsidentenbesuch aus den USA gegeben, bei dem der Frieden zwischen Israelis und Palästinensern eine so geringe Rolle gespielt hat. Fast schon pflichtschuldig gingen am Mittwoch Obama, Netanjahu und Peres auf das Thema Nahostfrieden ein. Alles überragend waren der Bürgerkrieg in Syrien, bei dem nun womöglich chemische Waffen eingesetzt wurden, die Krise um Irans Atomprogramm, die wahrscheinlich noch in diesem Jahr eskalieren wird sowie die Instabilität der gesamten Region durch den arabischen Frühling und seine Folgen.

Man kann es den Palästinensern nicht verdenken, dass sie sich an den Rand gedrängt fühlen. Sie sind tatsächlich marginalisiert. Die traurige Wahrheit ist, dass immer dann, wenn von palästinensischer Seite keine oder kaum Gewalt ausgeht, die Lösung des Konflikts seine Dringlichkeit verliert. Der klassische Nahostkonflikt ist angesichts der Brutalität, der Zahl der Toten und der immensen Probleme in den Nachbarländern geschrumpft. Die New York Times schrieb sogar schon, der Nahostkonflikt sei von einer Notwendigkeit zu einem Hobby der US-Regierung geworden.

Silke Mertins

ist Autorin der taz.

Israelis und Palästinenser haben sich in der Vergangenheit tatsächlich oft für den Mittelpunkt der Welt gehalten – als könnte kein aktuelles Problem wichtiger sein als das eigene und kein Leid größer als das eigene. Denn jeder hat sie so behandelt. Für beide Seiten ist es eine bittere Erfahrung, nun nicht mehr auf der Prioritätenliste ganz oben zu stehen und sich womöglich nicht mehr darauf verlassen zu können, dass andere immer bereit stehen mit Friedensinitiativen und Shuttle-Diplomatie.

Die Marginalisierung ist aber auch falsch und kurzsichtig. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass Phasen relativer Ruhe immer von Gewalt und Aufständen abgelöst wurden. Und angesichts des Aufruhrs in der Region ist eine neue Intifada der Palästinenser das Letzte, was der Nahe Osten jetzt noch brauchen könnte.

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Silke Mertins
Redakteurin Meinung
Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik
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7 Kommentare

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  • U
    Ute

    Gewalt wird in der Regel von Israel gewählt, um von den Problemen abzulenken.

     

    Dies hat man im Vorfeld der Palästinenseranträge vor der UN sowohl in der Variante Sicherheitsrat, als auch Vollversammlung gesehen.

    Dort aber können die Palästinenser ihre Sache zur Sprache bringen und heute mehr denn je mit Wohlwollen rechnen.

     

    Dies würde Obama, wie auch Netanjahus Regierung Probleme machen und es verhindern, die Palästinenser aus dem Blick der Weltöffentlichkeit zu nehmen.

    Dies ist also möglich, trotz Bürgerkrieg und Großmachtgehrangel in Syrien, Konflikten in Ägypten etc.

  • H
    hubert

    "Die traurige Wahrheit ist, dass immer dann, wenn von palästinensischer Seite keine oder kaum Gewalt ausgeht, die Lösung des Konflikts seine Dringlichkeit verliert"

     

    An der Stelle wurde mir richtig schlecht. Die traurige Wahrheit, dass mit der Hamas nur dann Frieden zu machen ist, wenn Israel vernichtet ist, findet leider keinen Platz in den Gedankengängen der Autorin.

  • H
    Harald

    Aah jah - mit wohligem Gruseln ist es wieder zu vernehmen, das hoffnungsvolle Geraune um "eine neue Intifada".

     

    Da kann der deutsche Israelkritiker dann an der Heimatfront tapfer mitkämpfen. Wobei die Palis sicher sein können, die uneingeschränkte Solidarität der Weltgemeinschaft hinter ihren Forderungen zu wissen.

     

    Sozusagen als Auftaktveranstaltung für Europa. Frei nach dem Motto: First we take Jerusalem - then we take Berlin.

     

    Das Problem bei der schon seit längerem herbeigeschriebenen 'Gefahr' einer dritten Intifada ist, daß diese einfach nicht so richtig ausbrechen mag. Obwohl Palästinenser als einzige Gruppe im Nahen- und Mittleren Osten nicht arbeiten müssen, um einen reich gedeckten Tisch vorzufinden, hat man sich vielleicht gerade deshalb an das Dolce Vita gewöhnt.

     

    Alles wird kostenfrei und frei Haus geliefert. Israel bestellt die gesamte Versorgungslogistik und die Infrastruktur. Bezahlt wird, gerne auch doppelt, von den USA und der EU.

     

    Da könnte so eine Folklore-Veranstaltung nicht den gewünschten Effekt haben und womöglich zu Engpässen führen. Daran ist zu erkennen, welcher entsetzlichen, menschenrechtsverletzenden Gewalt und Unterdrückung die Palästinenser in ihrem Freiheitskampf ausgesetzt sind.

  • A
    Ant-iPod

    @Stimme:

     

    Wieviele Menschen man mit Arafat's angeblichem Vermögen mit Wasser hätte versorgen können? Keinen - denn die Israelis bestimmen die Wasserzuteilung und sie interessieren sich nicht für dieses Geld, sondern priorisieren die Interessen der israelischen Bürger und Wirtschaft.

     

    Sie haben allerdings Recht, dass die Israel-Problematik wahrlich nicht das einzige Problem in der Arabischen Welt ist. Das sich Muslime noch immer für Dumm verkaufen lassen und sich Schiiten und Sunniten gegeneinander hetzen lassen, ist ein erschreckendes Zeichen von Verweigerung in der Kulturentwicklung, das wahrlich nichts mit Israel zu tun hat.

    Genauso wenig hat übrigens Anti-Judaismus mit Anti-Zionismus zu tun... aber das nur am Rande... weil das immer wieder einige Leute zusammenwerfen, um die Opferrolle und die angeblich existenzbedrohliche Situation des Judentums zu beschreiben, welche es nun mal nicht gibt. Im Gegenteil investiert bsw. Deutschland Milliarden in die Errichtung "jüdischen" Lebens in Deutschland und der Zentralrat der Juden in Deutschland hat eine zu seiner Mitgliederzahl in keinem Verhältnis stehende, politische Bedeutung - eben weil es ein besonderes Verständnis zum Schutze der jüdischen Religionsgemeinschaft gibt...

     

    Ich bin froh darüber, dass die arabischen Gesellschaften sich langsam demokratisieren, damit Israel nicht mehr als Ausrede der Diktatoren herhalten kann, warum es der Bevölkerung so schlecht ergeht. Das wird auch den Dialog mit Israel versachlichen.

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Ist es nicht eher so, dass jede Friedensgeste der Israelis mit blutiger Gewalt beantwortet wurde?

    Aber die Krone des Artikels ist der Anspruch auf den "klassischen Nahostkonflikt". Der hat bitteschön mit den Israelis zu tun zu haben. Die klassische Grundsituation im arabischen Raum allgemein ist, dass sich die Barbaren gegenseitig die Köpfe einschlagen, es sei denn sie werden entweder von Diktatoren daran gehindert oder durch einen gemeinsamen Kampf gegegn die Juden abgelenkt.

    Die Palästinenser sind in der Tat mit Aufmerksamkeit verwöhnt. Ihr Kampf gegen die Existenz Israels und gegen die Juden hat viel sympathierende Aufmerksamkeit erhalten. Massenmorde und echte Probleme sind da schonmal in die Bedeutungslosigkeit abgedriftet. Da schmerzt es sicher, wenn diese einträgliche Aufmerksamkeit verloren geht. "Widerstand" ist nicht zuletzt auch ein Geschäftsmodell, wie die über 1.000.000.000 US-Dollar auf Arafats Privat-Konto gezeigt haben. Wieviele Menschen hätte man allein mit diesem Geld auf Dauer mit sauberem Trinkwasser versorgen können!

  • A
    Ant-iPod

    Was war das schön, dass ein US-Präsident sich dem Israel-Konflikt nicht erst als Lame-Duck, sondern gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit annahm... dachte ich damals.

    Eine ermutigende Rede in Kairo, die klare Absicht, die Kriegserklärung an "den Islam" zurückzunehmen und ein Kooperatives Zeitalter einzuläuten.... und daraus wurde: Nichts!

     

    Gut... ist ja auch ein kompliziertes Problem... aber mittlerweile sehe ich nicht einmal mehr Ideen, wie man etwas verbessern kann. Derweil bauen Israelis Siedlungen und reiche Golfmonarchien investieren Millionen in Palästina. Das Leben geht für die Menschen weiter... auch ohne Lösung... von Zeit zu Zeit Repression, beantwortet mit ein paar Kassam... aber anscheinend haben sich alle irgendwie eingerichtet.

     

    Europa und die USA hinken immer noch der Illusion nach, es könne eine Zwei-Staaten-Lösung geben, anstatt endlich die Fakten anzuerkennen. Die Einstaatenlösung ist die einzig denkbare und nun kann es nur noch darum gehen, wie diese ausgestaltet wird. Wie können die demographischen Ängste der Israelis berücksichtigt und die demokratischen Rechte aller Palästinenser gewahrt werden?

    Hierzu könnten die "alten" Demokratien eigentlich viel einbringen... stattdessen herrscht das vergnügliche "Wegsehen".

     

    Diese - unsere - Politik verstößt gegen die Grundsätze unserer Verfassung und züchtet Gegenwehr in Form von bsw. Terrorismus.

    Das ist eigentlich nicht so schwer zu begreifen... dennoch machen wir einfach weiter - das wiederum ist schwer zu begreifen.

  • J
    Johnny

    Da schwingt viel Sorge mit bei der Autorin.

    Leider ist es ja so, dass die Israelis nicht mehr direkt die Gebiete besetzt halten, d.h. ein Aufstand der Palästinenser würde erstmal nur ihre eigenen "Regierungen" treffen. Durch die Mauern und Zäune haben sich die Israelis abgeschottet, Iron Dome fängt auch die Raketen ab.

    Da wird es in der Tat schwer, die Wut über Korruption der eigenen Führer und mangelnde Subventionen durch die UN an den Israelis auszulassen. Und das macht der Autorin offenbar zu schaffen, dass Israel in Frieden leben könnte.