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Trittin und die Pädophilie-DebatteKritik und Lob für Umgang mit Thema

Die grüne Spitzenkandidatin Göring-Eckardt soll sich in die Aufklärung der Pädophilie-Thematik einschalten, fordern Unionsfrauen. Andere loben das grüne Vorgehen.

Katrin Göring-Eckardt soll sich mehr in die Pädophilie-Debatte einmischen, fodern Unionsfrauen in einem Brief. Bild: reuters

BERLIN dpa | Angesichts der Vorwürfe in der Pädophilie-Debatte stehen die Grünen im Wahlkampf weiterhin massiv unter Druck. In einem Brief, der der Leipziger Volkszeitung vorlag, fordern Unions-Politikerinnen die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt auf, sich aktiv in die Aufklärung der „Pädophilie-Verstrickungen“ ihres Kollegen Jürgen Trittin einzuschalten.

„Als Mutter zweier Söhne dürfen Sie zu sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen nicht schweigen“, heißt es in dem Schreiben. Ferner fordert die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Dorothee Bär, zusammen mit sechs Frauen aus dem Junge-Union-Bundesvorstand Göring-Eckardt auf, „einen übergreifenden Konsens für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Pädophilie“ zu erarbeiten.

Wie nur wenige Tage vor der Wahl bekanntgeworden war, zeichnete Trittin 1981 für ein Kommunalwahlprogramm verantwortlich, in dem Straffreiheit für gewaltfreie sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern gefordert wurde. Das schrieben die Politologen Franz Walter und Stefan Klecha in einem Beitrag für die taz.die tageszeitung. Trittin räumte dies als Fehler ein.

Der unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, bescheinigte den Grünen indes, mit der unabhängigen Aufarbeitung ihrer Gründungszeit die richtige Entscheidung getroffen zu haben. „Auch schmerzhafte Ergebnisse werden veröffentlicht, das ist genau der richtige Weg“, sagte Rörig dem Tagesspiegel. Zu Rücktrittsforderungen an Trittin sagte er, es müsse „in Ruhe und losgelöst vom Wahlkampf und von populistischen Forderungen entschieden werden, wie man auf die Opfer angemessen und sensibel zugeht“.

Böll-Stiftungs-Chef: „Haben nicht genügend hingeschaut“

Ralf Fücks von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung sagte am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“: „Wir haben das lange verdrängt, aber programmatisch reinen Tisch gemacht.“ Der frühere Grünen-Vorsitzende räumte ein: „Wir haben nicht genügend hingeschaut. (...) Wir hätten damals das Jugendamt und die Staatsanwaltschaft rufen sollen.“ Laut Fücks gab es in der Partei „eine falsche Scheu, mit Entschiedenheit gegen diese Gruppen vorzugehen“. Die Rücktrittsforderung an Trittin sei allerdings „überzogen – es gibt Unterschiede zwischen Straftaten und politischen Fehlern“.

Grünen-Wahlkampfmanagerin Steffi Lemke sagte am Dienstag im Deutschlandfunk: „Wir haben unsere Verantwortung eingeräumt, unseren Fehler eingestanden und uns entschuldigt.“ Zu Trittin meinte sie: „Wir sind in einer extrem schwierigen Situation, wo er als Spitzenkandidat jetzt auch in einem Sturm steht, den wir selber zu verantworten haben.“ Gleichwohl sei Trittin „ein guter Spitzenkandidat, weil er die Partei in vielen Fragen gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt durch schwieriges Fahrwasser gesteuert hat“.

Kauder: Grüne verspielen moralische Ansprüche

Unionsfraktionschef Volker Kauder forderte die Grünen auf, einen Beauftragten für die Angelegenheiten von Missbrauchsopfern zu ernennen. „Die Grünen sind dabei, ihre moralischen Ansprüche, die sie jahrelang als Maßstab ihrer Politik geltend gemacht haben, zu verspielen“, sagte er der Zeitung Die Welt. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, verlangte von Trittin den Rückzug von der Spitzenkandidatur. Ginge es um den politischen Gegner, wäre Trittin „einer der ersten, die sich entrüstet und einen Rücktritt gefordert hätten“, sagte sie der Rheinischen Post.

Der Mitautor der Pädophilie-Studie, Klecha, unterstellte den Grünen ein unterentwickeltes Bewusstsein für die eigene Geschichte. Dass die Studie überhaupt in Auftrag gegeben wurde, sei zwar gut, sagte der Politologe der Passauer Neuen Presse. „Aber grundsätzlich gilt: Man erinnert sich so schlecht an das, was gewesen ist, besser gesagt: Man erinnert sich nicht gerne. Die Vorgänge sind jedoch noch nicht solange her.“

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7 Kommentare

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  • M
    Myope

    DIE dpa-Tickermeldung in die taz-Kampagnen-Zeitung einzukleben, ist derzeit wohl mehr als überflüssig – unabhängig des vermeintlich tagesaktuellen Bullshits, aus dem jene vorgibt zu resultieren – DAS können die taz-KollegInnen erwiesenermaßen besser!

  • A
    Arne

    Was für ein Unsinn!

    Füchs war zu der Zeit, als die Pädos ihre Forderungen bei den Grünen einbrachte, noch beim KBW und entschied sich erst später, die Grünen zu einer bürgerlichen Partei zu machen. Lemke war damals in der DDR selber noch in dem Alter, dass sie eher Opfer als Täter hätte sein können.

    Ja, Ihr Realos, das kommt davon, wenn man den Markennamen einer Partei, die mal was ändern wollte, klaut bzw. diese feindlich übernimmt. Man muss auch mit deren Vergangenheit leben als es noch eine diskussionsoffene Partei war. Ihr werdet es nicht glauben, aber die Grünen waren damals sogar gegen Krieg und für einen Sozialstaat. Sie hatten Rotation, damit sich solche Profipolitiker nicht heruasbilden konnten, die jetzt hoffentlich darüber endlich fallen. Sie hatten Ideale, evtl. auch manchmal die falschen, aber sie hatten sowas.

    Da muss wirklich mal die Geschichte aufgearbeitet werden, wie Typen wie Ihr in so eine Partei gekommen seid, die ein Ziele, Träume und Ideale eben hatte.

    • I
      irmi
      @Arne:

      Mag sein, das die damals Ideale hatten, die Welt besser machen wollten. Wie die sich damals im Bundestag aufführten, wie die sich zeigten, war nur respektlos und primitiv.

       

      Aber heute sind sie wie die anderen Politiker, es geht um Posten, gut verdienen und sie tragen auch Anzug und Krawatten.

       

      Gibt es da noch einen Unterschied ??????????

       

      Wenn sie so sozial wären müssten sie nicht nur auf grüne Wiesen achten, sondern auch das es den Menschen gut geht. Das haben sie aus den Augen verloren. Ach ja und Multi Kulti ist bis zu einem gewissen Grad ganz nett, inzwischen aber zu viel.

      • @irmi:

        Also mit Turnschuhen waren sie respektlos und primitiv und heute mit Anzug und Krawatte sind sie wie alle anderen.

         

        Welches Schweinderl hättest denn gerne?

  • Es ist allerdings immer noch Paedokriminalitat, es ist von Zugriffsanspruch auf die Entwicklung eines jungen Menschen gepraegt, es hat mit Konsens und Gewaltfreiheit NICHTS zu tun, der Begriff Paedo"philie" ist verdummend. Alle, die sexuelle Uebergriffe an Kindern ausfuehren, verwechseln absichtlich ausprobierendes Verhalten von Kindern mit den eigenen Anspruechen, besonders zu sehen bei Bornemann, Cohn-Bendit und den Lehrern derkatholischen und reformpaedagogischen Internate.

    • @aujau:

      "Pädosexualität" scheint der gedanklich sauberste Begriff zu sein.

       

      "Kriminalität" ist ja bekanntlich in erster Linie, was der jeweilige Gesetzgeber unter Strafe stellt, und das ist ja nun nicht alleine Sex mit Kindern, sondern z.B. auch deren Verprügeln. Das wäre dann auch eine Art von "Pädo-Kriminalität".

  • WN
    Willi Nemski

    "Die Vorgänge sind noch nicht so lange her".

    Uff! Das versthe ich nicht. Ich bin jetzt 50, und 1981 ist so lange her, da hatte ich noch nicht mal Abitur. Das ist ein halbes Menschenleben … ich finde, das ist ganz schön lang her!