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Die Strategien von Greenpeace„Einfache Symboliken sind überholt“

Greenpeace hat die Umwelt im Blick. Soziale und gesellschaftliche Aspekte werden ignoriert, kritisiert der Politologe Achim Brunnengräber.

Die russische Küstenwache bringt die „Arctic Sunrise“ auf. Bild: ap
Interview von Stefan Weiss

sonntaz: Herr Brunnengräber, Sie befassen sich wissenschaftlich mit NGOs und deren Rolle in der internationalen Politik. Auch mit den PR-Profis von Greenpeace. Machen die gerade wieder alles richtig?

Achim Brunnengräber: Greenpeace ist natürlich schlagkräftig und kann durch sein professionelles Vorgehen viel Medienöffentlichkeit herstellen. Kritisch zu fragen wäre, ob es noch zeitgemäß ist, sich so stark auf die Umwelt zu versteifen, ohne soziale und gesellschaftliche Aspekte mitzudenken. Man sollte erkennen, dass wir es mit multiplen Krisenerscheinungen zu tun haben und die ökologische Dimension nicht von der sozialen und gesellschaftlichen getrennt werden kann.

Das hieße im konkreten Fall?

Dass hier strategisch mehr möglich wäre. Soziale Fragen in Murmansk, etwa wie viele Menschen ihren Lebensunterhalt im Energiesektor bestreiten und überhaupt von diesen Bohrungen abhängig sind, werden von Greenpeace nicht einbezogen. Die andere Sache ist, dass in Russland 2012 ein neues NGO-Gesetz erlassen wurde, wodurch viele NGOs quasi als ausländische Agenten angesehen werden. Seitdem sind Tendenzen erkennbar, dass es in Richtung Repression geht. Der Verdacht liegt nahe, dass jetzt ein Exempel statuiert werden soll. Das verweist auf das schwierige demokratische Moment für NGOs in Russland. Thematisiert wird das aber nicht.

Greenpeace spricht jetzt – wohl angelehnt an ähnlich klingende Hollywoodfilme – von den „Arctic 30“.

Im Interview: Achim Brunnengräber

50, ist Politik- und Sozialwissenschafter an der FU Berlin und forscht zu sozialen Bewegungen, Klimapolitik und Global Governance. Er ist Projektleiter am Forschungszentrum für Umweltpolitik. Von ihm ist 2009 „Die politische Ökonomie des Klimawandels“ erschienen.

Wenn ich mir die aktuelle Berichterstattung über die Situation der Inhaftierten ansehe, dann geht es hier vor allem um Haftbedingungen und ob die Suppe gut schmeckt. Aber die Missachtung der Menschenrechte und der demokratisch desolate Zustand Russlands werden damit nicht verbunden.

Sind die Kampagnen zu populistisch?

In gewisser Weise steckt in den Kampagnen immer ein Moment der Zuspitzung. Nur habe ich den Eindruck, dass Greenpeace auf eine zweite „Brent Spar“ wartet, einen Öltank, der 1995 erfolgreich besetzt wurde und dessen geplante Versenkung im Meer damit verhindert werden konnte. Das Medienecho war enorm. Damals funktionierten solche einfachen Symboliken noch. Ich halte das heute für überholt.

Manche Katastrophen, wie die Versenkung der „Rainbow Warrior“ durch den französischen Geheimdienst, haben Greenpeace durchaus auch genützt. Ist das wieder zu erwarten?

taz am wochenende

Wie Greenpeace gegen Russland kämpft. Eine Reportage aus dem Innern des Umweltriesen lesen Sie in der taz.am wochenende vom 26./27. Oktober 2013 . Außerdem: Apple hatte versprochen, die Arbeitsbedingungen in China zu verbessern. Fabrikarbeiter und Arbeitsrechtler berichten, ob sich wirklich etwas getan hat. Und: Der Herbst eines Superstars - ein Portrait von Dirk Nowitzki. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Hier geht es zu unserer Bildergalerie zum Thema.

Das eine ist, dass die Spendeneinnahmen in solchen Situationen in der Regel immer zunehmen und die Bekanntheit von Greenpeace steigt. Andererseits entsteht dadurch eine Verkürzung des Problems, die eigentlichen Inhalte und Ziele der Kampagne werden nicht mehr transportiert. Dazu kommt noch, dass die Menschen in Murmansk auf die aktuelle Aktion von Greenpeace negativ reagieren, weil durch die Erschließung der Arktis für sie Arbeitsplätze geschaffen werden.

Manche NGOs werden wegen ihrer engen Verflechtung mit der Wirtschaft und dem Staat kritisiert.

Vor allem hinsichtlich der Klima- und Energiepolitik kann man beobachten, dass wir eine sehr lange Phase der NGOisierung erlebt haben. Die starke Fokussierung auf Verhandlungen und Kooperation wird vonseiten der großen NGOs oft als alternativlos dargestellt. Dann hat man festgestellt, dass der Prozess nicht weitergeht, dass die marktwirtschaftlichen Instrumente nicht funktionieren. Ab da wurde das Moment der Bewegung wieder stärker in den Mittelpunkt gestellt. Insofern würde ich sagen: Ja, die Multis unter den Nichtregierungsorganisationen haben zu stark auf den Pfad der internationalen Verhandlungen gesetzt und haben die Vielschichtigkeit der Klimaproblematik nicht erkannt. Heute passiert da aber wieder eine gewisse Öffnung.

Also zurück zu den kleinen Bewegungen?

Ich würde sagen, dass wir beides brauchen: sowohl den Versuch der Beeinflussung der internationalen Politik, aber auch die lokalen Energiekämpfe. Klimacamps oder Aktionen gegen Fracking sind ebenso wichtig, weil sie – etwa in der Klimaproblematik – noch einmal gezielt auf die Herausforderungen für jeden Einzelnen hinweisen.

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14 Kommentare

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  • "Greenpeace hat die Umwelt im Blick. Soziale und gesellschaftliche Aspekte werden ignoriert"

     

    Was ist zu erwarten bei einer Organisation die sich um Kulturrassistische Forderungern um den Schutz niedlicher Tiere herum gegründet hat?

  • Brunnengräber hat schon recht: Greenpeace hat sich intellektuell bzw. inhaltlich einfach kaum weiterentwickelt, die analytische Tiefe ist daher zu gering, um dauerhaft etwas verändern zu können.

    Der Punkt mit den Arbeitsplätzen in Murmansk ist symptomatisch und lässt sich auf so gut wie alle Umweltkonflikte übertragen: Wenn wirtschaftliche den ökologischen Interessen entgegenstehen und sich diese über "Arbeitsplätze" ausdrücken, scheitern Umweltaktivisten wie -politiker regelmäßig. Das liegt daran, dass hier Menschen existenziell bedroht würden, würde man ihre umweltschädlichen Aktivitäten unterbinden. Um diesen Konflikt aufzulösen braucht es ein bedingungsloses Grundeinkommen - weltweit.

     

    Aber die Greenpeace-Theoretiker haben noch nicht mal erkannt, dass der Emissionshandel eher zu weniger denn zu mehr Klimaschutz führt.

    Es ist mir zwar unverständlich, aber die Leute wollen bestimmte (Anreiz-)Systeme offenbar gar nicht verstehen (und Greenpeace verfügt durchaus über sehr kompetente Leute, was rein biologische oder/und technische Probleme angeht).

    • @Eric Manneschmidt:

      "Um diesen Konflikt aufzulösen braucht es ein bedingungsloses Grundeinkommen - weltweit." - lol

       

      Und selbst wenn das kommen würde, würden solche explorationen gewollt. Wer will schon vom BGE leben.

       

      PS: Überall wo es sowas wie ein BGE schon gibt, da wird es aus der Rohstoffförderung -in der Regel Kohlenwassestoffe- finanziert.

  • G
    Grimm

    Es gibt keine Mehrzahl von "Symbolik".

  • SD
    Stimme der Demokratie

    In einem Punkt macht Greenpeace eine Ausnahme von seine allgemeinen politischen Zurückhaltung: Für Antisemitismus am Rande ist nebenbei noch Zeit.

    Aber warum sollen die sich da von anderen NGOs unterscheiden?

  • 1
    11

    das ist ja eine komische logik. soll man dann auch aufhören, gewöhnliche kriminelle zu verfolgen, weil die sonst ihren arbeitsplatz zu verlieren drohen?

    • @11:

      Wie arrogant ist es denn die Menschen in Murmansk als kriminelle zu bezeichnen. Wer eine solch arrogante, ja vermutlich antirussisch-rassistische Einstellung hat, und diese Auslebt, der muss sich nicht wundern wenn er am ende in Russischer U-Haft ist.

  • Wenn die Greenpeace-Organisation nur mit Wissenschaftlern wie Herrn Brunnengräber besetzt wäre, würde es wohl zu keinen Aktionen mehr kommen, denn dann würde nur noch darüber diskutiert, ob eine Maßnahme zu indifferenziert und damit nicht mehr zeitgemäß ausgerichtet sein könnte und es finden sich immer Argumente.

    Im konkreten Fall Russland würde mich interessieren, ob das Risiko der Verhaftung vorher geprüft wurde. Irgendwo mutmaßte ein Kommentator, die in Russland verhafteten Akteure seien von Schreibtisch-Greenpeaclern in die Gefahr geschickt worden. Kann man dem Vorwurf nachgehen oder ist Greenpeace eine Non Government Organisation mit verborgenen hierarchischen Strukturen?

    • @Christoph Hillmick:

      Vielleicht würde man aber auch nur ein mal nachdenken bevor man etwas macht um Spendengelder einzusammeln.

  • Also ich halte es für selbstverständlich, dass sich auch NGOs an die lokalen Gesetze halten müssen. Greenpeace hat Hausfriedensbruch begangen und muss sich nun dafür verantworten.

     

    Zudem denke ich, dass die Wirtschaftsfreiheit ebenso wertvoll ist wie der Umweltschutz. Jede Firma, die sich im Rahmen der Gesetze bewegt, hat das Recht auf rechtsstaatlichen Schutz gegen Eindringlinge und Störenfriede. Das muss auch Greenpeace akzeptieren. In diesem Sinne wäre ein Veruteilung der Aktivisten sehr zu begrüssen.

    • @Benz:

      "Zudem denke ich, dass die Wirtschaftsfreiheit ebenso wertvoll ist wie der Umweltschutz."

       

      Das nehme ich Ihnen nach den restl. Zeilen irgendwie nicht ab. Oder glauben Sie an die russ.Sorgsamkeit in Umweltschutzangelegenheiten ?

      • @lions:

        Das ist Russlands AWZ. Sprechen Sie Russland seine AWZ ab? Wollen Sie das Russland zu ihnen in die Wohnung kommt und die Tür zu einem beliebigen Raum zumauert. Sie würden in dem Raum vermutlich auch nur unvernünftiges tun.

         

        Die AWZ ist Eigentum Russlands.

        • @Tim Leuther:

          Hier geht es eben nicht um interne Angelegenheiten Russlands. Die Zeiten sind vorbei! Es geht hier um das Weltklima, die Weltwirtschaft, internationales Recht, eine internationale Crew, eine internationale Organisation und um eines ihrer Schiffe, und, last but not least, um die Arktis, die auch nicht Eigentum Russlands ist.