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Strafe für Zwangsprostituierten-Freier„Grüß Gott, machen Sie das freiwillig?“

Die Große Koalition will Freier bestrafen, die bei Zwangsprostituierten waren. Doch wie sollen die Männer eine Zwangslage erkennen?

„Prostitution ist ein hoch anonymisierter Bereich“: Männer in einem Frankfurter Bordell Bild: dpa

BERLIN taz | Wer Sex kauft von Prostituierten, die unfreiwillig auf den Strich gehen, soll künftig bestraft werden. So wollen das Union und SPD. „Wer Zwangsprostituierte wissentlich und brutal ausbeutet, soll damit rechnen müssen, dass zu Hause die Polizei vor der Tür steht“, sagte die Vize-Chefin der Frauen-Union Annette Widmann-Mauz (CDU) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Mauz führte auf der Seite der Union die Koalitionsverhandlungen in der Arbeitsgruppe Frauen, Familie und Gleichstellung. Manuela Schwesig, die als künftige SPD-Familienministerin gehandelt wird, sagte: „Ich bin auf der Seite der Befürworter solcher Strafen.“ Ziel ist es, die Opfer – meistens Frauen – von Menschenhandel und Zwangsprostitution besser zu schützen. So steht es im Koalitionsvertrag: „Künftig sollen Verurteilungen nicht mehr daran scheitern, dass das Opfer nicht aussagt.“

In Deutschland bekommen Frauen und Mädchen, die bei der Polizei anzeigen, dass sie über Menschenhändler nach Deutschland gekommen und in die Prostitution gedrängt worden sind, kaum Hilfe – weder finanziell noch sozial und psychologisch. Allerdings ist schwer zu sagen, wie viele Betroffene es eigentlich gibt. Es ist nicht einmal bekannt, wie viele Prostituierte hierzulande ihre Dienste anbieten. Es dürften bundesweit zwischen 200.000 und 500.000 sein.

Im Jahr 2011 wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik 640 Frauen und Männer Opfer von Menschenhandel mit anschließender Zwangsprostitution. Was bringt der Vorstoß der neuen Koalition? Christiane Howe ist skeptisch. Die Soziologin und Prostitutionsforscherin sagt: „Das ist Kosmetik. Da wird am falschen Hebel angesetzt.“ Wie soll ein Freier erkennen, ob die Frau, mit der er gegen Geld Sex hat, das unfreiwillig tut?

Nicht mit Prostitution gleichsetzen

Es sei eine Illusion zu glauben, dass Männer so etwas wissen, sagt Howe: „Prostitution ist ein hochanonymisierter Bereich.“ Sexarbeiterinnen halten in der Regel ihr Privatleben strikt bedeckt. Selbst bei Stammkunden. Fraglich sei auch, ob Männer, die Zwangsprostituierte „erkannt“ haben, zur Polizei gehen – aus Angst vor Kriminalisierung. Organisationen wie das Deutsche Institut für Menschenrechte und der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess (KOK) warnen davor, Menschenhandel, Zwangsprostitution und „normale“ Prostitution gleichzusetzen. Das eine habe mit dem anderen wenig zu tun, sagt KOK-Geschäftsführerin Naile Tanis.

Die Europäische Union habe mit einer Richtlinie und einer Konvention gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution Maßnahmen ergriffen. Deutschland hat die Konvention 2005 unterzeichnet und vor einem Jahr ratifiziert.

Passiert sei nichts, kritisiert Tanis: „Deutschland hat die Konvention nicht erfüllt.“ Wie die künftige Regelung genau aussehen soll, ist noch unklar. Vorbild dürfte ein Entwurf sein, über den die Nationalversammlung Mittwoch abstimmen will. In Schweden ist Sexkauf seit 1999 verboten. Damals verabschiedete eine linke Mehrheit im Parlament das Gesetz.

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23 Kommentare

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  • G
    Gästin

    „Grüß Gott, machen Sie das freiwillig?“

     

    Das könnte man die Mitarbeiter_innen von AMAZON auch fragen.

    Wo ist der Unterschied. Wir leben im Kapitalismus. Der wird auch nicht schöner, wenn Alice Schwarzer Blümchentapete über die schimmeligen Wände klebt.

    • HM
      Hubertus Mbuger
      @Gästin:

      Schlicht Unsinn. Der Vergleich ist zynisch und grotesk. Abgesehen davon, dass Sie ein Übel (unfreiwillige Prostitution) durch ein anderes Übel (miese Arbeitsbedingungen bei Amazon) rechtfertigen, also eine vermeintliche Unterschiedslosigkeit in diesen beiden Formen vermeintlich kapitalistischer Sachzwänge annehmen, die sich logisch aber keineswegs problemlos nachvollziehen lassen, ignorieren Sie die feinen Unterschiede, die sich auch in der reinsten und schlimmsten Form von Kapitalismus ergeben: Es gibt auch im Übel privilegiertere und unprivilegiertere Formen des Daseins. Man mag in Anlehnung an Adornos Sentenz "Es gibt kein wahres Leben im Falschen" zur Revolution rufen... aber bis dahin sollte man auch die Symptome nicht undifferenziert auf sich einprasseln lassen. Sprich: Auch im Falschen ist es nicht wahr, aber besser, Lehrer denn Zwangsprostituierte zu sein.

  • G
    Gadst

    Viele Freier wissen wohl sehr genau, was sie tun.

    Es gab doch in der taz mal einen Artikel über eine Prostituierte, die den Freier darum bat, eine bestimmte Stellung nicht machen zu müssen, da sie ihr Schmerzen bereite. Der Freier rief daraufhin den Zuhälter an, um sich zu beschweren. Kann das mal jemand verlinken?

  • B
    Blechstein

    @ Johnreed

    Richtig heisst es Koitationsvertrag

  • VR
    Volker Rachow

    Der Ansatz ist prinzipiell gut, sollte aber auch auf andere Wirtschaftsfelder ausgedehnt werden, wo jeder Konsument, der wissentlich durch seinen Konsum verbrecherische Organisationen unterstützt, zur Verantwortung gezogen werden kann.

    Beispiele:

    - Kauf von Automobilen, die mehr CO2 ausstoßen, als zur Beförderung einer/x Person(en) erforderlich ist

    - Bezug von Elektrizität fossilen Ursprungs

    - Konto bei einer verantwortungslosen (sic!) Bank

    - Kauf volksverdummender und menschenverachtender Tageszeitungen

    - etc. pp.

     

    Ich sehe blühende Landschaften bezüglich Neueinstellungen der verantwortlichen Überwachungsbehörden.

    • M
      Martin
      @Volker Rachow:

      "volksverdummender und menschenverachtender Tageszeitungen"

       

      ich bin mir jetzt nicht sicher ob sie die taz da mitzählen würden oder nicht?

  • E
    Ede

    Der erste Schritt ist endlich sauber zwischen Sexarbeit und Zwangs-Prostitution zu unterscheiden. Zwangsprostituierte die Aussagen müssen ein unbefristetes Bleiberecht zugesichert bekommen. Bei Zwangsprostitution bietet das Strafrecht bereits heute genügend Möglichkeiten die konsequent umgesetzt werden müssen. Sexarbeit muss aus diesem Schmuddel-Image befreit werden denn das ist eine andere Welt. Wenn beide dies freiwillig machen, ist es ihre ureigenste persönliche Angelegenheit. Übrigens betrifft dies nicht nur Frauen sondern auch Männer die sich an beide Geschlechter prostituieren oder z.B.Transen. Von der verlogenen Prostitution in der konservativ-bürgerlichen Ehe etc. ganz zu schweigen. Verbote sind Quatsch und Prüderie. Wo geht es weiter ? Verbot der Pornografie, Verbot von Swinger-Clubs, Verbot von erotischen Massagen usw.? Schweden hat dieses Thema aus dem öffentlichen Focus in die Illegalität verbannt. Die Lage für die Betroffenen ist schlechter geworden.In Frankreich soll auch nur eine Scheinwelt nach außen errichtet werden. Die Gesellschaft muss mit diesem Thema endlich einen offenen Umgang lernen.

  • M
    M.A.

    Um als Freier auf Nummer sicher zu gehen: Nur noch mit Gummi und Anwalt in den Puff, alles andere ist zu gefährlich!

    Na na, da hat aber jemand die Böcke zu Gärtnern gemacht… :o)

  • Das Konzept ist ausbaufähig. "Grüß Gott, arbeiten Sie hier freiwillig?" "Nö, wurde unter Sanktionsdrohung vom Mob-Center per VV hierher beordert und muß unbezahlt Probearbeiten".

    "Ja, dann darf ich leider nicht ..."

  • B
    biti

    tja, frau schwarzer wollte nur ihr buch promoten, spannt dafür 90 promis vor die karre und reitet auf der selben welle wie sonst auch und schwupps, fühlen sich irgendwelche berufen, chnell irgendetwas zu machen, damit an der front ruhe ist ud das schlechte gewissen ob der vielen verpassten gelegenheiten es besser zu machn, zu beruhigen.

  • S
    stroker88

    Demnächst sollen Leute, die beim Discounter Klamotten gekauft haben, die von Kinderarbeitern in Indien hergestellt werden, Besuch von der Polizei erhalten.

  • was soll das denn werden? hintenrum in den überwachungsstaat, weil es vornerum nicht geht?

    die bundesregierung soll endlich die EU-richtlinie gegen menschenhandel/schuldmagd+knechtschaft vollumfänglich umsetzen! mag sie aber nicht, denn dann wäre auch+vor allem die fleisch- und wurst- und sonstige industrie dran. oder kann sich wer vorstellen, dass der käufer einer gelbwurst aus zwangsfertigung verpappt wird?

  • I
    Irrlicht

    Es stimmt schon, was die Koalition vorhat, ist Bullshit.

    Denn Zwangsprostitution ist de facto nichts anderes als Vergewaltigung (an der noch irgend ein Arsch verdient) - und die IST bereits strafbar und ja, sollte schärfer verfolgt werden und genauso bestraft wie eben, nunja. Vergewaltigung.

     

    Wie die Freier das erkennen sollen? Eigentlich oft nicht SO schwer. In diesen Freierforen liest man oft Kram wie "War nicht so toll, man merkte, daß sie eigentlich gar keinen Bock hatte, aber aus Mitleid hab ich sie trotzdem gepoppt, damit sie wenigstens auch Geld verdient." Mit null Unrechtsbewußtsein.

    Wenn allein dieser Sorte Freier mal aufgehen würde, daß das nicht okay ist, daß man, wenn man merkt, eigentlich will sie nicht, das auch zu lassen hat, Hure hin oder her.

    Wenn eine Frau Spaß am Sex hat, merkt man das.

     

    Und wenn man irgendwelche Zweifel hat, ob sie das freiwillig tut - je mei, dann halt einfach SEIN LASSEN.

    • @Irrlicht:

      nur eine verständnisfrage: wenn der gatte die gattin poppt, wenn diese lustlos - lebt sie dann in einer zwangsehe?

      kann man übrigens auch umgekehrt fragen.

  • F
    Freierin

    „Doch wie sollen die Männer eine Zwangslage erkennen?“

    Wieso nur die Männer?

    • I
      Irrlicht
      @Freierin:

      Stimmt. Die ganzen Stricher werden in der Diskussion nie erwähnt.

  • "Es ist nicht einmal bekannt, wie viele Prostituierte hierzulande ihre Dienste anbieten."

    Dazu fehlt jetzt nur noch der staatliche Blick in alle Schlafzimmer, alle Autobahnparkplätze und sämtliche Waldlichtungen. Was früher mal leichtsinniges, notgeiles Abenteuer war, wird morgen erbarmungslos als knallhartes Prostitutionsdelikt verfolgt werden. Ich seh schon die Beratungsstellen für staatlich genehmigungsfähigen, garantiert prostitutionsfreien Sex in den altbausanierten In-Vierteln sprießen. Neue Hochglanzmedien, mit Titeln wie z.B. "Fuck-Right", "Good Fuck - Bad Fuck", "Sex-Grenze" etc. werden auf den Markt schwämmen und treffsicher ihre Zielgruppe verfehlen. Das ganze Jahr lang wird über so ergiebige Themen diskutiert wie: "Er hat mich mit kleinen Geschenken gefügig gemacht, bin ich jetzt schon eine Hure, oder erst, wenn ich auch danach noch Geschenke annehme?" "Er benutzte ein Condom, trotzdem fühle ich mich schmutzig!" "Ich bin fremd in diesem Land und dachte, es gehört alles zur üblichen Begrüßung." "Wo gibt's eigentlich diese staatlichen Ablaßscheine?" Booh, nee nich! Geh mich bloß weg mit die Scheiße!

  • G
    gast-too

    Mal ehrlich, dieses Chaos ist doch alles gewollt.

     

    Wenn man wirklich im Rotlicht Milleau Ordnung schaffen würde, müsste man einfach nur Prostitution ohne Gewerbeanmeldung und aktueller Steuernumemr verbieten, regelmässig kontrollieren und jeden ohne gültige Papiere mitnehmen und am nächsten Morgen wieder auf freien Fuss lassen.

     

    Dann könnte man allen Prostuituierten in die Rentenkasse einzahlen lassen, regelmässige Gesundheitstests anbieten, etc...

     

    Und wenn man noch zur Anmeldung noch persönlich vorbeikommen muss, kann man bei der Gegenheit auch gleich Zwangsprostituierten eine Möglichkeit geben, um Hilfe zu ersuchen.

     

    Frage bleibt nur, wie viele Prostituierte gibt es, die dann nicht mehr arbeiten würden, wenn die Anonymität nicht mehr gewährleistet ist.

     

    Und das ist (ich weiss höherer Polizeiaufwand) viel trotzdem einfacher zu überwachen wie der Nachweis, dass ein Freier eine Zwangslage ausgenutzt hat. Das klingt nämlich wie üblich: Wer sich einen guten Anwalt leisten kann, kommt immer raus ;-)

  • Erstens ist dies einer der positiven Punkte in diesem seltsamen Koalitionsvertrag.

    Zweitens frage ich mich, wie sich eine Journalistin der taz jetzt auf diese platte Art und Weise auf die Seite der Freier stellen kann. Das ist doch für ein "linkes" Medium irre. Freier haben keinerlei Ansprüche auf irgendwelches Verständnis oder auf Schutz.

    • B
      biti
      @JohnReed:

      john, weshalb ist das irre? weil linke deinem weltbild entsprechend immer pro dies und contra das sein müssen? rational an eine sache herangehen anstatt jeder doktrin oder ideologie vorbehaltlos zu folgen ist deutlich klüger.

      und die freier? ach ja, die bösen, die kaufen sex, egal wo, die gehören bestraft, sowas macht man nicht. sex nur zu hause im dunkeln mit der partnerin ansonsten igitt! und die anbieter? die menschenhändler und zuhälter? was ist mit denen? wir sind gegenhersteller und verkäufer von waffen, ebenso gegen drogenhändler und produzenten, aber hier, wo sex im spiel ist (tabuisiert über jahrtausende) muss es auch anders gehen. aha!

  • G
    Gastname

    Manchmal ist die Realität noch grotesker als jeder Roman.

     

    "Sind Sie eine Zwangsprosttiuierte" frug Jochen G., woraufhin Svetlana S. erklärte dies sei der Fall."

     

    So ein himmelschreiender Blödsinn. Die Damen sollten regelmäßig aufgesucht und der Pass abgefragt werden. Denn die Dokumente werden den Opfern zuerst abgenommen. Danach muss es ein hieb- und stichfestes Programm für Zwangsprostituierte geben, Namenswechsel und Wohnortsitz eingeschlossen.

    Was dann noch fehlt, sind drakonische Strafen für Menschenhändler und eine Kronzeugenregelung.

     

    Der Staat könnte aber auch die Doppelmoral lassen, und gleich geeigneten Geweberaum für die Damen anbieten. Das wäre ehrlicher und würde helfen.

    Aber da nicht sein kann was nicht sein darf, werden konstruktive Vorschläge auch diesmal nicht erwogen werden.

  • O
    Observer

    Ansich finde ich es gut, wenn auch die "Kunden" von zur Prostitution gezwungener Menschen bestraft werden. Aber, letztlich ist das was die zukünftige große Koalition vor hat nichts anderes, als das Eingeständnis des totalen Versagens der Polizeibehörden. Weil die Polizei den Menschenhandel und die Ausbeutung von Frauen nicht in den Griff bekommt - und hierbei fragt sich warum eigentlich ? - soll jetzt den Freiern Angst gemacht werden. Wie lächerlich ist das eigentliche !? Sind wir noch ein Rechtsstaat ? Kann unser Staat seine Bürger und Migranten noch schützen !?

  • C
    cinnamon

    Bin mir sicher, der EU fällt was ein. Die kennen sich mit Prostitution aus..