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Kommentar Freilassung ChodorkowskisDie Scheinöffnung

Kommentar von Barbara Oertel

Die Begnadigung des Ex-Ölmagnaten ist eine gute Nachricht, aber kein Grund für Euphorie. Putins Geste hat handfeste Gründe.

Wohl bald frei nach zehn Jahren: Michail Chodorkowski. Bild: dpa

W er hätte das gedacht? Russlands prominentester politischer Gefangener, Michail Chodorkowski, könnte bald ein freier Mann sein. Und auch für die beiden inhaftierten Mitglieder der Frauenpunkband Pussy Riot dürften sich demnächst die Gefängnistore öffnen. Das sind wirklich einmal gute Nachrichten, und davon gibt es im Reich Wladimir Putins nicht viele.

Doch jetzt in Euphorie zu verfallen, ginge total an der russischen Realität vorbei. Denn die Freilassung des früheren Ölmagnaten, der immerhin zehn Jahre abgesessen hat, ist eine Freilassung von Putins Gnaden. Dabei muss es für den Kremlchef schon ein erhebendes Gefühl gewesen sein, seinen Erzrivalen erst zu Kreuze kriechen zu sehen und jetzt publikumswirksam Milde walten zu lassen.

Nein: Putins Gnadenbrot für einige seiner politischen Gegner hat weder etwas mit einem plötzlichen Sinneswandel des Kremlherrschers zu tun, noch sollte es den Blick für den wahren Charakter des Regimes trüben.

Von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung von Menschenrechten kann keine Rede sein. Im Gegenteil: All diejenigen, die die Regierung kritisieren und dies auch noch öffentlich kundtun, oder diejenigen, die es satthaben, sich gängeln zu lassen, versucht der Staat aus dem Verkehr zu ziehen – ergo mundtot zu machen.

Begnadigung unterzeichnet

Russlands Präsident Waldimir Putin hat nach einem Bericht der Nachrichtenagentur RIA vom Freitag die Begnadigung des früheren Ölmagnaten Michail Chodorkowski unterzeichnet. Putin hatte die Begnadigung am Donnerstag überraschend angekündigt.

Schauprozesse und Arbeitslager

Dabei kann er sich auf eine willfährige Justiz als Erfüllungsgehilfin verlassen, die auch weiter Anweisungen von oben erhalten, die „Schuldigen“ in Schauprozessen aburteilen und dann auf Jahre in Knästen und Arbeitslagern verschwinden lassen wird – wie eben beispielsweise Michail Chodorkowski.

Dass ausgerechnet er jetzt in den Genuss Putin’scher Wohltaten kommt, dürfte vor allem auch mit den bevorstehenden Olympischen Winterspielen im kommenden Februar in Sotschi zu tun haben. Dort, vor der Kulisse potemkinscher Dörfer, möchte Putin sich und Russland feiern lassen. Dafür werden dann auch ein paar Schwule und Lesben in Kauf genommen, die sonst täglich im Land diskriminiert, gejagt und gelegentlich auch umgebracht werden. Und auch gelenkte Proteste, die in eigens dafür abgesteckten Sonderzonen stattfinden dürfen.

Ob diese Begnadigung des einstigen Gegenspielers jedoch das Ende der Causa Chodorkowski bedeutet, bleibt weiter fraglich. Gegen ihn wird bereits erneut ermittelt.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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8 Kommentare

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  • K
    kotzbrech

    Oh taz , ... mich graust es sehr : Auch bei dir darf dieser Chodorkowski immer noch unter "politischer Gefangener" firmieren !

  • M
    mnbvcys

    Bei aller Kritik an Putin, muss man den Oligarchen Chodorkowski hier nicht in den Rang Freiheitskämpfers erheben.

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=19739

    • @mnbvcys:

      Der Artikel strotzt nur so vor Unkenntnis der Verhältnisse in Rußland. Außerdem mißfällt mir immer mehr das tumbe "Böse USA- guter Putin" etlicher Linker. Es scheint das Verständnis verloren gegangen zu sein, daß es keinen guten Imperialismus gibt.

  • W
    Wolfgang

    Bemerkungen zu Chodorkowski, Tymoschenko und Co.

     

    Auch wohlmeinende bürgerliche Journalisten sind ideologische Soldschreiber des Kapitals, - so auch in der Ukraine, in Russland, in der deutschen asozialen "Marktwirtschaft" der Parlamentsmillionäre oder in deren Europäischen Union - des Finanz- und Monopolkapitals!

     

    Machen wir uns doch nichts vor. Wer sich innerhalb von wenigen Jahren, nach dem Ende und der Auflösung der UdSSR, private Millionen-Vermögen unter den Nagel reisen konnte, der kann nur ein ökonomischer Schwerverbrecher sein!

     

    Dies gilt aber auch so in den hochentwickelten Industriestaaten der sogenannten "sozialen Marktwirtschaft" bzw. des (Bourgeois-)"Sozialismus nationaler Prägung". Auch hier handelt es sich, bei den Multimillionären und Erbschafts-Milliradären - der Großbourgeoisie und Hauptaktionäre, um parlamentarisch, staatlich und juristisch geschützte Schwerverbrecher/innen. Beruhen doch letztlich alle großen privaten Millionen- und Milliardenvermögen, auf der Ausbeutung des werktätigen Menschen durch eine Minderheit, der Ausbeutung der großen Mehrheit durch eine Minderheit - in der kapitalistischen (und imperialistischen) Gesellschaftsformation. Etwas anderes als Kapitalismus, analog sog. "Soziale Marktwirtschaft" in Deutschland, gibt es heute weltweit nicht mehr!

  • liebe taz, ein Haar in der Suppe lässt sich immer finden, erst fordert der "gute" Westen jahrelang die Freilassung von Chordokowski, Pussy Riot und jetzt auch Greenpeace Aktivisten und was passiert...?

    die heuchlerische westliche Medienmaschenirie meckert und meckert immer noch, und ihr liebe taz macht schön mit..., der kalte Krieg ist vorbei, druschba

  • Wenn die olympischen Spiele nun dafür sorgen, dass einige, dem Staat lästige Menschen freikommen, dann gibt`s von mir dafür die Goldmedaille Ansonsten braucht den Mist ja niemand.

  • Mich würde interessieren ob Michail Chodorkowski ein Gnadengesuch eingereicht hat? Soviel ich weiß hat der Europäische Gerichtshof dem russischen Staat bescheinigt, dass das Urteil gegen Michail Chodorkowski nicht politisch motoviert war. Gegen seine Haftbedingungen in Russland hat es verständlicherweise Einspruch erhoben, diese Bedingungen müssen für alle Strafgefangenen verbessert werden, oder soll es künftig einen Zweiklassen- Strafvollzug geben? Zwanzig Jahre russische Verfassung soll der Anlass für die Amnestie gewesen sagt Putin vor der in der internationalen Presse. Das ändert nichts am Urteil. Und wenn Chodorkowski eine weitere Straftat nachgewiesen werden kann, werden russische Gerichte über die Vorwürfe und die vorgelegten Beweise befinden. Denn auch dieses Urteil wird sicher wieder beim Europäischen Gerichtshof ankommen. Präsident Putin selbst darf nur begnadigen wenn die DUMA so beschließt. So verlangen es die russischen Gesetze. Soviel sollte man schon mal über das Geschehen rüberbringen können, wenn man nicht der Propaganda verdächtigt werden will.

  • Putin kann sich in weiten Teilen auch auf eine willfaehrige westliche Presse und Politik verlassen, die die Existenz der Tscherkessen, deren tragische Geschichte und die daraus erwachsenden Proteste gegen das Stattfinden der Olympischen Spiele in Sotschi weitgehend verschweigen. Auf typisch kolonialistische Manier wird den Tscherkessen damit zu verstehen gegeben, dass ihre Stimmen und Befindlichkeiten auf internationaler Ebene nichts zu sagen haben. Bitte helfen Sie mit, dies zu aendern und unterzeichnen Sie unsere aktuelle Petition an Bundespraesident Gauck: https://www.change.org/petitions/mr-joachim-gauck-president-of-germany-deutscher-bundespr%C3%A4sident-almanya-cumhurba%C5%9Fkan%C4%B1-sochi-2014-include-circassians-in-public-debate-tscherkessen-in-%C3%B6ffentliche-debatte-einbeziehen-%C3%A7erkesler-de-g%C3%BCndeme-al%C4%B1nmal%C4%B1#supporters