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Rebecca Harms über Enttäuschungen„Ich bin keine schlechte Verliererin“

Sie ist eine Heldin des Gorleben-Widerstandes. Nach der Niederlage bei den Vorwahlen kämpft Rebecca Harms um Platz eins auf der Europawahlliste der Grünen.

Enttäuscht, aber nicht resigniert: Rebecca Harms. Bild: Marcus Waechter
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Frau Harms, ärgern Sie sich über Ihre Teilnahme an den primaries?

Grüne Vorwahlen

Die europäischen Grünen haben versucht, ihre SpitzenkandidatInnen in europaweiten Vorwahlen, so genannten primaries, per Online-Votum zu ermitteln.

Das Verfahren sorgte durch Sicherheitsmängel, hohe technologische Hürden und eine niedrige Beteiligung für Aufsehen. Insgesamt wurden 23.000 Stimmen abgegeben.

Die meisten Klicks erhielt Ska Keller, Europa-Abgeordnete aus Guben, die als handelspolitische Sprecherin der Fraktion und als Kritikerin der EU-Grenzschutzpolitik in Erscheinung getreten ist.

Beim Bundesparteitag der Grünen in Dresden, der am Wochenende über die Europawahlliste entscheidet, treten Rebecca Harms und Ska Keller als Bewerberinnen um Platz eins an.

Rebecca Harms: Ärgern ist das falsche Wort. Ich bin enttäuscht, dass die viele Arbeit, die gerade die KandidatInnen in dieses Verfahren gesteckt haben, nicht zu einer größeren Resonanz geführt hat.

Das ist alles?

Ich bin natürlich auch über mein persönliches Abschneiden enttäuscht. Ich bin doch nicht aus Holz! Wer verliert, fragt sich doch immer auch: Was habe ich falsch gemacht?

Nur lässt sich das bei einer so verschwindend geringen Beteiligung kaum klären?

Bei der Europawahl 2009 habe ich allein in meiner Heimatregion Lüneburg-Uelzen rund 17.000 Stimmen bekommen. Bei der primary haben insgesamt 22.000 erfolgreich abgestimmt! Und ich kriege heute noch Briefe von Leuten, die schreiben mir: „Ich wollte für Sie abstimmen, ich habe aber kein Handy, deswegen ging das nicht. Bitte zählen Sie uns mit!“

Im Interview: Rebecca Harms

57, seit 2004 im Vorstand und seit 2010 Vorsitzende der Grünenfraktion im Europaparlament, zuvor Chefin von Niedersachsens Landtags-Grünen, prägte als Gründungsmitglied der BI Lüchow-Dannenberg die Anti-AKW-Bewegung mit

Bloß: Durch Ihre Teilnahme laufen Sie Gefahr, als schlechte Verliererin dazustehen, wenn Sie gegen Ska Keller antreten.

Ich bin keine schlechte Verliererin. Meine Absicht ist: Ich will meiner Partei noch einmal anbieten, mit mir in den Wahlkampf zu ziehen – mit meiner politischen Erfahrung, die ich in Deutschland in der niedersächsischen Landespolitik und in Europa gerade in den Krisenjahren erworben habe, mit meinen Erfahrungen aus Griechenland, Portugal und Spanien. Ich stehe als Politikerin sehr stark für genau die Themen, die niemals von den Grünen vernachlässigt werden dürfen.

Also den Atomausstieg?

Für all jene Großthemen, die mit ökologischer Vernunft zu tun haben, vom Atomausstieg über Verbraucherschutz bis hin zur Agrarwende, mit der Auseinandersetzung über Massentierhaltung und dem Kampf gegen Gentechnik. All das sind ja europäisch offene Debatten.

Das ganze Spektrum?

Ich bin seit knapp fünf Jahren Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Da ist es logisch, dass ich mich für alle Themen verantwortlich fühle – dazu gehören auch Flüchtlings- und Außenpolitik wie jetzt in der Ukraine. Ich glaube, dass diese Kombination, also meine Erfahrung in der Auseinandersetzung mit den großen Tieren der Politik, angefangen mit Angela Merkel, und die Beschäftigung mit den grünen Kernthemen etwas Gutes ist. Und dass diese Verbindung gerade in der schwierigen Lage, in der die Partei nach der Bundestagswahl steckt, hilfreich sein kann.

Da war Ihr Weggefährte Jürgen Trittin Spitzenkandidat: Fürchten Sie nicht, dass der Wert „Erfahrung“ bei den Grünen an Kurs verloren hat?

Ich hielte das für falsch, genauso wie ich einseitige Schuldzuweisungen nach der Bundestagswahl für falsch gehalten habe. An meiner Arbeit in der Fraktionsspitze des Europaparlaments gab es jedenfalls nie wirklich Kritik – eher im Gegenteil.

Sie haben keine Sorge, wie Angelika Beer 2009 von der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen durchgereicht zu werden?

Wer strittig kandidiert auf Platz eins, kann immer auch verlieren. Das ist nun einmal so. Aber ich bin in diesen Auseinandersetzungen nicht von der Art: Alles oder nichts.

Nun sollten die primaries ja durch stärkere Personalisierung Begeisterung wecken für Europapolitik. Das Anliegen teilen Sie doch auch?

Ja, aber wir müssen vor allem mit Inhalten punkten: Die größten und erfolgreichsten Veranstaltungen hatte ich, wenn ich mich mit Anti-Fracking-Initiativen in Polen getroffen habe oder wenn ich in Griechenland Hilfsorganisationen besuche, um über Auswege aus der menschenverachtenden Flüchtlingspolitik nachzudenken. Bei solchen Veranstaltungen, da hatten wir richtig Zuspruch. Das ist das eigentliche politische Leben ...

wo lägen denn in dem die Differenzen zwischen Ihnen und Ska Keller?

Es gibt keine großen politischen Konflikte zwischen uns. Ska hat mir gegenüber jedenfalls nie beklagt, dass ich die Fraktion in die falsche Richtung führen würde. Sie hat weniger Verantwortung für die Politik der europäischen Grünen-Fraktion und andere Schwerpunkte. Aber sie hat sich gefreut, dass ich die kritische Debatte angestoßen habe über das transatlantische Freihandelsabkommen.

Es ist kein Flügelstreit?

Ich würde mich weigern, aus dieser Debatte eine Links-rechts-Debatte zu machen. Das halte ich für an den Haaren herbeigezogen.

Vielleicht geht es um eine stärkere Westorientierung, während Sie doch eine starke Bindung an die Ukraine haben?

Es ist wahr, dass ich seit meinem ersten Besuch 1988 nicht mehr richtig losgekommen bin von der Ukraine.

Sie gehörten zur ersten zivilen Besuchergruppe des Tschernobyl-Gebiets.

Aktuell ist das eine Mischung aus politischer und persönlicher Verantwortung. Für meine Freunde und für alle die Menschen, die sich mehr als alle anderen auf diesem Kontinent mit so viel Leidenschaft und Mut für europäische Werte und rechtsstaatliche Standards einsetzen.

Dort entscheidet sich die Zukunft der EU …?

Ich bin davon überzeugt, dass sich Europa von der Peripherie her ändert – und wir das, was uns an Aufbruch mit der Euromaidan-Bewegung aus der Ukraine entgegenkommt, zu lange nicht gesehen haben. Dass wir jetzt quasi wieder im Kalten Krieg aufwachen, das erinnert uns daran, dass man auch ein Verständnis von Geschichte braucht, um Europa weiterzubauen. Denn Geschichte vergeht nicht.

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7 Kommentare

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  • GN
    Gast Name

    jaja wenn das Ergebnis nicht so is wie man will

     

    erklärt man das verfahren einfach für ungültig

     

    demokratie2.0

  • H
    Hanne

    Frau Harms hat sich mit Anti-Fracking-Initiativen in Polen getroffen. Hat sie sich auch mit Anti-Fracking-Initiativen in Deutschland getroffen oder mit Anti-CCS-Initiativen?

  • LA
    Linda Anna-Sophia

    Mich irritiert ja, dass mein Opi es geschaft hat abzustimmen. Und meine Omi, die dann auch abstimmen wollte, meinen Opi um Hilfe gebeten hat. (wenn einem ewas wichtig ist, dann kann man auch mal fragen. Ich habe ihr dann mein Zweithandy gegeben, um abzustimmen.)

     

    Zweifelsohne: Es ist nur annähernd, nicht vollständig, demokratisch. Aber das kann eine Grüne Europäische Partei auch kaum leisten. Wie denn bitte?(an jene, die das als Vorhaltung permanent auf den Lippen tragen)

     

    Die Schuld ist nicht dem Büti für die Idee zu geben, sondern denen, die die Primary nicht ernst genug genommen haben und den ganzen Ortsverbänden die ggf Ihre Mitglieder nicht aufgerüttelt haben, teil zu nehmen.

     

    Jose und Ska haben es geschafft Leute zu mobilisieren. DARUM GEHT ES AM ENDE AUCH BEI DER EUROPAWAHL und nicht um Parteiinterna.

  • WW
    willem wittstamm

    Diese Wahlen waren nicht repräsentativ. Wie bestimmt viele Andere auch wollte ich meine Stimme Frau Harms geben, habe es aber anscheinend nicht geschafft, das entsprechende online Formular so auszufüllen, dass meine Stimme zählt. Trotz mehrmaliger Versuche! Möglich, daß es den jüngeren Leuten einfacher fiel. Mein Handy ist mir ein Rätsel. Bestimmt auch deshalb wurde eine Kandidatin gewählt, die eher von den Jüngeren bevorzugt wurde. Wenn ich wüßte wie, würde ich diese Wahl anfechten. Sie war nicht gerecht! Ich empfehle den Grünen, diese Wahl zu annulieren!!!

  • J
    Jan

    Äußerte sich Frau Harms nicht gerade zur Ukraine mit einer Lüge? Sollten da nicht angeblich mehrere Regierungspolitiker die österreichische Staatsbürgerschaft haben?

    Glatt gelogen, wie die österreichische Botschaft in Kiew mitteilte.

     

    Ihre Kommentare zur Ukraine haben mehr als einen Beigeschmack. In totaler Ignoranz der Ereignisse, berichtet sie von brutalen Polizeieinsätzen ohne die Molotowcocktails auf Polizisten aus nächster Nähe zu erwähnen.

    Daß die Bewegung sich aus dem KAS-gesponsorten Klitschko, dem gescheiterten Oligarchenclan von Timoschenko und Faschisten zusammensetzt, übersieht sie geflissentlich.

    Solche Politiker braucht die EU nicht!

  • Es ist nun mal so, dass Ska Keller die europäische Bürgerinitiative für ein Bedingungsloses Grundeinkommen unterstützt hat, Rebecca Harms dagegen nicht: http://basicincome2013.eu/ubi/meps-support-citizens-initiative-basic-income

    Wenn sie bei allen Verdiensten und Erfahrungen noch nicht gemerkt hat, dass alles das, wofür sie sich einsetzt, nicht zu erreichen ist, solange "sozial ist, was Arbeit schafft", weil so lange nämlich jede Umweltsauerei und Verbrauchertäuschung mit Arbeitsplatzerhaltung zu rechtfertigen ist, während die Bevölkerung ohnmächtig mit dem idiotischen Ratrace nach irgendwelchen Arbeitsplätzen beschäftigt ist...

    Wenn also Frau Harms nach all den Jahren das noch nicht begriffen hat, dann hat sie auf Platz 1 der Grünen sicherlich weniger verloren als Ska Keller.

     

    Mal abgesehen davon waren diese Vorwahlen natürlich ein Witz, wer kommt überhaupt auf die Idee, nur die Besitzer eines Mobiltelefons mitspielen zu lassen? Was für ein Demokratiebegriff ist das denn??

    • @Eric Manneschmidt:

      Was Frau Harms so erzählt, erscheint mir - als transatlantischem Aussenseiter - wichtig und gerecht. Allein, was der Eric sagt nicht weniger. Und konkret zu "Mal abgesehen davon waren diese Vorwahlen natürlich ein Witz, wer kommt überhaupt auf die Idee, nur die Besitzer eines Mobiltelefons mitspielen zu lassen?" Na, die NSA selbstkultürlich! Und ihr germanisches Pendant, der Ausgrenzschutz (oder wie immer er grad heissen mag). Dass diese Arbeitserleichterung aber von den Grünen mitgetragen wird... Schon eine unschöne elitäre Überraschung mehr. Seit Petra Kelly...