Erstes Solo-Album von Damon Albarn: Weltläufige Einsamkeit
Großartige Momente mit einer Spur Kulturpessismismus: Blur-Sänger Damon Albarn und sein Soloprojekt „Everyday Robots“.
Da sitzt er auf einem Barhocker. Zusammengesunken in einem armeegrünen Parka. Strubbelhaare, hochgekrempelte Stoffhose, Karosocken. Obwohl sein Kopf gen Boden sinkt, wirken die Gesichtszüge entspannt. Damon Albarn scheint gar ein wenig zu lächeln. Ein kurzer, wohliger Moment im Angesicht der Erschöpfung, die Erleichterung nach der Kapitulation?
Die Coverabbildung von „Everyday Robots“, dem nun erscheinenden ersten Soloalbum des Blur- und Gorillaz-Kopfes Damon Albarn, zeigt den Meister himself auf einem Hocker im weißen Raum. Wobei, erstes Soloalbum? Albarn war bei so vielen Projekten die entscheidende Figur, es ist halt nun das erste, das der 46-Jährige unter seinem Namen veröffentlicht. „Ich mag das Wort Soloalbum nicht, ich bin nicht gern solo“, sagte er dem New Musical Express, „auch wenn ich an einem arbeite.“
Das hört sich eher beiläufig an. Man sollte also nicht erwarten, hier komme nun das Masterpiece des Musikers, der mit Blur (Britpop), Gorillaz (animierter Indie-Hip-Hop) und vielen weiteren Projekten Popgeschichte schrieb. Auf „Everyday Robots“ lässt sich Albarn denn auch von Brian Eno als Produzenten und beim Song „Heavy Seas of Love“ begleiten. Die Singer-Songwriterin Natasha Khan (alias Bat for Lashes) ist in dem Lied „The Selfish Giant“ zu hören.
Damon Albarn: „Everyday Robots“ (Parlophone/Warner), VÖ 25. April.
Albarn war immer brillant darin, musikalische Welten zusammenzuführen. Als Musiker wie als Labelbetreiber: 2002 gründete er gemeinsam mit dem Honest Jon’s Record Shop in London das gleichnamige Label, auf dem seither Afrobeat, Calypso, Dancehall, Folk, Jazz und Minimal Music gleichberechtigt erscheinen.
Keine Global-Pop-Sause
Doch die ganz große, ausschweifende Global-Pop-Sause, die man ihm zutrauen würde, feiert Albarn auf „Everyday Robots“ nicht. Eher dezent lässt er Stile aus aller Welt in seine Mellow-Popsongs einfließen – unspektakulär, aber sorgfältig. Mit dem dritten Stück „Lonely Press Play“, einem der stärksten des Albums, zeigt er dies nahezu in Perfektion. Der Song ist raffiniert, rhythmisch, funky und gleichzeitig ein trauriges Klavierstück. Und er singt: „Die lady die / The aspects that you pass on while travelling / When you’re lonely, press play.“ Man könnte das lässige, weltläufige Einsamkeit nennen – oder auch existenzielle Heimatlosigkeit.
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Großartige Momente hat auch „The Selfish Giant“. In knapp fünf Minuten wähnt man sich an den verschiedensten Orten. Im Kammermusiksaal lauscht man dem Klavier, dann glaubt man Tom Waits in der kalifornischen Vorhölle einen Besuch abzustatten, um sich dann in einem abgerissenen Londoner Dub-Café wiederzufinden. Albarn singt unterkühlt: „It’s hard to be a lover when the TV’s on / And nothing’s in your eyes.“ Auch das eröffnende Titelstück „Everyday Robots“ zählt zu jenen tollen vielschichtigen Tracks. Es gibt aber auch schwächere Momente.
Die Stücke „Hostiles“, „You & Me“ und „The History Of A Cheating Heart“ basieren auf gezupften Gitarrenläufen, wobei vor allem von letztgenanntem Song kaum etwas hängenbleibt. Und mit dem abschließenden „Heavy seas of love“ agieren Albarn und Eno nahe am Kitsch. Der Pre-Chorus hat den gleichen Melodiebogen wie in Michael Jacksons „Heal the World“ – das Stück verharrt in einem ähnlichen Gestus. Das ist äußerst schade angesichts der tollen Momente in den ersten 40 Minuten des Albums!
Natur-Technik-Dichotomie
Auch textlich kommt Albarn erstaunlich kulturpessimistisch daher. Das Album handle von einer Natur-Technik-Dichotomie, sagt er. Und da die erste Zeile eines Albums oft so wichtig ist wie der erste Satz eines Buches, muten diese doch einigermaßen banal an: „We are everyday robots on our phones / in the process of getting home.“ Bei der vorgetragenen Skepsis gegenüber der digitalen Ära denkt man doch, der Diskurs um jüngere Kommunikationstechnologien sei bereits einen Schritt weiter.
Empfohlener externer Inhalt
Man kann es aber auch konsequent nennen, denn Albarn geht bewusst einen Schritt zurück. Er scheint auf der Suche nach etwas Essenziellem zu sein. Oder auch auf der Suche nach Glaubwürdigkeit, mit den Mitteln der autobiografischen Rückschau.
Die zwölf Songs gleichen ein wenig jenem zusammengekauerten Menschen auf dem Cover: „Everyday Robots“ ist ein melancholisches Feelgood-Album – und dies ist hier alles andere als ein Widerspruch. Denn Albarn setzt den Zumutungen der Welt ein erleichtertes Lächeln entgegen.
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