Sachbuch „Der NSA-Komplex“: Goldenes Zeitalter
Marcel Rosenbach und Holger Stark hatten Einblick in Snowdens Unterlagen. Sie schildern in „Der NSA-Komplex“ die Instrumente des US-Geheimdienstes.
Die National Security Agency ist der größte Geheimdienst der westlichen Welt. Für die NSA arbeiten 40.000 Mitarbeiter und sie verfügt über einem Jahresetat von 10,6 Mrd. Dollar. Dank Edward Snowden und seiner Unterlagen wissen wir nun, dass sie nicht weniger anstrebt als „die globale Informationsherrschaft“. Doch was macht die NSA konkret? Wer wird mit welchen Methoden überwacht?
Für alle, die in der Fülle der Enthüllungen den Überblick verloren haben, gibt jetzt das Buch „Der NSA-Komplex“ einen Überblick. Die Spiegel-Autoren Marcel Rosenbach und Holger Stark gehören zu den wenigen Journalisten, die Einblick in Snowdens Unterlagen hatten.
Die NSA ist ein Geheimdienst, der mit zunehmender Digitalisierung aller Lebensbereiche immer wichtiger wurde. So hat die NSA beim Programm „Prism“ Zugriff auf die Rechner von Internet-Firmen wie Facebook und Google. Mit den „Special Sources Operations“ greift die NSA direkt auf Datenkabel zu. Hinter den „Taylored Access Operations“ verbergen sich Hacker, die sich maßgeschneiderten Zugang zu speziell gesicherten Rechnern verschaffen. Intern sprechen die Geheimdienstler schon vom „goldenen Zeitalter der Überwachung“.
Jede neue App, die auf den Markt kommt, kann von der NSA als Datenlieferant missbraucht werden. Viele Geräte und Angebote sollen sogar mit ausdrücklichen „Hintertüren“ für die NSA ausgestattet sein. Selbst Verschlüsselungsprogramme wurden von der NSA gezielt manipuliert und damit in ihrer Wirkung geschwächt.
Härtere Strafen, Internetzensur, Adoptionsverbot für Homo-Paare – mit dem Argument, es gehe um das Wohl der Kinder, wird Politik gemacht. Aber wie ernst wird das Kindeswohl wirklich genommen? Eine Betrachtung in der taz.am wochenende vom 3./4. Mai 2014 . Außerdem ein Porträt Sigmar Gabriels. Der Wirtschaftsminister setzt das Werk Peter Altmaiers fort und erdrosselt langsam die Energiewende. Und: Ein Gespräch mit der Modetheoretikerin Barbara Vinken über George Clooney in Seidenstrümpfen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Auch die Zusammenarbeit mit anderen Geheimdiensten, vor allem dem englischen Pendant GCHQ, erweitert die Möglichkeiten der NSA. Während die NSA nur Verbindungsdaten speichert, prüfen die Engländer mit dem Programm Tempora sogar den Inhalt von E-Mails und Telefonaten.
Auf- und ausgebaut wurde dieses gewaltige Instrumentarium vor allem nach den Al-Qaida-Anschlägen von 2001. Doch nur 35 Prozent der Ressourcen gehen tatsächlich in die Terrorabwehr. Und auch dort soll der Nutzen laut einer unabhängigen Untersuchung eher gering sein. Ein Großteil der Aktivitäten richtet sich gegen andere Staaten und internationale Organisationen, ist also klassische Spionage. Snowden sagt, auch Wirtschaftsspionage sei eine Aufgabe der NSA, konkrete Beispiele finden sich im Buch aber nicht.
„Die Freunde der Freunde der Freunde“
Die Liste der auszuspähenden Ziele umfasst angeblich rund eine Million Namen weltweit. Das ist viel, aber noch keine global flächendeckende Überwachung. Allerdings können pro Zielperson auch „die Freunde der Freunde der Freunde“ überprüft werden. Das sind pro Zielperson (bei durchschnittlich 190 Facebook-Freunden) schnell rund fünf Millionen weitere Personen. Laut Snowden kann auch jeder NSA-Analyst einen neuen Namen auf die Zielliste setzen. Angestrebt ist, dass Auswertungsprogramme selbstständig Verdächtige identifizieren, wenn diese sich im Internet auffällig verhalten.
Marcel Rosenbach, Holger Stark: „Der NSA-Komplex“. DVA, München 2014, 383 S., 19,99 Euro.
Und Deutschland? Dass die Kanzlerin als Spionageziel überwacht wurde, ist bekannt. Dass die Briten den interkontinentalen deutschen Telefon- und Mailverkehr im Kabel TAT-14 anzapfen, sollte man seit letztem Sommer auch wissen. Bisher unbekannt war aber, dass ein US-Sondergericht im März 2013 die NSA autorisierte, „Deutschland zu überwachen“. Was das konkret heißt, wissen Rosenbach/Stark allerdings nicht. Überhaupt geht das Buch nur selten über das hinaus, was auch schon im Spiegel stand. Nützlich ist die Zusammenstellung dennoch.
Rosenbach/Stark konstatieren den „Totalverlust der Privatsphäre“ und sehen die Meinungsfreiheit und die freiheitliche Demokratie in Gefahr. Bemerkenswert ist aber, dass es nach wie vor kaum Erkenntnisse über einen Missbrauch der Daten gibt, zum Beispiel als Material gegen innenpolitische Gegner. Man mag es kaum glauben, schließlich haben US-Geheimdienste in dieser Hinsicht ja eine unrühmliche Tradition. Wenn die NSA ihr Hacker-Potenzial dagegen nutzt, um iranische Uran-Zentrifugen zu manipulieren, kann man sogar klammheimliche Freude empfinden.
Der Mangel an echten Missbrauchsbelegen erklärt, warum die große Empörung über die NSA-Sammelgier bisher kaum zu politischem Widerstand führt. Aber es ist ja erst ein Zehntel von Snowdens Dokumenten ausgewertet. Und bald erscheint das Buch von Glen Greenwald, dem Journalisten, dem Snowden am meisten Material anvertraut hat.
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