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„Einige werden gehen“

In Berlin gibt es Probleme mit der Vereinigung mit der WASG, weil diese gegen die PDS gegründet wurde

INTERVIEW JENS KÖNIGUND DANIEL SCHULZ

taz: Herr Gysi, die deutsche Öffentlichkeit diskutiert über die CIA-Entführungen und den Fleischskandal. Die Linkspartei streitet darüber, welche Bedeutung die Urabstimmung von 59 Genossen der WASG in Mecklenburg-Vorpommern für die Zukunft Ihres Ladens hat. Haben Sie keine anderen Sorgen?

Gregor Gysi: Das ist falsch, und diese Sichtweise ärgert mich auch. Wir waren die Ersten, die sich um die Entführungsfälle kümmerten. Unsere Abgeordnete Petra Pau hat vor der Wahl und vor FDP und Grünen dazu Anfragen an die Bundesregierung gestellt. Das ist uns und auch mir persönlich ein sehr wichtiges Anliegen. Dass unsere Arbeit wenig wahrgenommen wird, hat Gründe.

Aha. Und die wären?

Die Medien schreiben und senden eher die FDP und die Grünen in die Oppositionsrolle. Außerdem ist die Linkspartei neu im Bundestag. Ich kannte die meisten Abgeordneten gar nicht, viele von uns saßen noch nie im Parlament. Das soll keine Entschuldigung sein, aber es dauert eben, bis die Arbeit anläuft.

Ihre Wähler sehen PDS und WASG bereits als eine Partei. Warum streiten sie sich eigentlich so heftig?

In den meisten Bundesländern hat sich die WASG gegen die rot-grüne Bundesregierung und die SPD gegründet. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern hingegen war diese Gründung explizit gegen SPD und PDS und deren Regierungspolitik gerichtet. Aber das sind Ausnahmen. Deshalb bin ich völlig optimistisch, dass wir uns 2007 vereinen.

Gegner einer Vereinigung melden sich aber auch im Ruhrpott oder in Schleswig-Holstein.

Das mag sein, aber so kompliziert wie in Berlin ist es nirgendwo. Und den meisten Zulauf hatte die Wahlalternative nach dem Antritt Lafontaines. Ab diesem Punkt war auch klar, dass es auf eine gemeinsame linke Partei hinausläuft. Es gab in der WASG auch eine Urabstimmung dazu.

Also läuft alles super, nur ein paar durchgeknallte Ideologen in Berlin stören?

Einige WASG-Mitglieder in Berlin sehen die Situation in der Tat zu ideologisch. Einige sind Anhänger der Verelendungstheorie. Sie wollen schön in der Opposition bleiben und akzeptieren, dass die CDU an die Macht kommt. Dann soll es den Leuten immer schlechter gehen, und irgendwann kommt vielleicht eine Revolution. Aber unsere Wähler wollen, dass hier und heute Politik für sie gemacht wird.

Und wer das nicht erkennt, muss austreten?

Nein, die PDS war noch nie eine Ausschlusspartei, und die WASG ist es auch nicht. Aber einige, die andere Ziele haben, werden wohl gehen.

Oder sie kritisieren weiter und bekommen von Ihnen Wahlkampfgelder gestrichen.

Wenn jemand außerhalb unserer Partei gegen uns antritt, finanzieren wir den nicht auch noch. Wir sind doch nicht doof.

Warum hat es die PDS geschafft, eine beinharte Kommunistin wie Sahra Wagenknecht unter Kontrolle zu bekommen, aber nicht ein paar gemütliche Gewerkschafter aus dem Westen?

Sarah Wagenknecht macht doch, was sie will. Es geht auch nicht darum, jemanden unter Kontrolle zu kriegen. Es ist schwierig, diese unterschiedlichen Milieus unter einen Hut zu bekommen, aber uns verbindet eine politische Idee. Wir haben in der Linkspartei bereits jede Menge Widersprüche vereinigt, warum sollen wir das nicht mit der WASG schaffen?

Vielleicht weil die Westdeutschen eine Art umgekehrte Wiedervereinigung fürchten.

Wieso sollten sie sich fürchten? Die WASG hat in zehn Landesverbänden mehr Mitglieder, die Linkspartei in sechs. Das heißt, dass die WASG mehr Delegierte zu einem Parteitag entsenden wird als wir. Das ergibt automatisch ein hohes Maß an Gleichberechtigung und ist ein großer kultureller Sprung. Viele in der Linkspartei ahnen noch zu wenig, was da auf sie zukommt.

Viele WASGler auch nicht. Sie haben nur das Gefühl, die Chefs da oben machen die Vereinigung der beiden Parteien unter sich aus.

Die Frage ist doch, wozu ich in einer Partei bin. Will ich etwas verändern, oder möchte ich nur selber etwas wichtiger werden? Wir arbeiten unter schwierigen Bedingungen. Ich glaube, die Mitglieder an der Basis hoffen auf uns in einem Maße, wie wir es bisher noch gar nicht befriedigen können.

Warum kommt von Ihrer Partei so wenig Kritik an der Fusion?

Unsere Basis ist dafür, aber einige Funktionäre machen sich Sorgen. Und das liegt daran, dass unsere Basis weiß, dass sie immer Basis bleibt. Für Funktionäre könnte sich etwas verändern.

Aber weiß Ihre Basis, dass einer der Gründungsmythen der PDS verloren geht: die trotzige Interessenvertretung des Ostens?

Unsere Ostkompetenz bleibt. Aber es war immer klar, dass wir entweder eine bundespolitische Kraft werden oder unser Ende finden. Wir haben jetzt eine Chance und dürfen nicht kneifen. De facto wird es in den östlichen Landtagen so bleiben wie heute. Trotzdem werden wir unsere Ostkompetenz auch auf Bundesebene nicht verlieren, da geht die Linkspartei zu stark in diese Vereinigung.

Die Nichtwahl Lothar Biskys zum Bundestagsvizepräsidenten hat die Linkspartei auf diese Trotzhaltung zurückgeworfen. Bleibt Ihrer Partei auf Jahre nur das Ausgegrenztsein als identitätsstiftendes Merkmal?

Unsinn. Aber was wurde uns denn mit dieser Nichtwahl gesagt? Uns wurde doch gesagt, dass jene Ostdeutschen, die vor der Vereinigung ein durchweg positives Verhältnis zur DDR hatten oder ein nicht durchweg negatives, dass die zwar gnädigerweise in die BRD mitkommen durften, aber das Land nicht repräsentieren dürfen. Nach fünfzehn Jahren! Wo sollen die DDR-Eliten denn hin? Nach Uruguay? Wir dürfen die Vertretung ostdeutscher Interessen nicht vernachlässigen. Aber die Zukunft der Partei liegt in der Fusion mit der WASG.

Und die Linkspartei bleibt dann auf ewig in der Opposition?

Für jetzt und die kommenden vier Jahre gilt: Wir sind Opposition. Aber wenn die SPD wieder sozialdemokratisch wird, schließe ich für 2009 eine Koalition mit ihr nicht aus. Dafür müsste die SPD aber mindestens in drei zentralen Punkten ihre Politik ändern: Änderung der Agenda 2010, weg mit Hartz IV, keine völkerrechtswidrigen Auslandseinsätze der Bundeswehr mehr. Das sind für uns die dringlichen Fragen und nicht, dass irgendwer an der Fusion mit der WASG herumnörgelt. Das ist Pipifax, das regt mich schon lange nicht mehr auf.

Was regt Sie denn auf?

Otto Schily zum Beispiel regt mich auf. Wenn mir der US-Botschafter von einer Entführung, also einem schweren Verbrechen, erzählt hätte und mich bäte zu schweigen, hätte ich ihm gesagt, er dürfe versuchen sich bei uns zu entschuldigen. Ich weiß nicht, ob ich die Entschuldigung angenommen hätte. Außerdem hätte ich den Bundeskanzler und die Staatsanwaltschaft informiert und mit den Betroffenen gesprochen. Da geht es um Entführung, um Nötigung, um Folter! Ja, wo leben wir denn! Da muss es für einen Innenminister doch eine innere Grenze geben.

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