50 Jahre Civil Rights Act: Sie hatten einen Traum
Zwei US-AktivistInnen engagierten sich in den 1960ern in der Bürgerrechtsbewegung. Beide befürchten, dass der Rassismus wieder erstarkt.
GLENN DALE, MARYLAND taz | „Nie und nimmer“ hätte sich Fleetwood Roberts jr. in jenem Frühsommer in Tuskegee, Alabama, die Fortschritte der kommenden 50 Jahre vorstellen können: weder die gemischten Schulen noch die gewählten schwarzen Amtsträger noch seine eigene Karriere in Washington. „Mein Blick in die Zukunft war düster“, sagt er, „es gab keinen Anlass zu Optimismus.“
Im Frühsommer 1964 ist der 33-Jährige ein zorniger junger Mann. Er war im Koreakrieg, er arbeitet als Physiotherapeut, und seine Frau hat es geschafft, als erste schwarze Person eine Anstellung im Rathaus von Tuskegee zu bekommen. Aber aus Sorge vor „Nightriders“, die auf Schwarze schießen, vermeiden die Eltern von vier kleinen Kindern nächtliche Autofahrten.
Mitten im Ort kommt es vor, dass jemand ihn als „Boy“ anspricht. Und wenn sich Roberts um eine neue Stelle bewirbt, prüft der Arbeitgeber mit einem Telefongespräch, ob seine Stimme „schwarz“ klingt. Anschließend kommt ein Brief, in dem es heißt, die Stelle sei „vergeben“.
Dass etwas nicht stimmte, wusste Roberts schon als Kind. Er sah, dass Weiße besser leben. Dass „Farbige“ auf den hinteren Bänken der Busse sitzen mussten. Das schwarze Kinder nicht im selben Wasser schwimmen durften wie Weiße. Und schwarze Erwachsene nur auf den obersten Balkons im Theater zugelassen waren, wohin sie über Treppen an der Außenseite des Gebäudes steigen mussten.
Juli 1948: Präsident Harry S. Truman hebt die „Rassentrennung“ auf – aber nur für das Militär.
November 1963: Lyndon B. Johnson fordert bei seiner ersten Rede als Präsident Abgeordnete und Senatoren auf, ein Gesetz zu beschließen, das die Diskriminierung von Afroamerikanern in allen US-Bundesstaaten beendet.
10. Februar 1964: Das Repräsentantenhaus stimmt für die Vorlage HR7152. Nun wird das Gesetz, das als Civil Rights Act in die Geschichte eingehen wird, dem Senat vorgelegt – und trifft dort auf starken Widerstand sowohl von Demokraten als auch von Republikanern. Fast alle Gegner stammen aus den Südstaaten.
19. Juni: Nach über vier Monaten der Obstruktion stimmt der Senat endlich einer überarbeiteten Version der Gesetzesvorlage zu.
2. Juli: Das Repräsentantenhaus segnet die überarbeitete Vorlage ab, der Präsident unterschreibt noch am selben Tag. Die rechtliche Diskriminierung von Schwarzen ist Geschichte. (rr)
Wenn er das Haus verließ, gab seine Mutter ihm vorher zu essen und zu trinken und schickte ihn auf die Toilette. „Trink kein segregiertes Wasser“, mahnte sie, „und geh nicht auf segregierte Toiletten“. Sie wollte ihrem Sohn die Erniedrigungen der „Rassentrennung“ ersparen.
Prügel für das „N-Wort“
Nach der Rückkehr aus dem Krieg schließt Roberts sich „der Bewegung“ an. Er erträgt „den ganzen Mist“ nicht mehr: „Sie senden dich ans andere Ende der Welt, um für die Freiheit zu kämpfen, und dann kommst du nach Hause und hast keine“, sagt er. Präsident Harry S. Truman hat das Militär „integriert“ – alle anderen Institutionen blieben „rassengetrennt“. In der Armee hatte Roberts auf engem Raum mit Weißen zusammengelebt. Und erlebt, dass weiße Soldaten „verstehen“, wenn sie verprügelt werden, weil sie das „N-Wort“ benutzen.
Roberts wird in der NAACP aktiv, der National Association for the Advancement of Colored People, die für Gleichberechtigung kämpft. Er fährt in ländliche Gemeinden, um anderen Afroamerikanern zu erklären, wie Wahlmaschinen funktionieren: „Sie hatten nie zuvor das Recht, zu wählen.“ Bei einer Demonstration vor einem Hotel, das keine Zimmer an Schwarze vermietet, brennt ihm ein Weißer eine Zigarette in die Hand.
1.400 Kilometer weiter nördlich, in der Autostadt Pontiac in Michigan, hat Augustine Busbee Pounds zur gleichen Zeit die ärmliche Sozialsiedlung verlassen, in der ausschließlich Afroamerikaner wohnen. Die 27-Jährige will, dass ihre beiden kleinen Töchter in eine gute Schule gehen. Doch das Haus an der Mary Day Avenue, das ihr gefällt und das sie sich leisten kann, wollen ihr die Eigentümer nicht verkaufen. Sie haben ein „Block-Abkommen“ mit den Nachbarn. Es besagt: „keine Schwarzen in unserem Block“.
Ein weißer Strohmann hilft
Pounds findet einen Strohmann, der es für sie tut: „Ein Weißer, der die Bewegung unterstützt“. Er kauft das Haus für sie. Am ersten Abend im neuen Heim – sie hat die Töchter bereits ins Bett gebracht – kommt ein unbekannter weißer Mann durch ihren Garten und presst sein Gesicht gegen das Fenster.
Pounds robbt zum Telefon und ruft die Polizei um Hilfe. Die kommt. Stellt den Mann. Findet heraus, dass er der Sohn des lokalen Richters ist. Und bietet der alleinerziehenden Mutter ihren Schutz an. Voraussetzung: sie erstattet keine Anzeige. Pounds akzeptiert den Deal. „Ich hatte Kinder“, sagt sie.
Pounds arbeitet, studiert, muss viel kämpfen und ist oft wütend. Weil der benachbarte Priester zu einer ihrer Töchter sagt: „Du kleine N., wenn du noch einmal über meine Wiese gehst, werde ich dich bestrafen.“ Weil der angestrebte Platz an der weiterführenden Universität an einen Weißen geht, obwohl sie die Auszeichnung als „herausragende Studentin“ an der Wirtschaftsschule bekommen hat. Weil alle Tische „reserviert“ sind, wenn sie mit anderen schwarzen Bürgerrechtlern in das fast leere Restaurant an der Huron-Straße einkehren will.
Zweierlei "Rassentrennung"
Die „Rassentrennung“ ist in Michigan nicht so offensichtlich wie in Alabama. Während in den Südstaaten Schilder hängen: „Whites only“, verstecken sich die Rassisten im Norden hinter Vorwänden. Der Effekt ist derselbe. Ein Teil von Pounds Familie ist schon während der „Great Migration“ (1910–1960) mit Millionen anderen Afroamerikanern aus dem Süden zu den Autofabriken des Nordens gewandert. Als sie 14 ist, zieht auch sie mit den Eltern nordwärts. Für das Mädchen, das zuvor in einer All-Black-Schule war, ist es ein Schock, dass es plötzlich mit den wenigen anderen schwarzen Schülern im Pausenhof in einer Ecke steht, während die weißen Kinder miteinander spielen.
Anfang der 1960er wird Pounds aktiv in „der Bewegung“. Martin Luther King wird immer populärer. Sie nimmt am Marsch auf Washington teil und demonstriert für das Wahlrecht. In Boston führt sie eine Untersuchung von Lebensmittelgeschäften durch – und findet heraus, dass die Qualität der Waren in schwarzen Stadtteilen schlechter und die Preise höher sind.
„Muss das sein?“, fragt ihre Mutter, als Pounds erneut zu einer Demonstration aufbricht und die Kinder absetzt. Die Tochter explodiert: „Wenn du dich für die Bürgerrechte eingesetzt hättest, könnte ich mir das heute ersparen.“ Es ist das letzte Mal, dass die Mutter das Engagement ihrer Tochter kritisiert. Sie, so ist Pounds überzeugt, hat sich weiter Sorgen gemacht, aber die Aktivität ihrer Tochter „zu 100 Prozent unterstützt“.
Grenzen der Gewaltfreiheit
Während Pounds den gewaltfreien Widerstand in Workshops übt, entdeckt Roberts in Tuskegee, dass er dafür nicht gemacht ist. Die auf seiner Hand ausgedrückte Zigarette gibt den letzten Ausschlag. Er weiß, dass er einen derartigen Angriff kein zweites Mal mehr ertragen können würde, ohne zurückzuschlagen. Und beschließt, nicht mehr zu Demonstrationen zu gehen.
Nachdem das Bürgerrechtsgesetz in Kraft ist, machen sowohl Pounds als auch Roberts Karriere. Sie zieht nach der Dissertation nach Iowa, wo sie in der fast komplett weißen State University Dekanin wird – als erste Frau und erste Schwarze. Er wechselt nach Washington, arbeitet im Gesundheitsministerium und steigt weiter auf. Sie sagt, dass sie für ihren Erfolg hart gearbeitet und immer herausragende Leistungen erbracht hat. Er ist überzeugt, dass sein Erfolg ohne die Bürgerrechtsbewegung nicht möglich gewesen wäre.
2005 lernen sich die beiden einstigen Bürgerrechtler in Maryland kennen und freunden sich an. Sie sind inzwischen Nachbarn in Prince George’s County, auf halber Strecke zwischen Washington und Baltimore, wo viele Angehörige der schwarzen Mittelschicht leben.
Leiden unter „anti-black“
Ein halbes Jahrhundert nach ihrer Zeit als Aktivisten entdecken sie Gemeinsamkeiten – im Rückblick auf die früheren und in Hinblick auf die aktuellen „Rassenbeziehungen“. „Obama ist mein Kind“, sagt Augustine Busbee Pounds, 77. Sie leidet mit, wenn über das aktuelle Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten so abschätzig geredet wird wie über keinen US-Präsidenten zuvor. Wenn er der „gegenwärtige Bewohner des Weißen Hauses“ genannt wird. Oder jemand ankündigt: „Wir müssen uns unser Land zurücknehmen.“ Für Pounds sind das Symptome von „anti-black“.
Fleetwood Roberts jr., 83, hat private gute Beziehungen zu Weißen. Aber die öffentliche Rhetorik – darunter fallen die ebenso falsche wie diskriminierende Gleichsetzung von „Lebensmittelmarkenempfängern“ und „Schwarzen“ wie auch die Aushöhlung der Wahlgesetzgebung, die aus der Bürgerrechtsbewegung hervorgegangen ist – nennt er „schrecklich“. „Rasse“, sagt er, „ist ein sehr präsentes Thema.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!