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Kommentar Rente mit 60Vertraut den Betroffenen

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Politik und Wirtschaft tun sich schwer damit, die Menschen selber entscheiden zu lassen, wie sie ihr Leben leben wollen.

Schon heute gehen viele mit 60 in Teilrente. Nur, finanzieren müssen sie es selbst Bild: reuters

W ann immer es um politische Ideen geht, bei denen etwas zu gewissen Teilen getan werden soll oder darf, etwa bei der Teilzeitarbeit, beim Teilelterngeld und jetzt bei der Teilrente, baut sich eine Welle der Empörung auf. Darauf kann man Wetten abgeben.

Vor allem Politik und Wirtschaft tun sich schwer damit, Menschen selber entscheiden zu lassen, was sie für ihr Leben richtig halten. Es gilt hierzulande vielfach nach wie vor das Prinzip: Ganz oder gar nicht.

Warum ist es so schwer zu sagen, Mutter und Vater sollten jeweils 32 Stunden arbeiten statt einer von ihnen voll und der andere fast gar nicht? Warum können sich EntscheiderInnen nicht dazu durchringen, Ältere gleichermaßen arbeiten und sie trotzdem schon Altersgeld beziehen zu lassen? Das ist für beide Gruppen – Eltern und RentnerInnen – nicht nur von persönlichem Vorteil, sondern bringt auch der Wirtschaft mehr ein. Die Rentenkasse füllt es auch. Warum also gibt es so ein starkes Widerstreben?

Rentenmodelle

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) stößt mit seiner Forderung nach einem flexiblen Übergang in die Rente schon ab 60 Jahren auf massiven Widerstand. Union und Arbeitgeber lehnen den Vorstoß strikt ab. Die SPD zeigte sich hingegen offen dafür. Die Flexi-Rente soll es nach den DGB-Vorstellungen ermöglichen, bereits vor Erreichen des Rentenalters - frühester Zeitpunkt bislang 63 Jahre - teilweise aus dem Beruf auszusteigen.

Beliebt hingegen ist die abschlagsfreie Rente mit 63. Kurz vor dem Start am 1. Juli lägen der Rentenversicherung Bund bereits mehr als 6000 Anträge vor, berichtet die Bild-Zeitung (Montag) unter Berufung auf einen Behördensprecher. (dpa)

Weil es um einen tiefgreifenden Kulturwandel geht: weg von althergebrachten Arbeits- und Lebensmodellen hin zu mehr Flexibilität. Und es geht darum, den Betroffenen mehr Vertrauen zu schenken in die eigene Entscheidungskraft.

Machen wir uns nichts vor: Schon jetzt gibt es Eltern, die anders arbeiten, als es die „Norm“ vorschreibt. Und genauso gibt es heute schon Menschen in Teilrente. Das Problem ist, dass sie das privat bezahlen. Die gesetzliche Rentenversicherung jedenfalls zahlt derzeit nur rund 3.000 Teilrenten. Das sind nicht einmal 0,002 Prozent aller Altersrenten.

Die Angst, dass mit der Teilrente plötzlich zu viele Ältere zu früh in Rente gehen, ist unberechtigt. Es gibt ebenso viele Menschen, die länger arbeiten wollen als nur bis 67. Nicht wenige davon in Teilzeit.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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1 Kommentar

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  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Diese "Menschen, die länger arbeiten wollen als nur bis 67" würde ich gerne einmal persönlich kennen lernen. Maurer sind die bestimmt nicht, Dachdecker nicht, Krankenpfleger bestimmt auch sehr selten. Schon eher Investmentbänker, Tazredakteure, Grafikdesigner und Rechtsanwälte. Mit anderen Worten: "Elite" der Gesellschaft. Keine Proletarier im marx'schen Sinne, denn die sind meist schon mit X-undfünfzig zu müde, um noch bis 75 durchzumalochen.