piwik no script img

Protest von Flüchtlingen„Wir erpressen niemanden“

In Kreuzberg wollten sich Flüchtlinge vom Dach stürzen, in Nürnberg stellten Asylsuchende jetzt das Trinken ein. Der Afghane Naquid Hakimi über Suizid-Drohungen.

Abgeführt: Flüchtlinge in Nürnberg. Bild: dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

Seit dem 5. Juni haben Flüchtlinge aus Afghanistan, Iran, Irak Äthiopien und Pakistan ein Protestlager in der Nürnberger Innenstadt errichtet. Am vergangenen Donnerstag besetzten sie das Gelände des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dessen Chef ließ sie von der Polizei am folgenden Tag räumen. Seitdem sind 16 von ihnen in Hungerstreik, seit Dienstagfrüh haben sie auch das Trinken eingestellt. Am Mittwochmittag, kurz nachdem dieses Interview geführt wurde, kollabierten die ersten und wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Andere Flüchtlinge aus Nürnberg, die an der Aktion im BAMF beteiligt waren, kamen nach Berlin und besetzten am Mittwoch den Fernsehturm am Alexanderplatz.

taz: Herr Hakimi, Asylsuchende in Deutschland drohen bei ihren Protesten mit Suizid: In der vergangenen Woche kündigten Bewohner der besetzten Schule in Berlin-Kreuzberg an, sich im Fall einer Räumung vom Dach zu stürzen, mehrfach traten Asylsuchende in trockenen Hungerstreik – so wie nun ihre Gruppe in Nürnberg. Das empfinden manche als Erpressung. Was sagen Sie dazu?

Naquid Hakimi: Es handelt sich nicht um eine Erpressung oder Drohung. Wir bedrohen niemanden. Mit dem Hungerstreik mache ich nur meinen eigenen Körper kaputt, sonst nichts. Der Staat oder die Gesellschaft erleiden keinen Schaden, sie verlieren nichts. Ich muss später mit einer möglichen Krankheit leben oder ich sterbe womöglich. Es ist das Gegenteil von einer Drohung. Wir versuchen uns nur zu verteidigen, in einer für uns fast ausweglosen Lage. Aber nicht mit Waffen oder mit Steinen, sondern mit unserem eigenen Körper.

Sehen Sie keine andere Möglichkeit, für Ihre Rechte zu kämpfen, als Ihr Leben aufs Spiel zu setzen?

Die Lage ist für uns ähnlich, wie sie sicher auch für die Flüchtlinge in der Berliner Schule war: Irgendwann sieht man keine andere Möglichkeit mehr, sich anders zu helfen. Mein Antrag wurde abgelehnt, ich habe dagegen erfolglos geklagt. Wir haben Demos gemacht; ein Protestzelt errichtet, dem Bundesamt Briefe geschrieben. Aber wir wurden immer ignoriert. Wir haben keinerlei Perspektive. Es fühlt sich an, als sei man ein Tier, das irgendwo in einem Stall lebt, dem man Essen und Trinken gibt, das man aber nicht hinauslässt.

Was fordern Sie?

Im Interview: Naqid Hakimi

21, aus Afghanistan, seit Juni 2010 in Deutschland, sein Asylantrag wurde abgelehnt. Er ist der Sprecher einer Gruppe 16 durststreikender Flüchtlinge, hat deshalb nur das Essen eingestellt.

Seit drei Jahren kämpfe ich um ein Aufenthaltsrecht. Ich kann nicht nach Hause und auch nirgendwo anders hin. Die Ablehnung wurde vom Gericht bestätigt, das ist wie eine Mauer. Ich bin 21 Jahre alt, ich muss endlich anfangen, eine Ausbildung zu machen. Ich will eine richtige Zukunft und nicht abhängig von jemandem sein.

Sie haben sich mehrfach an den Präsidenten des Bundesamts, Manfred Schmidt, gewandt. Was täten Sie an dessen Stelle?

Herr Schmidt könnte mit uns reden, das hat er nicht getan. Deutschland kann nicht die ganze Welt aufnehmen, das verlangt auch niemand. Es kann aber zu denen, die kommen, „Willkommen“ sagen, als ein offenes Land.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Mit der Gründung eines Flüchtlingszentrums in Berlin bin ich allerdings einverstanden. Finanzieren könnte das die Bundesregierung und der ESF der Europäischen Kommission.

     

    Dafür werden dann die enormen Kosten des geplanten Vertriebenenzentrums in der Stresemannstraße gestrichen! Die Gegenwart von Vertriebenen und Geflüchteten ist viel wichtiger als die Vergangenheit von Vertriebenen aus der Nazizeit.

     

    Gleichzeitig könnte in dem Flüchtlingszentrum - z. B. jetzt vorrübergehend in der Gerhart-Hauptmann-Schule von Kreuzberg - ein Restaurant und Bistro mit afrikanischer Küche aus 57 Afrika-Staaten eingerichtet werden. Dann würden die Flüchtlinge auch mal andere Berliner*innen kennenlernen und erfahren, wie das Berliner Stadtleben so läuft.

     

    Ich kenne nur das "Afrika-Haus" in Berlin-Moabit und das Restaurant "Massai" am Winterfeldtplatz oder Sonstwo.

     

    Berlin hat viele zahlreiche internationale Küchen, aber die afrikanischen Lokale sind immer noch höchst rar.

  • Irgendwie hirnrissig. Da flüchten die Flüchtlinge aus ihren Heimatländern unter höchst lebensgefährlichen, risikoreichen Umständen und schaffen es unter hohen Lebensrisiken bis nach Europa, quer durch Deutschland bis hinauf nach Berlin, um dann hier in Berlin als Märtyrer für alle Gaffenden von einem Dach in den Tod zu springen?

  • Wenn der 21jährige Afghane von niemandem abhängig sein will, wie er selbst sagt, dann sollte er sich für den Lebenslauf eines Autonomen entscheiden und darüber klar werden, was das bedeutet und welche Eigenverantwortung er mit seiner freien Entscheidung übernimmt. Im Unterschied zu den einheimischen Autonomen hat er dann aber immer noch keinen deutschen Paß, den aber die einheimischen Autonomen besitzen und damit doch abhängig vom deutschen Staat sind, den sie jedoch als Polizeistaat und jetzt sogar als ein Staat mit "Lagern" bezeichnen und bekämpfen.

     

    Haben ihm das die Autonomen und Unterstützer*innen etwa nicht gesagt? Aber vielleicht nehmen sie den 21jährigen erst einmal als Obdachlosen in ihre Kreise aus humanitären Gründen auf und bürgen für ihn persönlich mit ihrem Hab und Gut? Das wäre auch eine Lösung, ihn vorsorglich als Gast und Freund aufzunehmen und für sein gewünschtes Wohlergehen zu sorgen.

  • Wenn Bundespräsident Joachim Gauck so weit die Arme für alle Flüchtlinge ausbreitet und ein herzliches Willkommen einfordert von der breiten, inzwischen sehr wohl internationalen, wettbewerbsfähigen und multikulturellen Masse der deutschen und zugewanderten Bevölkerung aus vielen europäischen und außereuropäischen Ländern, dann kann er sofort und beispielhaft selbst und persönlich mit dem Willkommen in Berlin anfangen:

     

    Alle ca. 9.000 in Berlin anerkannt lebende und die 400 noch nicht anerkannten Flüchtlinge werden von ihm zur Sommerparty in den Park seines Amtssitzes, dem Schloß Bellevue, eingeladen!

    Dort können dann alle mit ihm nacheinander reden, da er selbst gerne redet und Lehren predigt. Zum Abschluß gibt es dann um Mitternacht ein großes, krönendes Feuerwerk über das gelungene Sommerfest des Bundespräsidenten.

  • Was würden wir machen?

  • Diese Menschen möchten uns nicht den Reichtum wegnehmen, sie möchten eine Chance.

     

    Doch Deutschland möchte sie nicht und wartet lieber fett und alternd auf den Märchenprinzen.

  • Die Grünen sind auch nicht mehr grün, sondern teilweise vertreten sie doch vorausschauend auf die nächstkommenden Wahlen genau die Ansichten der Schwarzen (Sorry Ströbele) . Somit wird ein mögliche (realostische) grün-schwarze Koalition der Weg geebnet. Die Flüchtlinge geraten dabei komplett unter die Räder. An die Menschlichkeit appellieren zieht auch nicht mehr. Was sollen die Flüchtlinge da tun, alternativ vielleicht in die Heimat zurückreisen? Das ist doch nonsens. Diese Menschen haben nunmal dieses eine Leben zur Verfügung und selbst das ist Ihnen schon nichts mehr wert, wenn man bedenkt, was sie erleben mussten um ins gelobte Deutschland zu gelangen. Der wahrhaftigste Politiker derzeit Gauck, der bereits alles auf den Punkt gebracht hat, aber ändert auch nichts daran, denn der geliebte Präsident hat einfach kein Gewicht in der Politik. Es ist einfach hoffnungslos, deshalb bleibt es den Flüchtlinge in dieser Lage nichts anderes übrig, außer sich mit solchen Aktionen Gehör zu schaffen. Ich wünsche jeden einzelnen von Ihnen viel Erfolg dabei!

    • @Jackson Samuel L.:

      Wenn Gauck was zu entscheiden hätte würde er ganz anders reden und handeln.

  • Solange die Suiziddrohung nicht mit der Forderung nach einem Aufenthaltsrecht verbunden ist, ist es sicher keine Erpressung - aber davon kann in Nürnberg wie in Berlin ja nicht die Rede sein. Die von @MRF gestellte Frage nach den Ablehnungsgründen ist auch m.E. zum Verständnis des Falles wichtig, eigentlich sogar unabdingbar. Warum hat sie Herr Jakob eigentlich nicht gestellt?

    Wenn Herr Hakimi behauptet, er könne nirgendwo anders hin, liegt dies (falls es stimmt) nicht an der Bundesrepublik. Ausreisepapiere bekäme er wohl von heute auf morgen!

  • Warum wurde eigentlich der Asylantrag speziell in diesem Fall abgelehnt?

  • D
    D.J.

    Ich gönne Herrn Hakimi, nicht in Afghanistan leben zu müssen, verstehe aber die beiden letzten Sätze in ihrem Zusammenhang nicht. Was genau sollen denn die Aufnahmemaßstäbe sein? Allein das Ankommen?

  • Mir kommt nur ein Wort in des Sinn: Beschämend. Beschämend, wie hierzulande mit Menschen in Notsituation umgegangen wird. Und dieses Bundesamt? Ist von denen eigentlich mal einer vor Ort? Würde mich schon mal interessieren...