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Spuren des FaschismusMumifizierte Erinnerung

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme widmet sich mit einer Ausstellung der Erinnerung slowenischer KZ-Häftlinge an italienische faschistische Lager.

Erinnerungsmaterial: eine Mütze, die Barbara Miklic Türks Mutter 1942/43 im KZ Gonars anfertigte. Bild: Manca Juvan/KZ-Gedenkstätte Neuengamme

HAMBURG taz | Die wahren Geschichten stecken nicht in Worten. Das sind nur die letzten, abstraktesten Glieder in der Kette der Erinnerung. Auch Bilder – gemalte, fotografierte, imaginierte – markieren nur einen Zwischenschritt. Ausgangspunkt jeder Erfahrung und mithin der Erinnerung sind Gegenstände. Verdichtete Materie, aufgeladen mit Kontext, mit einstigem und später darüber gelagertem Erleben; mit tradierter Erinnerung und in Worte transformierter Erzählung.

Tastend muss man sich die Spurensuche der Journalistin Saša Petejan, der Fotografin Manca Juvan und der Historikerin Urška Strle vorstellen. Sie gingen daran, Erinnerungen ihrer slowenischen Landsleute aufzufinden, die während des Zweiten Weltkriegs in italienischen KZ gewesen waren – und von deren Nachkommen.

Schweigen über die Lager

Diese Facette des europäischen Faschismus ist nicht nur in Deutschland kaum bekannt, sondern wird in Italien gern verschwiegen: Noch im Jahr 2003 sagte etwa der damalige Premierminister Silvio Berlusconi, italienische KZ habe es nie gegeben. Und Menschen, die im italienischen Gonars wohnen, betonen bis heute, das Lager nebenan sei während des Zweiten Weltkriegs „nur“ ein Internierungslager gewesen.

Aber das stimmt nicht: Gonars war – wie Kampor und Chiesanuova – eins von mehreren KZ in Italien; weitere unterhielten Mussolinis Schergen von 1941 bis 1943 im besetzen Dalmatien und Kroatien, unter anderem die als „Todeslager“ berüchtigten in Molat und Rab.

„Die letzten Zeugen“ heißt eine Foto-Erinnerungsausstellung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg, und sie setzt primär auf Gegenstände. Da liegt eine rosa Mütze, im Lager genäht. Eine Handtasche, von einer Partisanin aus gestohlenem Zeltleinen gefertigt. Ein Löffel, eine Blechschüssel, ein Dirigierstab für den Chorleiter des KZ Gonars – geschnitzt aus einem Besenstiel.

Wie archäologische Funde liegen diese Dinge in einer kleinen, zentralen Vitrine; wie seltene Preziosen wirken sie auf Fotos der umgebenden Stellwände. Dort hängen auch Porträts der Zeitzeugen oder ihrer Kinder. Sie alle beobachten, umringen die „Reliquien“ hinter Glas, was eine dichte Atmosphäre schafft. Dazu die dezent mit Licht und Schatten operierenden Fotos der Erinnernden, auch sie ohne jedes Pathos.

Die Porträts sind gestellt, aber nicht künstlich. Authentisch transportieren sie den mumifizierten Schmerz, den die Beschriftungen nur knapp andeuten. Da ist die alte Frau, die ein Kleid auf dem Schoß hält: das Kleid ihres vor 70 Jahren im KZ Gonars verstorbenen Babys. Daneben eine Frau, die ihre Mutter verlor. Ihre Hände sind ineinander gelegt, die riesige rechte behütet die zarte linke.

Auf einem anderen ein Mann, der seinen Vater als Siebenjähriger zuletzt an einer Kaserne sah: Er steht kameraabgewandt vor einem Haus; der einsame Junge von damals. Und eine Tochter hat sich Ort der einstigen Folterstätte Urh bei Ljubljana fotografieren lassen – dort, wo ihre Mutter starb.

Opfer kaum entschädigt

All diese Fotos sind ernst und tiefgründig. Und sie belegen: Zeit heilt nicht alle Wunden. Besonders, wenn man nicht darüber spricht, und das ist in Slowenien so wenig passiert wie in Deutschland – von angemessener Entschädigung aller Opfer ganz zu schweigen.

Deshalb ist diese Ausstellung bedeutend, denn sie nötigt, sich zu informieren über diese Gefangenen. 1941 teilten Deutschland, Ungarn und Italien das vormalige Slowenien unter sich auf. Strukturell taten dann alle Besatzer dasselbe: Sie suchten die slowenische Sprache, Intelligenzija und Kultur zu vernichten. Die italienischen Faschisten wollten italianisieren, wer sich sträubte – der Partisanenwiderstand war stark – wurde ins KZ deportiert.

Historiker streiten darüber, ob die italienischen KZ, die deutlich geringere Opferzahlen hatten, mit den deutschen vergleichbar seien. Als System des Terrors funktionierten sie aber. Und als 1943, nach Italiens Waffenstillstand mit den Alliierten, Deutschland auch Teile Italiens besetzte wurden slowenische KZ-Häftlinge weiter geschafft in deutsche Lager.

Projekt Eindeutschung

850 dieser Menschen kamen nach Neuengamme, was Anlass böte für eine Reflexion über die nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Slowenien – auch so ein selten diskutiertes Thema. Dass Hitler den Westen des besetzten Polen, den „Warthegau“, eindeutschen wollte, ist bekannt. Dass dasselbe in Slowenien geschah, weniger. Dabei vermaßen die Nazis in der „Oberkrain“ und der „Untersteiermark“ so systematisch wie nirgends sonst die Menschen – und entschieden dann, wer als „Volksdeutscher“ ins Altreich kam und wer ins KZ.

„Umvolkung“ hatte SS-Chef Heinrich Himmler das 1942 genannt. Dazu zählte auch, dass 1.100 Kinder aus ihren Familien gerissen, in „Umerziehungsheimen“ untergebracht und dann zur Adoption freigegeben wurden. Manche Bewohner der Steiermark kennen ihre leiblichen Eltern bis heute nicht.

All dies schwingt mit in der Neuengammer Ausstellung, die weder anklagt noch bloßstellt und den Zeitzeugen ein Stück ihrer Biografie und ihrer Würde zurückgibt. Ausführlich sind die Geschichten nachzulesen unter http://rememberingfascistcamps.blogspot.de.

■ „Letzte Zeugen – Erinnerungen von Häftlingen der faschistischen Lager“: bis 29. 8., Hamburg, KZ-Gedenkstätte Neuengamme

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